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Reaktionen auf Notre-Dame

Erstellt von Redaktion am Sonntag 21. April 2019

Von rechts bis zum Rechtschaffenheitsreflex

Incendie Notre Dame de Paris.jpg

Eine Kolumne von

Für Rechtsextreme ist die brennende Pariser Kathedrale natürlich eine Abendland-Untergangsmetapher – egal, was die Ursache war. Aber die Schadenfreude einiger antichristlicher Muslime zu leugnen, ist auch falsch.

Seit der Antike ist der Glaube verbreitet, im Spiegel sei die wahre Seele der Menschen zu erblicken. Der Aberglauben von gestern ist im Internet von heute Realität geworden: Die Social-Media-Reaktionen auf das Feuer von Notre-Dame spiegeln, was in den Köpfen und Herzen vor sich geht. Das ist bei der kollektiven Verarbeitung von Katastrophen aller Art oft so, aber Notre-Dame ist besonders, weil das Symbol so groß ist und anders als bei den meisten sonstigen Tragödien, keine Toten zu beklagen sind. Deshalb erscheinen die Reaktionen ungefiltert, nur noch auf das Symbol bezogen. Wer zu Notre-Dame schrieb, schrieb zuerst über sich selbst: Reflex und Reflexion.

Dass eine Kirche in Frankreich brennt, nein – dass die Kirche in Frankreich brennt, ist für Rechte und Rechtsextreme mindestens eine epochale Untergangsmetapher, darunter geht es einfach nicht. Die brennende Kirche, das zerfallende Europa, der Untergang des europäischen Merkel-Macron-Liberalismus. Es scheint so zu sein, als wollten diese Leute Europa brennen sehen.

Für rechte Verschwörungstheoretiker passt alles ins Bild

Führungskräfte der AfD äußerten sich mit der brennenden Notre-Dame als Europa-Metapher, ebenso rechtsextreme Politiker aus anderen Ländern sowie jede Menge rechter Intellektueller. Zeitweise fabulierten besonders Übermütige von einem „französischen 9/11“. Wer die Welt nur durch die verzerrende Brille eines Kulturkampfes zwischen Christen und Muslimen betrachtet, sieht in Notre-Dame ein Symbol für ebendiesen Kulturkampf. Dass man dafür nicht nur Europa auf rassistische Weise in „wir“ und „die“ unterteilen, sondern auch die Ermittlungsergebnisse en passant vorab festlegen muss, spielte natürlich keine Rolle.

Es ist aber auch egal, was bei den laufenden Ermittlungen herauskommen wird, in bestimmten Kreisen steht die Brandursache längst fest: Muslime hätten die Kirche angezündet, nur so kann es sein, glauben rechte Verschwörungstheoretiker.

Ideologie, Ressentiment und Bauchgefühl vermengen sich mit echten, aber zumindest bisher nicht zusammenhängenden Nachrichten. Seit Monaten finden sehr viele Brandanschläge und Herabwürdigungen christlicher Kirchen statt, bei denen die Gebäude etwa mit Exkrementen beschmiert werden. Im Schnitt werden in Frankreich drei christliche Kirchen angriffen – jeden Tag. Die Aufklärung ist bisher eher die Ausnahme als die Regel, aber das interessiert rechte Verschwörungstheoretiker nicht, weil für sie alles ins Bild passt: Europa werde von Muslimen angegriffen und die Liberalen wollen das verschleiern.

Hier greift die klassische Unwiderlegbarkeit der Verschwörungsmythen: Wenn sich der Brand als Anschlag von Islamisten erweisen sollte, hatten sie Recht. Natürlich wäre das bei einem derart großen, christlichen Symbol wie Notre-Dame möglich. Ergibt aber die Untersuchung einen Unfall, einen bösen Zufall oder einen Anschlag anderer Gruppen, werden die Rechten das Ergebnis als Lüge aus Gründen der „political correctness“ und als Medienverschwörung bezeichnen und trotzdem sagen, sie hätten Recht gehabt. Und wenn sich nichts aufklären lässt, um so besser: Ungewissheit ist der beste Freund aller Verschwörungstheoretiker, weil dann Gegenbeweise unmöglich sind.

Leider bedeutet die Existenz rassistischer Verschwörungstheorien aber auch nicht, dass es kein muslimisch geprägtes, antichristliches Ressentiment gäbe. Eine dafür auf bittere Weise typische Episode findet rund um das amerikanische „BuzzFeed“ statt. „BuzzFeed“ veröffentlicht kurz nach dem Bekanntwerden des Brandes einen Artikel, der Verschwörungstheorien und Fake News entlarven möchte und dabei ungefähr alles falsch macht, was man aus medialer Sicht falsch machen kann.

Von einem bekannten britischen Rechtsextremen wird auf Twitter ein Video verbreitet, das auch im deutschsprachigen Raum größeres Echo findet. Es zeigt die Social-Media-Reaktionen wiederum auf ein Video des Brandes von Notre-Dame, speziell die Facebook-Reaktion „Haha“, also das lachende Gesicht. Die sichtbaren Namen sind überwiegend arabisch oder typisch für muslimisch geprägte Länder. „BuzzFeed“ zeigt das Video und schreibt dazu abwehrend: „Es gibt null Beweise, dass Muslime auf das Feuer mit „smiley faces“ reagieren.“ Die Autoren deuten technisch sachkundig an, dass die Reaktionen ja gar nicht gesichert zum fraglichen Video gehören müssten.

"Jüngste Erkenntnisse der Trollforschung" (5635286388).jpg

Es handelt sich um einen Rechtschaffenheitsreflex, der in sozialen Medien nicht selten ist: Man möchte nicht, dass eine Nachricht stimmen könnte, also wird sie auf alle erdenklichen Arten und Weisen bezweifelt. Oder ignoriert. Statt sich einen Überblick zu verschaffen, hat das eher liberale Medium „BuzzFeed“ auf rechtsextreme Kommunikation reflexhaft Gegenbehauptungen veröffentlicht.

Quelle       :         Spiegel-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben     —       Feu dans la charpente de Notre Dame.

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Unten        —        Sascha Lobo * (cc) dirk haeger / re:publica 2011

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