DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Neoliberale Kriegsreligion

Erstellt von Redaktion am Freitag 20. April 2018

Der Rechtsruck ist eine soziale und gleichzeitig unsoziale Bewegung

Von Markus Metz und Georg Seeßlen

Man stellt sich auf die Seite der Ausbeuter und befreit sich von sozialen Skrupeln

Wir haben uns angewöhnt, die sprunghaften Bewegungen von Diskursen, Wählerstimmen und politischem Handeln nach rechts als Auswirkungen von Krisen zu verstehen. Und an Krisen hat die Ökonomie unserer Tage wahrlich keinen Mangel. Aber die Ausschläge unterscheiden sich doch zwischen einer „Finanzkrise“ und einer „Flüchtlingskrise“. Die große, alle anderen umfassende Krise indes scheint die Umwandlung von einem sozialstaatlich und demokratisch gezügelten Wohlfühlkapitalismus, der sich als strahlende Alternative zu unfreien Mangelwirtschaften „im Osten“ inszenierte, zu einem unbarmherzigen, deregulierten „neoliberalen“ Kapitalismus.

Da die Versprechungen von ewig wachsendem Wohlstand und immer mehr Unterhaltung sich nicht einlösen lassen, zugleich aber das Projekt von Kultivierung und Entbarbarisierung der Welt als „Moderne“ abgebrochen wurde, besinnt man sich zunehmend auf Imaginäres, aber Unverlierbares: auf die „Nation“ und das „Volk“ – Auszeichnungen, die auch jenseits des ökonomischen Misserfolgs Bestand haben: Es sind Kriegs­re­li­gio­nen für Menschen, die diesseitige Dinge brauchen, die groß und heilig sind, in deren Namen jede Gewalt und jede Gleichgültigkeit gerechtfertigt ist und die Hass gegen schwächere, andere, fremde Menschen legitimieren.

Bei den vielen Erklärungen für den Rechtsruck der europäischen Gesellschaften darf die der subjektiven Erleichterung nicht fehlen: Rechtsextremismus fühlt sich gut an, wenn andere Medien des Sich-gut-Fühlens verloren gehen. Rechtspopulismus und die Neue Rechte können nicht erklärt werden, ohne die drastischen gesellschaftlichen Veränderungen in den Blick zu nehmen, die der Neoliberalismus mit sich brachte.

 

Wer sich nach rechts wendet, tut es selten allein aus Gründen einer ideologischen Selbsttherapie oder „Verblendung“. Stets offenbart diese Bewegung ihren materiellen Gehalt: Man will anderen nichts abgeben, man verlangt Schutz gegen Konkurrenten, und in der Angst, andere könnten „auf unsere Kosten“ leben, zeigen sich Gier und Missgunst. Statt Ausbeutung und Unterdrückung zu beseitigen, stellt man sich um jeden Preis auf die Seite der Ausbeuter und Unterdrücker, ist ihnen mit Leib und Seele verbunden und betreibt die Arbeit ihrer Legitimation und ihrer Praxis. Sich als „Volk“ zu definieren heißt auch, sich von so­zia­len Skrupeln zu befreien.

Kurzum: Rechtspopulismus, Neokonservatismus und Rechtsextremismus sind nicht nur erfolgreich, weil sie Ängste und Begierden aufgreifen, Affekte in Ideologie umwandeln, sondern auch, weil sie unter bestimmten Bedingungen für den Einzelnen durchaus „nützlich“ sind. Von der Vorstellung allein von Irregeleiteten, Empörten, die falschen Führern folgen, von falschen Antworten auf richtige Fragen und wie die Beschwichtigungen noch lauten mögen, sollten wir uns verabschieden.

Quelle   :      TAZ        >>>>>        weiterlesen

————————————————————————————

Grafikquellen    :

Oben   —      Georg Seeßlen während seines Vortrags beim „Kölner Kongress 2017“

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>