Anleitung in 20 Schritten
Erstellt von Redaktion am Dienstag 2. Juli 2019
So verschieben Sie eine Debatte nach rechts
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Sie möchten rechtskonform im Internet publizieren? Also konform mit anderen Rechten? Dann befolgen Sie diese Anleitung und lernen Sie alles übers Entschärfen, Beschönigen und Schuldumkehren.
Selbst Konservative sagen inzwischen, dass der Mord an Walter Lübcke auch eine Folge aufgeheizter, rechter Kommunikation ist. Dahinter steht die Analyse, dass sich die öffentliche Debatte nach rechts verschoben hat – aber wie funktioniert das eigentlich? Eine berechtigte Frage. Deshalb folgt hier eine Anleitung für alle Menschen, ob sie auf Facebook publizieren oder bloß Kolumnen und Leitartikel schreiben, ob sie Blogs vollschreiben oder gezwungen sind, Pressemitteilungen für Behörden zu verfassen, ob sie twittern oder ausgedruckte Präsentationen per Rundfax im Bekanntenkreis verschicken:
1. Entnazifizierung
Niemand darf als Nazi bezeichnet werden, auch nicht Nazis. Gerade nicht Nazis, die könnten sich sonst so emotional belastet fühlen, dass sie womöglich ins Morden geraten. Bestehen Sie darauf, dass Nazis am 8. Mai 1945 aufgehört haben zu existieren. Wenn jemand ein Hakenkreuz-Tattoo auf der Stirn hat, Hitlergrüße um sich wirft und den Holocaust gleichzeitig leugnet und wiederholen will, dann lassen Sie sich maximal dazu hinreißen, die Person „Hooligan“ zu nennen. Aber fügen Sie sicherheitshalber ein „betrunken“ hinzu.
2. Entschärfung
Entschärfen Sie alles von rechts prinzipiell um zwei, drei Umdrehungen. Machen Sie aus einem rassistischen Mord ein „tragisches Unglück“. Bezeichnen Sie rechtsextreme Gruppen als „relativ eventbetonte“ Jugendliche. Nennen Sie eine rechtsextreme Gewalttat einfach „Auseinandersetzung“, als wären sich ein paar Leute in die Haare oder an die Kopfhaut geraten.
3. Beschönigung
Nennen Sie Rassisten „Zuwanderungskritiker“. Bezeichnen Sie alle Akteure zunächst als konservativ, höchstens aber als „rechtspopulistisch“, egal, wie extremistisch, rassistisch oder gewalttätig sie sind. Überlegen Sie sich für eindeutig Rechtsextreme lustig verharmlosende Worte wie „Nationalromantiker“ . Im absoluten Notfall greifen Sie zum unverfänglichen Hörensagen. Wenn also Hitler wiederaufersteht, nennen Sie ihn „der in manchen Kreisen als rechtsnational verschriene Adolf Hitler“.
4. Passivierung
Direkt an Entschärfung und Beschönigung grenzt die Passivierung, mit der Sie rechte Täter von der Hauptperson zu allenfalls zufällig Beteiligten machen. Bei einem Nazimord wurde das Opfer nicht von einem Rechtsextremen erschossen, sondern kam durch einen Schuss zu Tode. Der sich gelöst hat. Von einer Waffe. Auf bisher unklare Weise. Wenn eine Passivierung zu umständlich ist, entscheiden Sie sich für eine Objektifizierung: Der Molotowcocktail hat das Flüchtlingsheim angezündet, nicht etwa ein rassistischer Attentäter. Je häufiger Sie sprachlich vertuschen, dass Rechtsextreme absichtsvoll und geplant handeln, um so besser.
5. Positivierung
Sehen Sie in allem Rechten stets das Positive, in bester Tradition der wunderbaren Autobahnen, die uns das „Dritte Reich“ hinterlassen hat. Die Wahl rechtsradikaler Parteien zeigt uns in diesem Sinne endlich die wahren Prioritäten der Bevölkerung. Rassisten sind eine Probe für unsere Toleranz. Und Adolf Hitler hat immerhin den schlimmsten Nazi des 20. Jahrhunderts erschossen, das muss man doch auch mal anerkennen.
6. Ich kann beim besten Willen keinen Rassismus erkennen
Vermeiden Sie um jeden Preis den Begriff „Rassismus“. Dass Lübcke ermordet wurde, weil er sich gegen Rassismus stellte, verschweigen Sie. Denn das könnte jemanden daran erinnern, dass rechtsextreme Gewalt gar nicht „gegen uns alle“ gerichtet ist, sondern nur gegen nicht weiße, muslimische, jüdische, andersgeschlechtliche, andersliebende, behinderte oder einfach sozial schwächere Menschen sowie diejenigen, die sich aktiv für solche Gruppen einsetzen. Wenn es gar nicht anders geht, sagen Sie allerhöchstens „fremdenfeindlich“, um gleich klar zu machen, dass Leute, die anders aussehen, stets Fremde sein müssen. Wenn die Rede ohne Ihr Verschulden auf Rassismus zu sprechen kommt, führen Sie reflexhaft an, dass immer mehr ganz normale Menschen in zutiefst rassistischer Weise „alte, weiße Männer“ genannt werden. Weinen Sie dazu im Takt.
7. Traditionsparadox
Verweisen Sie bei jeder Gelegenheit auf die prägenden Leistungen des Deutschen Reichs unter Bismarck, scheuen Sie sich nicht, lieb gewonnene Traditionen auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zurückzuführen, aber sprechen Sie vom „Dritten Reich“ als „olle Kamellen“, die „irgendwann mal auch vorbei sein müssen“.
8. Rechtsstaat nur für Rechte
Heben Sie ausschließlich bei Rechten hervor, dass der Täter noch nicht verurteilt sei, irgendwas mit Privatsphäre und Persönlichkeitsrecht und dass das Unschuldsprinzip auch für Nazis, Pardon, Rechtsorientierte gilt. Gehen Sie dagegen bei allen anderen immer sofort von zweifelsfreier Schuld aus, insbesondere natürlich bei Linken. Der Rechtsstaat ist für Rechte, sonst hieße er ja Linksstaat.
9. Meinungsfreiheit
Bestehen Sie immer dann auf Meinungsfreiheit, wenn es um Ihre Meinung geht. Erklären Sie ausnahmslos jede Kommunikation zur Meinung, noch jeder Tötungsaufruf lässt sich als Mischung aus verzweifelter Reaktion und Satire lesen, und Satire darf alles. Außer Nazis Nazis nennen oder Ironie.
10. Political Correctness
Schimpfen Sie auf politische Korrektheit, wenn Ihnen kein scheinrationales Argument für Ihr dumpfes Bauchgefühl einfällt. Ihrer Freiheit, rassistische, antisemitische oder sexistische Worte zu verwenden, dürfen weder Anstand noch Gesetz entgegenstehen. Bezeichnen Sie selbst sanfteste Widerworte als „Hetze“. Wer hätte noch nicht aus Wut über linke Bevormundung den ein oder anderen Anschlag geplant?
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — PEGIDA Demonstration Dresden 2016-10-03…
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- Erstellt: 2016-10-03 15:56:59
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Unten — Sascha Lobo im «Mein Haus am See» in Berlin.…