Nach Geburt
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 13. September 2018
Wir Kinder aus der Gleichmacherstraße
Von Jürn Kruse
Bitte nicht die Melone, leg die wieder …“ Tja. Blöd. Muss ich die jetzt kaufen?, denkt der Vater wohl gerade.
Zum Glück nicht mein Kind, denke ich.
Mit Engelsgeduld redet er auf seine Tochter ein: Bitte die Sachen zurücklegen. Bitte wieder aufstehen. Bitte den kleinen Einkaufswagen weiterschieben, wenn du ihn schon haben wolltest. Bitte nicht in die Kühltruhe klettern. Lass die Flasche stehen!!
Der Kerl hat gerade eben noch im Fitnessstudio gepumpt, als würde er die Geräte auseinandernehmen. So eine Mensch gewordene Mischung aus Testosteron, Anabolika und Wachstumshormonen. Typ Arnold Schwarzenegger. Der würde einen wie mich – Typ Kreuzung aus Woody Allen und dem größten Bruder der Daltons – einfach durchbrechen. Warum? Weil er es kann.
So schlimm vorurteilsbeladen bin ich. Denn jetzt steht dieser liebe Mann vor seiner Tochter und ist so sanft, als würde er in seiner Freizeit nicht Geräte malträtieren, sondern sich um Babykaninchen kümmern, die viel zu früh ihre Eltern verloren haben: sie streicheln, sich mit ihnen auf die Schaukel setzen und Löwenzahnblätter für sie pflücken.
Das ist eine der besten Begleiterscheinungen von Kindern: Sie sind Gleichmacher. Der große Chef, dieser Herrn Niegesehen, an den man eh nicht rankommt, genauso wie der Proll, der zu viel pumpt, oder der Asket, der sich nur von stillem Wasser und frischer Luft zu ernähren scheint – alle suchen sie ihren Weg zwischen liebevoller Zuwendung, Verzweiflung und Ausrasten, wenn die Sophie mal wieder damit droht, den zwei Jahre jüngeren Louis vom Klettergerüst zu schubsen, weil dieser das gesellschaftliche Fortkommen behindere. Und dann pisst Sophie kurz darauf auch noch in den Sand. Genau in die Grube vor der Rutsche.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Fitnesstudio — CrossFit (2016)