Mut zum Alleingang
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 16. September 2020
Deutschlands Flüchtlingspolitik
Ein Kommentar von Maximilian Popp
2015 dürfe sich nicht wiederholen, heißt es quer durch alle politischen Lager. Warum eigentlich nicht? Wollen wir ein Volk der Empathielosen und Engherzigen sein?
Die Migration ist so umstritten wie kaum ein anderes Politikfeld. In einem Punkt jedoch sind sich fast alle Lager einig: 2015 dürfe sich nicht wiederholen, heißt es von der CDU über die SPD bis hin zur Linken. Der Sommer, in dem mehrere Hunderttausend Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wird heute vor allem mit Begriffen wie „Kontrollverlust“ oder „Staatsversagen“ assoziiert.
Es ist ein Erfolg der Rechten, diese Interpretation durchgesetzt zu haben. Es müsste nicht so sein.
2015 könnte auch als ein Moment verstanden werden, in dem viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland über sich hinausgewachsen sind, in dem sie sich entschieden, empathisch zu sein statt engherzig, ein Moment, der das Land, das kann man fünf Jahre später durchaus so festhalten, offener und vielfältiger gemacht hat.
Moria ist zu einem Symbol geworden
Stattdessen ist 2015 zu einem Instrument für all jene geworden, die Migration ohnehin schon immer verhindern wollten. Mit dem Mantra, 2015 dürfe sich nicht wiederholen, haben Regierungen in Europa Repressionen durchgesetzt, die lange Zeit undenkbar schienen.
Italien hat seine Häfen für Seenotretter geschlossen. In Libyen bezahlen die Europäer Milizen, die Migrantinnen und Migranten in Haftanstalten zu Tode foltern. Ungarn schottet sich mit einem Zaun gegen Schutzsuchende ab, Flüchtlinge, die das Land trotzdem erreichen, werden ausgehungert.
Dies ist das eigentliche Drama des Jahres 2015: dass sich die Europäer entschieden haben, Geflüchteten gegenüber offen zu begegnen, nur um den Kontinent danach umso härter abzuschotten.
Das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist zum Symbol für diese Entwicklung geworden. Über Jahre hinweg wurden dort Schutzsuchende entrechtet, gedemütigt, entmenschlicht. Es ist traurig, dass sich die Europäer erst nach dem Brand vom 8. September für Moria zu interessieren begannen. Noch trauriger ist, dass sich an dem Elend auf Lesbos auch nach dieser Katastrophe kaum etwas ändern wird.
Zwar fordern Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen europäischen Städten ihre Regierungen auf, Flüchtlinge aus Lesbos aufzunehmen. Die EU-Staaten aber setzen weiter auf Abschreckung. Moria soll, so will es die EU, möglichst schnell wieder aufgebaut werden, dann womöglich als Gefängnis. In der Zwischenzeit sollen die Flüchtlinge in einem provisorischen Zeltlager unterkommen.
In Griechenland, in Ungarn oder in Österreich muss diese Politik nicht mehr groß gerechtfertigt werden. Dort hat man sich nach Jahren des Rechtsrucks an Schikanen gegen Geflüchtete gewöhnt. In Deutschland begegnet die Bundesregierung Kritikern, die mehr Engagement einfordern, mit dem Hinweis, der deutscher Alleingang habe sich 2015 als Irrweg herausgestellt. Was es brauche, sei eine europäische Lösung.
Wer auf eine europäische Lösung pocht, will keine Lösung
Es ist ein wohlfeiles Argument. Wer auf eine europäische Lösung pocht, will in Wahrheit überhaupt keine Lösung, denn längst ist klar, dass sich die 27 EU-Staaten niemals auf eine gemeinsame Asylpolitik einigen werden.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Physician and Wikimedian Sam Zidovetzki visits Moria in Greece to offer healthcare and health information with meta:Internet in a Box devices containing meta:Kiwix – Wikipedia Offline. meta:Grants:Project/Rapid/offline Wikipedia in Moria
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Unten — Syrian and Iraqi refugees arrive from Turkey to Skala Sykamias, Lesbos island, Greece. Volunteers (life rescue team – with yellow-red clothes) from the Spanish NGO Proactiva Open Arms help the refugees.