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Der Sehnsuchtsort, den es nicht gibt

Erstellt von Redaktion am Sonntag 20. Dezember 2015

Medien und die „Mitte der Gesellschaft“

 von Anne Fromm

Die deutschen Leitmedien fürchten um die gesellschaftliche Mitte: Sie rücke nach rechts, erodiere gar. Was die Mitte ist, weiß niemand.

Als Beweis dafür, wie bedroht die deutsche Mitte ist, muss ausgerechnet Björn Höcke herhalten.

Der Thüringer AfD-Vorsitzende, der gerade auf einer Tagung der Neuen Rechten über den „lebensbejahenden afrikanische Ausbreitungstyp“ und den „selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp“ sprach, war in der Süddeutschen Zeitung vom dritten Adventswochenende der erste Gesprächspartner über die erodierende Mitte. Höcke referiert neben Dieter Nuhr, Christian Wulff und Jamila Schäfer sein Verständnis der Mitte. Ein AfDler, ein Komiker, ein ehemaliger Bundespräsident und die Vorsitzende der Grünen Jugend – alles deutsche Mitte?

Ähnliche Sorgen machte sich der Spiegel, der am gleichen Tag erschien. „Die verstörte Nation“, titelte das Hamburger Nachrichtenmagazin, „Verliert Deutschland seine Mitte?“

Darin heißt es, dass die neue rechte Szene Verstärkung aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft bekommen hätte, von „wertkonservativen Intellektuellen, frommen Christen und Wutbürgern“, von „Menschen, die sich sonst als Linke bezeichnen würden, etwa Putin-Bewunderer, Globalisierungsgegner und radikale Pazifisten“. Galten die bislang als die deutsche Mitte?

Wenn zwei der wichtigsten deutschen Blätter die gesellschaftliche Mitte in den Fokus nehmen, dann muss sie wirklich bedroht sein. Dann steht dahinter die Angst: Die Mehrheit wird von ihren Rändern angegriffen, verkleinert sich, kommt ins Wanken. Das kann nur zu totalem Chaos führen.
Keine Frage: Der Zulauf, den Pegida, die sogenannte Querfront, AfD und andere rechtspopulistische Gruppierungen haben, ist besorgniserregend. Die vielen Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte sind zu verabscheuen. Und dass unter den Attentätern und Demonstrantinnen Menschen sind, die nicht unbedingt der organisierten rechten Szene angehören, verstört.

Die Mitte definiert sich durch das, was sie nicht ist

Die Sorge um die „gesellschaftliche Mitte“ schlägt dennoch fehl. Weil diese Mitte, so wie sie da angenommen wird, überhaupt nicht existiert. Das beginnt schon bei dem Begriff. Die Mitte definiert sich durch das, was sie nicht ist: Nicht extrem. Weder links noch rechts. Nicht oben, nicht unten. Im gesellschaftlichen Kontext gibt es eine ökonomische und eine politische Mitte. Jeder dieser Begriffe hat und hatte zu unterschiedlichen Zeiten Konjunktur, vor allem aber dann, wenn sie bedroht oder vernachlässigt schien.

Die „politische Mitte“ findet sich als Schlagwort oder Kampfbegriff vor allem in Parteitagsreden, Wahlprogrammen und Politikerstatements. Wissenschaftliche Literatur gibt es kaum zu ihr – sieht man einmal von Hans Sedlmayrs immer mal wieder in den Diskurs eingebrachten konservativen Streitschrift „Verlust der Mitte“ (1948) ab.

Das aktuellste Buch stammt von der Geschäftsführerin des Göttinger Institut für Demokratieforschung, Stine Marg. „Mitte in Deutschland: Zur Vermessung eines politischen Ortes“ heißt es; und schon das Wort Vermessung kündigt an, dass es sich bei der Mitte um einen Ort handelt, der bisher wenig erforscht ist. Eine Terra incognita auf der Landkarte des Politischen, schrieb der emeritierte Politikwissenschaftler Kurt Lenk 2009.

Dennoch hält sich der Begriff hartnäckig im politischen Diskurs. Willy Brandt bezeichnete seine SPD 1972 als die „Partei der Neuen Mitte“. Gerhard Schröder griff den Begriff im 1998 wieder auf, subsumierte unter ihm aber, anders als Brandt, „die hoch qualifizierten und motivierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“. Die Mitte: ein Kollektiv der „Leistungsträgerinnen und Leistungsträger“.

Alle wollen Mitte sein

Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: :Wikipedia – Urheber Katrin Morenz –/– CC BY-SA 2.0

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