Masha Gessen über Trump
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 13. Juni 2020
„Trump ist erschreckend erfolgreich“
Interview Jan Pfaff
Donald Trump lügt um des Lügens willen, sagt die russisch-amerikanische Publizistin Masha Gessen. Die Demokraten hätten dem wenig entgegenzusetzen.
taz am wochenende: Masha Gessen, kurz nach der Wahl von Donald Trump beschrieben Sie 2016 in einem Essay „Regeln für das Überleben in einer Autokratie“. Dabei haben Sie sich auch auf Ihre Erfahrungen in Russland berufen. Inwiefern hilft der Vergleich, die Präsidentschaft Trumps zu verstehen?
Masha Gessen: Natürlich gibt es große politische und kulturelle Unterschiede zwischen den USA und Russland. Ich hatte damals aber gerade mein Buch über Russland beendet, das davon handelte, wie das Land unter Putin sich von der Demokratie abgekehrt und in eine Autokratie verwandelt hatte. Und da kamen mir bei Trump manche Sachen vertraut vor. Ich wusste, was es bedeutete, wenn ein Kandidat gewinnt, dessen Absicht es ist, die demokratischen Institutionen zu schleifen und eine Alleinherrschaft zu errichten.
Sie warnten vor der Haltung, Trump lasse sich im Oval Office einhegen.
Er machte ja nie einen Hehl daraus, wohin mit ihm die Reise geht. Er konnte dabei aber auch an bestehende Denkmuster anschließen. In den USA ist bereits seit den 1980er Jahren die Vorstellung weit verbreitet, dass die Regierung an sich einfach schlecht ist – egal, wie die Regierungspolitik genau aussieht. Die Regierung wird nicht als Teil des Volkes gesehen, sondern als etwas Illegitimes, das einem von oben übergestülpt wird. Aus dieser Haltung machte Trump eine Waffe. Er griff im Wahlkampf die Vorstellung von Regierung und Regiertwerden an.
Trump ist es in seiner Amtszeit gelungen, für nichts zur Verantwortung gezogen zu werden. Er hat die Vorstellung, dass Politiker den Wählern Rechenschaft abzulegen haben, völlig zerstört. Wie hat er das geschafft?
Das ist eines seiner wichtigsten Projekte – und damit war er leider erschreckend erfolgreich. Er hat dafür verschiedene Strategien angewandt. Ein Schritt war es, die tägliche Pressekonferenz im Weißen Haus abzuschaffen.
War die so wichtig?
Die war früher oft auch langweilig und nicht sonderlich informativ, aber es war ein tägliches Ritual, bei dem sich die Regierung den Fragen der Öffentlichkeit stellen und ihr Handeln erklären musste. Trump hat zuerst die Fernsehkameras rausgeschmissen, dann gab es keine täglichen Pressebriefings mehr – und irgendwann gar keine mehr. Jetzt kann er ganz allein entscheiden, wann und in welchem Setting er mit der Presse spricht, wer dabei sein darf, auf welche Fragen er antwortet. Dadurch werden die Pressekontakte unplanbar, überraschend – und er kontrolliert den Nachrichtenzyklus.
Welche Strategien hat er noch, um die Vorstellung von Verantwortlichkeit zu zerstören?
Dazu gehören natürlich auch seine Lügen. Er lügt ja über alles Mögliche. Er lügt über offensichtliche Sachen wie das Wetter, er lügt über empirisch überprüfbare Fakten – und er lügt, um einfach seinen Anspruch zu untermauern, alles sagen zu können, was er will. Bisher waren wir es gewohnt, dass Politiker lügen, um ihre Taten besser dastehen zu lassen – was wir so noch nicht kannten, war das Lügen, um des Lügens willen. Einfach um zu zeigen: „Ich habe ein großes Mikrofon – und ihr müsst berichten, was ich erzähle. Selbst wenn ihr ganz genau wisst, dass ich gerade lüge.“ Es ist eine Machtdemonstration.
Was ist mit dem System der Checks and Balances? Warum greifen die Kontrollmechanismen der Gewaltenteilung nicht stärker?
Trump feuert regelmäßig jene, die dafür da sind, die Arbeit der Regierung zu kontrollieren. Nach dem Rücktritt von Präsident Nixon hatte der Kongress das Amt des Inspector General geschaffen – es gibt Inspector Generals für jeden Teilbereich der Regierung, interne Aufpasser. Ihr Auftrag ist es, die Regierungspolitik zu überwachen, Missmanagement und Betrug aufzudecken und die Ausgaben zu kontrollieren. Sie berichten direkt an den Kongress. Es ist ein Kontrollinstrument der Legislative gegenüber der Exekutive. Mit einer Schwäche. Der Präsident kann einen Inspector General jederzeit feuern. Das hatte zuvor kein Präsident gewagt, Trump macht es wöchentlich und zerstört so dieses Instrument.
Zu Ihren Empfehlungen für das Überleben in einer Autokratie gehörte auch die Warnung: „Die Institutionen werden uns nicht retten.“
Amerikaner haben ein Vertrauen in ihre politischen Institutionen, das quasireligiöse Züge trägt. Dieser Glaube besagt: Vor 250 Jahren haben die Gründerväter ein System geschaffen, das perfekt und von ewiger Dauer ist. Das ist Quatsch. Kein System ist perfekt oder kann sich selbst reparieren, jedes System muss von Zeit zu Zeit angepasst werden. Unsere Welt ist ungleich komplizierter als die der Gründerväter.
Welche Schwächen der Institutionen macht sich Trump zunutze?
Die Institutionen sind auf den guten Willen derjenigen angewiesen, die in ihnen arbeiten. Trump kann mit gutem Willen und Gemeinwohl aber gar nichts anfangen. Recht und Gesetz nimmt er nur als Hindernisse wahr, die es zu überwinden gilt. Hinzu kommt: Institutionen funktionieren nicht richtig, wenn die Menschen nicht hinschauen. Sie brauchen das Licht der Öffentlichkeit – und kritische Bürger. Trump aber hat die Gesellschaft weiter polarisiert und das gemeinsam geteilte Realitätsempfinden stark beschädigt. Deswegen fehlt den Institutionen heute das Umfeld, in dem sie richtig arbeiten können.
Hat es Sie überrascht, dass es in der republikanischen Partei so wenig Widerstand gegen Trump gab?
Nein. Trump hat die Fäden in der Hand, mit denen er über die Wiederwahlchancen der Abgeordneten entscheiden kann. Natürlich haben diese auch politische Ziele und Vorstellungen, die sich von seinen oft unterscheiden, aber am Ende wollen sie ihre Mandate behalten. In einer Demokratie adressieren Politiker die Wählerschaft, in einer Autokratie ist der Adressat der Autokrat. Es ist also eine Ein-Mann-Zielgruppe. Um ihren Job zu behalten, versuchen also die meisten Republikaner, Trump zufriedenzustellen.
Trump im Weißen Haus zu haben, war vorher schon schlimm, aber dann kam auch noch die Pandemie dazu.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
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