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Machtwechsel in Afghanistan

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 15. September 2021

Die Furcht vor den Taliban

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Von Özgün Emre Koc

Der Sieg der radikalen Islamisten stellt die globale Rolle der USA in Frage. Und hat immense Auswirkungen auf die Region – von der Türkei bis Indien.

Zwei Jahrzehnte lang haben die USA vergeblich versucht, in Afghanistan einen Staat aufzubauen. Das Desaster, dem die Taliban-Gegner:innen und die Bevölkerung Afghanistans ausgeliefert wurden, haben das Ansehen von US-Präsident Joe Biden und der US-Außenpolitik im Allgemeinen nachhaltig beschädigt.

In Afghanistan gibt es große Lithiumvorkommen, die für Chinas Hightechindustrie extrem wichtig werden

Der türkisch-amerikanische Ökonom Daron Acemoğlu urteilt, dass die USA sich einer untauglichen Methode bedient hätten, um ein stabiles Staatswesen mit robusten Institutionen zu schaffen. Nation-Building von oben herab durch Intervention von außen – das musste scheitern.

Schon lange galt als gesichert, dass ein US-Abzug Afghanistan um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Die Frage war nur, wem die Schuld dafür zugeschrieben würde. Schon Obama und auch Trump hatten versprochen, die US-Truppen abzuziehen, aber es blieb Biden überlassen, sein Wahlversprechen umzusetzen.

Seine Zustimmungsrate sank von 52 Prozent im April auf zuletzt 43 Prozent. Dabei unterstützen 77 Prozent der US-Bürger:innen den Abzug grundsätzlich, und nur 36 Prozent von ihnen sagen, dass der Krieg in Afghanistan notwendig war.

Hier stellt sich nun die Frage, ob in dem gescheiterten Abzug eine Botschaft an die Adresse der EU steckt? In vielen westlichen Staaten wächst die Furcht vor einer großen Zahl von neuen Geflüchteten oder neuen Terroranschlägen. Die Länder der EU sind damit stärker auf das Nato-Bündnis angewiesen. Genau dieses Signal wollte Biden senden. Auch an Russland und China ging das vergiftete Geschenk der USA, dass beide Staaten nun selbst mehr Aufmerksamkeit auf die Sicherheitsprobleme richten müssen, die von einer Talibanherrschaft in Afghanistan ausgehen.

China steht schon bereit, eine Rolle im neuen Status quo in der Region zu spielen. Derek Grossman von der Denkfabrik Rand Corporation merkt an, dass China schon seit vielen Jahren im Dialog mit den Taliban steht und Peking seit langer Zeit auf eine Talibanherrschaft vorbereitet ist. Stunden nach dem Fall Kabuls gab China bekannt, dass es zu guten Beziehungen mit den Taliban bereit sei.

Chinas doppelte Interessen

China ist besorgt, dass sich in Xinjiang an der Grenze zu Afghanistan islamistische Bewegungen ausbreiten. Chinas Großprojekt der Neuen Seidenstraße erfordert zudem Stabilität in der weiteren Umgebung Afghanistans. Talibansprecher Zabihullah Mudschahid erklärte: „China bietet für uns grundlegende und außerordentliche Möglichkeiten, da das Land bereitsteht, in unserem Land zu investieren und es wieder aufzubauen.“

Beide Seiten sind sehr bemüht, eine neue Handelsallianz über das schon lange vorangetriebene Seidenstraßenprojekt zu schmieden. Der Wert von Afghanistans Bodenschätzen wird auf nahezu 1 Billion US-Dollar geschätzt. Es sind vor allem Eisen, Kupfer und Gold, dazu eines der weltweit größten Lithiumvorkommen, das für Chinas Hightechindustrie von vitaler Bedeutung ist.

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In diesem Zusammenhang ist auch die Haltung der britischen Regierung zur Machtübernahme der Taliban interessant: Außenminister Dominic Raab sagte: „Das Vereinigte Königreich hat nicht vor, eine Talibanregierung in Afghanistan anzuerkennen, ist aber bereit zu einer konstruktiven Beziehung mit der militanten Gruppe.“ Da Großbritannien das westliche Ende der Neuen Seidenstraße bildet, ist diese Erklärung im Kontext der Beziehungen zu China von Bedeutung.

Indiens Sorgen

Eine häufig übersehene Konsequenz der Machtübernahme der Taliban sind die damit verbundenen Risiken für Indien. Delhi ist in Sorge vor radikalen islamistischen Bewegungen, wie sie vor allem von der pakistanischen Regierung gefördert werden. Indien mit seiner großen Bevölkerung und seinen Hightechinvestitionen etwa in der Raumfahrt rivalisiert regional und global mit der Volksrepublik China.

Pakistan pflegt aber enge Beziehungen mit Peking, und der Wirtschaftskorridor China–Pakistan (CPEC) ist eines der Vorzeigeprojekte der Neuen Seidenstraße. Seit dem Sieg der Taliban sorgt sich Indien vor einer neuen Welle des islamischen Fundamentalismus vor allem in den Regionen Jammu und Kaschmir und Ladakh. Der frühere indische Innenminister Palaniappan Chidambaram, ein langjähriger Politiker der Kongresspartei, sagt: „Eine mögliche Achse China–Pakistan–Afghanistan unter Talibanherrschaft ist ein Grund zur Sorge.“

Ein neuer Säkularismus in der Türkei?

Quelle         :          TAZ-online          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —   Mullah Abdul Satar, a former Taliban commander, discusses his decision to leave the Taliban during a reintegration meeting with members of Provincial Reconstruction Team Farah at Forward Operating Base Farah, Farah province, Afghanistan May 12. The reintegration program gives former Taliban an opportunity to rejoin to rejoin society and be productive in their communities. (U.S. Navy photo by Lt. Benjamin Addison)

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