DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Linke Orientierungen RLP

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 12. Januar 2011

Strategische Orientierungen
der SL und ihre blinden Flecken.

Datei:Schwägalp Passhöhe Wegweiser.jpg

Dr. Vollmann, SL RLP und Mitglied im Bundesausschuss, sieht die Ergebnisse der SL-Versammlung so:

„Liebe GuG,
unser Kölner Genosse Christoph Butterwegge hat auf der Bundesmitgliederversammlung der Sozialistischen Linken sozusagen im Tandem mit Oskar Lafontaine ein grundlegendes Theoriereferat gehalten. Das Referat von Oskar …ist wegweisend für Taktik und Strategie der LINKEN in den nächsten Jahren.
… das Referat von Christoph mit einem höchst aktuellen Bezug. Er hat in der ihm eigenen differenzierten und präzisen Art das „Phänomen“ Sarrazin analysiert und es in hervorragender Weise so abgegrenzt und definiert, dass man daraus eine Menge tieferes Veständnis über den gegenwärtigen ideologischen Entwicklungsstand unserer Gesellschaft gewinnen kann.
Die Bundesmitgliederversammlung der SOZIALISTISCHEN LINKEN SL in Frankfurt/ Main … war auch in theoretischer Hinsicht ein großer Erfolg, den man angesichts der „heruntergekommenen Diskussion“, die Leute wie Bartsch und Ramelow unserer Partei aufoktoyieren möchten, schon als echtes Highlight bezeichnen kann.
Rote Grüße
WiVo“

(Hervorhebungen Bewi)
_________________________________________________________________________________________

Kommentar

Vollmann erweist sich, im Widerspruch zur Dialogorientierung im Beschluß der SL Bundes-MV, als denunziatorischer Agitator.

Er verkauft dem Parteivolk eine Agitationsrede Lafontains als grundlegendes Theoriereferat und Butterwegges partielle Problemanalyse als strategische Orientierung. Mag sein, das Dr. Vollmann die Beiträge so verstanden hat. Aber, die Mitglieder können selbst denken und sollten zum selber denken ermutigt werden. Zur Überbetonung der Bedeutung von „Führerreden“ neigen eben die sozialautoritären Persönlichkeiten der SL.  Zudem ist die SL und Dr. Vollmann nach wie vor weit davon entfernt sich auf die Theorieangebote des FDS in der Programmdiskussion ernsthaft einzulassen.

Der Beschluß der Mitgliederversammlung der Bundes-SL, zum Sarrazinismus und das Referat Lafontaines verdienen herausragende Aufmerksamkeit in der Landespartei, unabhängig von Strömungsorientierungen. Eine zentrale Frage an diese Dokumente ist gemäß ihrer eigenen Intention die Glaubwürdigkeit der Partei DIE LINKE, das Vertrauen in sie und ihre Anstrengungen diese politischen Wirkungsfaktoren zu erhalten bzw. zu gewinnen. Insbesondere im Westen der Republik ist eine klare politische Identität in Unterscheidung von SPD und Grüne in der Opposition zu entwickeln.

Diese Dokumente, die kritische Auseinandersetzung, sind auch bedeutsam für den Landesprogrammparteitag der Partei in Rheinland-Pfalz.

Zugleich empfehle ich die „13 Thesen des „forum demokratischer sozialismus“ (fds) als Kurzfassung, als auch in Langfassung zum Entwurf des Programms der Partei DIE LINKE zu studieren. Dieser Beitrag stellt alles andere als eine „heruntergekommenen Diskussion“ dar, wie es Dr. Vollmann den Parteimitgliedern einzureden sucht.

Wo liegen Leistungen und einige der entscheidenden Schwachstellen im Referat von Lafontaine?

1. Er personifiziert mehrfach im Kapitalismus wirkende Kräfte. (Bankmanager) Dafür erhielt er Beifall…
2. Er denunziert pauschal andere Positionen in der Partei, er nennt keine konkreten Personen und keine konkreten Positionen. Dafür erhielt er Beifall…
3. Er bewertet bürgerliche Medien und damit die Meinungs- und Pressefreiheit herablassend abwertend. Das ist bereits zu einer Grundtendenz in der Partei geworden. Er kokettiert… da die bürgerliche Presse nicht anwesend sei, könne er offener reden… Dafür erhielt er Beifall… Die Einschränkung der innerparteilichen Dialogfähigkeit, Intransparenz, Diffamierung und Dominazgebaren, rigides Durchwählen durch organisierte
Mehrheiten benennt Lafontaine nicht als eine der Ursache für die Herstellung von „Gegenöffentlichkeit“ im innerparteilichen Streit.
4. Er beansprucht für die Vertreter der Partei West, insbesondere aus SPD und Gewerkschaften die innerparteiliche Führungsrolle. Das die Partei vor der Herausforderung einer gemeinsamen Politik unter den Bedingungen von zwei Gesellschaften in Deutschland steht thematisiert er nicht. Das die Partei in den ostdeutschen Ländern bei Wahlen erfolgreicher ist und die Parteimitglieder mehrheitlich aus den Ostländern (bei ca. 17% der Einwohner) kommen, thematisiert er nicht.
5. Er übernimmt keine Mitverantwortung für die mißlungene Austragung innerparteilicher Konflikte.
Lafontaine setzt strategische Schwerpunkte. Sie sind wesentlich ökonomistisch. (Finanzmarktsystem neu ordnen; Neukonstruktion des Eurosystem; sichern durch gemeinsame europäische Wirtschaftsregierung) Sie erscheinen, wie auch schon im Entwurf des Parteiprogramms, aber in ihrer konkreten Ausgestaltung dann eher als „verlängerte“ Wahlkampfprogrammatik, als „sozialistisches“ Sofortprogramm. (Mindestlohn, Wiederherstellung Arbeitslosenversicherung, solidarischer Renten- und Sozialversicherung)

Seine wirtschaftspolitischen Kernforderungen verdienen außerordentliche Beachtung, aber sie sind weit davon entfernt allein ein Konzept zur Transformation der Gesellschaft zu sein und breite Wählerschichten in ihren konkreten Lebenslagen und Hoffnungen anzusprechen. Noch wesentlicher ist jedoch, dass mit diesen strategischen Orientierungen allein nicht die Frage beantworten werden kann, wie die neoliberale Hegemonie gebrochen werden kann. Die potenziellen Subjekte linker Politik bleiben unscharf, wenn sie konkreter werden sind es die „Absteiger“, die sozial Ausgeschlossene, vom sozialen Ausschluss bedrohte Menschen und traditionelle ArbeitneherInnenmilieus. Lafontaine grenzt seine Linkspolitik bewusst von der gesellschaftlichen Mitte (bei ihm gleich Bürgertum) ab. Wesentlich jedoch, Lafontaine betont, DIE LINKE habe eine bedeutende Verantwortung rechtpopulistische Trends zu stoppen. Das gehöre in Europa zu ihren Leistungen!

Zugleich fordert er mehr Staat, Wirtschaftsdemokratie, politisches Streikrecht und eine andere Gewerkschaftspolitik. Jedoch – Die Ursachen für die Entwicklungen in der SPD („alle ihre zentralen Entscheidungen waren falsch“) und den Gewerkschaften benennt er nicht konkret. Er erweckt den Anschein, als möchte er sich und die in der Mitverantwortung Gestandenen der vergangenen Jahrzehnte vor einem „Vergangenheitsdiskurs“ verschonen.

Herausragende Beachtung verdient die strategische Position sozialistischer Politik, dass die demokratische Gesellschaft erst durch Demokratie in der Wirtschaft, im Kern durch veränderte Eigentumsverhältnisse (Sicherung der gesellschaftlichen Verfügungsgewalt) und grundsätzliche Infragestellung von Eigentum, das anders als durch eigene Arbeit erworben wurde, auf sicheren und wirklich demokratischen Fundamenten ruht.

Beschluss der Bundesmitgliederversammlung (der SL), Frankfurt am Main am 18. 12. 2010,  S.4: „DIE LINKE stärken, damit sie wirkt! „Eine Instrumentalisierung von partei-externer Presse für die interne Auseinandersetzung und das Spielen >über Bande< über Konzernmedien muss von allen in der Partei aufs Schärfste verurteilt werden. Wer eine kulturvolle Debatte wünscht, sollte nicht GenossInnen mit anderer Auffassung in der Presse denunzieren. Wir streiten für einen breiten innerparteilichen Konsens, der so ein unsolidarisches Verhalten ohne Wenn und Aber ablehnt.“

(Damit erhält Lafontaine Beifall, eine Antwort auf die Transformation gesellschaftlicher ökonomischer Verhältnisse ist es jedoch nicht). Freiheit sei gemeinschaftlich Erarbeitetes auch gemeinschaftlich zu verwalten. Wenn wir das Grundgesetz ernst nehmen, dann seien eine andere Wirtschaftsordnung, dann seien andere Eigentumsverhältnisse zwingend notwendig, so Lafontaine. Unklar bleibt, wie schon im Entwurf des Parteiprogramms, in welchem Verhältnis Eigentum und neue Vergesellschaftungsmodi stehen und welches konkrete, mobilisierende Programm die Menschen im Lande darauf anzusprechen vermag.

Warum Lafontaine allerdings von „Wiederherstellung“ der Demokratie in der deutschen kapitalistischen Gesellschaft spricht bleibt sein Geheimnis, vermutlich ist es aber sein Zugeständnis an die eigene politische Vergangenheit und das darin eingeschlossene Mißverständnis, in der Bundesrepublik sei die Demokratie bereits umfassend verwirklicht (Notstandsgesetze, Berufsverbote, VS-Überwachung der Linken) und es habe jemals einen „goldenen Kapitalismus“ fürs Volk gegeben. Die Kritik der Politik der SPD und der Gewerkschaften, des sozialdemokratischen Wohlfahrtstaatsmodells, die Verklärung der Herrschaftsverhältnisse in einer korporatistischen Gewerkschaftspolitik und die Wegbereitung hin zur neoliberalen Hegemonie in der sozialdemokratischen Politikperiode bleiben weiterhin Tabuthemen.

Hat Lafontaine einen zentralen blinden Fleck?

Ja, er erklärte mehrfach, er könne nicht verstehen, warum die Mehrheit des Volkes gegen die eigenen Interessen handelt (zum Beispiel bei Wahlen), obwohl er und GenossInnen doch so leidenschaftlich über „die Wahrheit“ über „den Kapitalismus“ aufklären. Lafontaine stellt die Frage, warum die Linke nicht mehr Wirkung erziele. Zugleich glaubt er, die bisherige Politik der Linken müsse nur stabilisiert und ausgebaut werden, um sein Sofortprogramm verwirklichen zu können.

Auf diese Frage, warum die Mehrheit des Volkes gegen die eigenen Interessen handelt, möchte ich in diesem Beitrag abschließend eingehen.

Hilfreich ist Lafontaines schonungsloser Realismus, wenn er die lähmenden, demobilisierenden Folgen „fruchtloser Demos“ benennt. Ob er jedoch richtig analysiert, wenn er politische Anpassungsprozesse in der Republik (Mindestlohn, Hartz IV u.a.) insbesondere auf Existenz und das Wirken der Linken zurückführt?

Lafontaine äußerte sich dezidiert zur Einschätzung der GRÜNEN und der SPD und zu Bündnisbedingungen. Hervorheben möchte ich seine Frage, ob diese Parteien ein tragfähiges Verhältnis zur Linken entwickeln und ebenfalls hervorheben möchte ich seine Aussage, dass DIE LINKE sich nicht programmatisch „anbiedern“ darf.

Lafontaine nimmt die individuellen Freiheitsrechte nicht zentral in den Blick. Wenn er zu den ungelösten Fragen linker Politik eine ökologische Wirtschaftsordnung rechnet, dann berührt er aber meines Erachtens die Defizite an Emanzipatorischen in seinen Politikvorstellungen, die tatsächlichen Subjekte der Politik als sich selbst ermächtigende und eigenverantwortlich Handelnde bleiben nämlich unerkannt oder zumindest unterschätzt, obwohl Lafontaine appelliert in gemeinschaftlicher Verwaltung (ökologische) Verantwortlichkeit zu entwickeln.

Lafontaines Orientierungen wurden im Beschluß der Mitgliederversammlung 1:1 umgesetzt. Damit stellt sich die SL nicht im Ansatz anderen Diskursen in der Partei. Lafontaine und die SL beanspruchen offen die Hegemonie in Partei und Stiftung (Rosalux). Die bisher diffuse SL, mit ambivalenten und auch anspruchsvollen Erkenntnissen wird damit vereinfacht und vereinseitigt.

Butterwegge zum „Sarrazynismus“ und zur Politik der Partei

Christoph Butterwegge ersparte seiner Partei einen Blick auf den Sarrazinismus in den eigenen Reihen, in den Gewerkschaften und in deren nationalistischer Standortsicherungspolitik Er ermutigt die Partei mit ihrer Politik dazu beizutragen den Rechtspopulismus zu stoppen. Dies allein mit der Aufrufung zur Empörung gegen Sarrazins Sozialrassimus zu bewerkstelligen, greift entschieden zu kurz.

Butterwegge widerspricht sich bei der Analyse der Motivlage, der Absichten, der Funktion Sarrazins. Aus meiner Sicht ist Sarrazin angetreten, die Krise des hegemonialen neoliberalen Projekts im ideologischen Feld zu stoppen, indem er der alltäglichen Fühl- und Erfahrbarkeit der sozialen Entsicherungspolitik und der Flexibilisierungsstrategie Ursachen und Notwendigkeiten zuweist.

Neoliberale emotionalisierte Gesamtschau, Festigung oder Absicherung neoliberalen Terraingewinns in der Kultur der Gesellschaft, Festigung und Verbreiterung des Einverständnisses mit der Entsolidarisierung und Privatisierung der Risiken sind Sarrazins Programm. DIE LINKE hat bisher darauf keine attraktiven Antworten, mit der „sozialen Frage“ allein, wird sie den politischen Herausforderungen nicht gerecht.

Warum erzielt die Linke nicht mehr Wirkung? 2010 – ein verlorenes Jahr!

Lafontains Linkspopulismus kommt an das Ende seiner Wirkungskraft, der Meisterpropagandist diagnostiziert bei seinen Klienten „Schafsgeduld“ und fragt, warum die „soziale Frage“ nicht ins Zentrum des politischen Widerstandes der BürgerInnen gelangt. (Statt Castor und Stuttgart 21) Lafontaine hat jedoch keinen Zweifel, mit seinem Politikangebot „die Interessen der Mehrheit“ angemessen zu formulieren, obwohl er mehrfach erklärt, er könne das Wahlvolk angesichts seiner Passivität nicht verstehen. Er forderte dazu auf, diese Frage zu durchdringen. Zur Befassung mit der Gesellschaftsanalyse des FDS ruft er nicht auf, obwohl sich gerade dort erste Antworten finden. Mein Eindruck, Lafontaine und viele westdeutsche sozialdemokratische Akteure sind gefangen in den Weltbildern „ihrer“ Bundesrepublik, zugleich behandeln sie die ostdeutsche und die internationalen linken Forschung zum Sozialismus und zu Transformationskonzepten mit Geringschätzung.

Doch wird Lafontaine und die SL damit der Komplexität unserer Gesellschaft, der Differenziertheit und der Ambivalenzen im Kapitalismus und den Gründen für die neoliberale Hegemonie und ihre Funktionsmechanismen gerecht?

Die SL befindet sich im taktischen Bündnis mit Trotzkisten und der KPF. Lafontaine und die SL erwecken den Eindruck sie seien die linken Radikalen in der Partei. In diesen Fragwürdigen „Überbietungswettbewerb“ linker Rhetorik hat nun jüngst auch die Parteivorsitzende Genn. Lötzsch mit ihrem Bekenntnis zum Kommunismus eingestimmt. Es scheint so, dass der Kampf um Hegemonie in der Partei, der Kampf um die Mehrheit der Mitgliederherzen und Stimmen mit linker Rhetorik gewonnen werden soll.

Wenn DIE LINKE die neoliberale Hegemonie brechen will (Politikwechsel, Transformation); dann muss sie angemessen verstehen, was diese neoliberale Hegemonie darstellt, d.h. zu verstehen lernen, wie Herschaft heute funktioniert, warum Menschen wollen, was sie im Sinne der Neoliberalen sollen.

Was ist die zentrale strategische Herausforderung für die Linke?

Die Gesellschaft in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit so zu verstehen, dass sie beitragen kann, die Subjekte linker Politik, linker gesellschaftlicher Transformation zu entwickeln, einschließend ihre eigene emanzipatorische Subjektwerdung. Das heißt zunächst, mit den Subjekten linker Politik, Mitgliedern der Partei, den potentiellen WählerInnen in einen wirklichen Dialog zu treten und deren Bedürfnisse aufzugreifen. Lafontaine und die SL engen die Bündnisfähigkeit der Partei DIE LINKE ein. (Ebenso, wie die dogmatische Sturheit der antikapitalistischen Linken an den Herausforderungen der realen Gesellschaft vorbei geht.) Die vorgenommene Ausrichtung der SL hat ihre Gründe u.a. in der engen Sicht auf die eigene Klientel und deren Interessen, aber auch im mangelnden Selbstbewußtsein, andere, als die „Absteiger“ und die von „Abstieg“ bedrohten BürgerInnen in einem gemeinsamen solidarischen Projekt erreichen zu können. Insbesondere auf die Aktivierung der Zielgruppe der „NichtwählerInnen“ zu setzen kann für Wahlkämpfe, aber auch für die Ermöglichung, für die Ermutigung der Absteiger zu Emanzipation und Widerstand nicht hilfreich sein.

Bernd Wittich Ludwigshafen, 11. Januar 2011

Lederer, Klaus: Programmatisch festgefahren. Warum Die Linke sich ändern muss

—————————————————————————————

Grafikquelle  :  Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 Schweiz“ lizenziert.

Quelle Eigenes Werk
Urheber Schofför

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>