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Letzte Ausfahrt vor Polen

Erstellt von Redaktion am Sonntag 9. Februar 2020

Penkun – eine Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern 

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Aus Penkun Gesa Steeger

– kämpft um ihre Schule und um ihr Bestehen. Soll man Orte wie Penkun fördern oder aufgeben? Während darüber noch gestritten wird, machen die Penkuner einfach weiter.

In der Stadt Penkun ist es so: Es sind nicht mehr so viele da, aber weitergehen muss es trotzdem. Das Schloss braucht einen neuen Investor, die Alten den kleinen Laden am Marktplatz, den sie hier immer noch Konsum nennen. Und was wäre eine Stadt ohne Schule?

Nix. Ohne Schule wär der Ort tot, sagt Bernd Netzel. Schließe die Schule, dann gehe „der Rest auch hopp“. Zuerst die Familien, dann der Konsum, der Bäcker und schließlich die Vereine. Netzel schaut aus dem Fenster seines Büros. Drüben steht ein brauner Klotz, mit grauem Dach und ein paar Bäumchen im Hof. Das ist die Regionalschule, 5. bis 10. Klasse. Netzels Sorgenkind.

29 Jahre war Bernd Netzel Bürgermeister (FDP) von Penkun, ehrenamtlich, seit der Wende bis hinein in den letzten Sommer. Jahre, in denen Netzels Bürstenhaarschnitt grau wurde und die Stadt sich leerte. In denen er sich für den Erhalt der Schule abmühte. Vielleicht vergeblich.

Rund 100 Schüler besuchen die sieben Klassen der Regionalschule, eigentlich zu wenig. Seit Jahren erteilt das Land immer wieder Ausnahmeregelungen, damit hier der Unterricht stattfinden kann. Das Dach ist undicht, die Fenster ebenso. Die Klassenzimmer tragen die Patina der 1960er Jahre. Es riecht nach alten Gardinen. Neu sind hier nur die neonfarbenen Turnschuhe der Kinder.

Eine Sanierung würde mehrere Millionen Euro kosten. Geld, das die Stadt nicht hat. Geld, das vom Land und vom Bund kommen müsste. Mehrere Millio­nen für die Rettung einer Schule und einer Stadt im Nirgendwo. Lohnt das?

Die letzte Ausfahrt vor Polen, das ist Penkun. Aus der Ferne erinnert die Stadt an eine einsame Insel, die es irgendwie in den äußersten Osten Mecklenburg-Vorpommerns verschlagen hat. Drei Seen, in der Mitte eine Kleinstadt. Rund 1.700 Menschen leben hier, zählt man die vier nahen Dörfer dazu; früher waren es mal fast doppelt so viele. Vor der Wende. In 30 Minuten ist man mit dem Auto in Stettin. Nach Schwerin, der Landeshauptstadt, sind es knapp drei Stunden. Der nächste Bahnhof ist zehn Kilometer entfernt. Alles scheint hier weit weg zu sein, versteckt hinter braunen Winterfeldern und Nadelwald.

In Studien zur ländlichen Raumentwicklung tauchen Orte wie Penkun oft dort auf, wo es um abgehängte Regionen geht. Meist liegen diese im Osten von Deutschland, irgendwo abseits der Autobahn. Gemeinsam ist ihnen nicht nur die Örtlichkeit, sondern auch die Umgebung. Plattes Land, viel Platz. Und die Gesamtlage: Strukturschwach ist ein Wort, das diesen Regionen anheftet wie ein unliebsames Etikett, das man auch nach viel Rubbeln nicht loswird.

Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat berechnet, dass bis 2035 vermutlich nur noch 1,4 Millionen Menschen in Mecklenburg-Vorpommern leben werden. Rund 500.000 weniger als zu Wendezeiten.

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Eine weitere Studie der Forscher zeigt: Wo Menschen verschwinden, da gerät die Grundversorgung ins Rutschen. Wo niemand lebt, investiert auch keiner. Zurück bleibt die Randlage. Schon heute sind die Menschen in diesen Regionen rund drei Jahre älter als in den Städten. Die Einkommen niedriger, die Busse fahren seltener bis gar nicht. Die Schulwege sind weiter und die Menschen öfter ohne Job. Was also tun mit diesen Orten?

Unwirtschaftliche Regionen müsse man finanziell aufgeben, riet jüngst eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, und dort investieren, wo es sich lohnt: in den Zentren, den Städten. Schwerin, nicht Penkun.

„Die Politik und die Öffentlichkeit müssen akzeptieren, dass es gerade die Städte in Ostdeutschland sind, die die wirtschaftliche Konvergenz Ostdeutschlands voranbringen können“, schreiben die Forscher.

Die Bundesregierung hält dagegen. „Unser Ziel sind gleichwertige Lebensverhältnisse im urbanen und ländlichen Raum in ganz Deutschland.“ So steht es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Bis 2021 sollen 12 Milliarden Euro fließen. Geplant ist der Ausbau von Breitband und die Schließung von Funklöchern mit 5G. Mehr Busse und Bahnen, auch abseits der Zentren, und die Förderung von Bildung, Tourismus, Wirtschaft und Ehrenamt.

Heimatminister Horst Seehofer tourte im letzten Jahr durch Deutschland. „Ich möchte nicht nur mit Geld, sondern auch mit Strukturen unterstützen, um die Regionen Deutschlands noch stärker zusammenbringen. Deshalb bin ich auf Deutschlandreise.“ So steht es auf der Seite des Ministeriums. Im Januar initiierte die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner eine neue Kampagne für ein besseres Leben auf dem Land. Der Titel: #Dorfkinder. Mittelpunkt sind Fotos von Kindern, die in blühenden Getreidefeldern stehen. Sie lächeln. Von abgehängten Regionen ist wenig zu sehen.

Was also tun mit diesen Orten? Aufgeben oder fördern? Was braucht ein Ort zum Überleben? 5G, eine Bushaltestelle oder mehr Touristen? Oder, wie in Penkun: einfach eine Schule?

Fragt man Bernd Netzel nach seinem Lieblingsort in Penkun, sagt er: „Irgendwo draußen, mit dem Hund.“ Nach Feierabend geht er oft ein Ründchen um den See. Das passt irgendwie. Netzel ist keiner, der gerne die Füße stillhält.

An diesem Januarmorgen sitzt er in seinem Büro, im zweiten Stock eines neuen Klinkerbaus. Die Straße runter geht es zur Kirche und zum Markt, auf dem ein paar alte Linden dem Winter trotzen. Viele Fassaden sind hier bunt, mehrere Läden stehen leer. Die ehemalige Fleischerei, ein Blumenladen. Nur die Apotheke ist voll. Der durchschnittliche Penkuner ist zwischen 55 und 65 Jahre alt.

Netzel hat keinen Kaffee mehr und bringt stattdessen Früchtetee. Das Büro hat der 63-Jährige noch aus Zeiten seines Amtes. Früher lenkte er hier die Geschicke der Stadt. In einer hellen Holzvitrine, im unteren Fach, liegt noch der Schlüssel der Stadt Penkun. Ein goldenes Unding, so lang wie ein Unterarm.

Heute leitet Netzel hier einen Fahrservice mit 14 Autos, die in Penkun den öffentlichen Nahverkehr ersetzen. Die Stadt ist nicht gerade ein Verkehrsknoten. Der Bus kommt etwa einmal die Stunde. Wer zwischendurch zum Arzt muss, der ruft bei Bernd Netzel an. „Netzel“, meldet er sich knapp zur Begrüßung und schiebt ein „Das kriegen wir hin“ hinterher. 29 Jahre als Bürgermeister sind nicht einfach vorbei, die klingen nach.

Schaut man sich Netzels Bilanz an, dann könnte man sagen, er war ganz erfolgreich in den letzten Jahrzehnten. Er hielt Büttenreden im Karnevalsverein und überreichte Blumen zum runden Geburtstag. Ließ eine Kanalisation bauen, eine neue Grundschule und ein Gewerbegebiet. Er öffnete die Stadt für junge Familien aus dem nahen Polen und feierte Erfolge mit dem Penkuner Fußballverein. Landesliga, 2003.

Kurz, er hielt Penkun fern vom Niedergang, trotz ständiger Löcher im Haushalt, der Jungen, die es in die Städte zog, und der Randlage. „Mir ging es immer um die Stadt, um die Menschen“, sagt Bernd Netzel jetzt. „Auch wenn es nicht immer einfach war.“

Er weiß: Stadtentwicklung ist auch der Kampf um Standortvorteile, um Zuzügler und Steuereinnahmen, um eine belebte Stadt. Und den droht Penkun gerade zu verlieren. Die Stadt hat rund 4 Millionen Euro Schulden. In den letzten fünf Jahren wachte ein Sparbeauftragter des Landes über den Haushalt. Der setzte ein Ultimatum: Entweder man spare Gelder ein, oder die Regionalschule müsse schließen. „Eine Katastrophe“, sagt Netzel. Denn ohne diese Schule, sagt Netzel, könne der Ort einpacken.

Die Grundschule von Penkun geht nur bis zur 4. Klasse, danach ist Schluss. Netzel befürchtet, dass Eltern woanders hinziehen, wenn die weiterführende Schule dichtmacht.

Das Problem mit der Regionalschule ist nicht neu. Bereits seit 2002 läuft die Schule nur noch mit Ausnahmegenehmigung. In den letzten 20 Jahren hat sich die Zahl der Kinder hier halbiert. Die Klassen sind eigentlich zu klein, um die Kosten für Lehrer, Strom und Wasser zu rechtfertigen. Trotzdem gelang es Netzel immer wieder, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es gab Zeiten, da klapperte er mit einem Kleinbus die benachbarten Dörfer im nahen Brandenburg ab, um die Schüler zum Unterricht zu bringen. „Wenn dir keiner hilft, hilf dir selbst“, sagt Netzel. Es klingt nicht trotzig, wie er das sagt, eher stolz. Das könnte jetzt nicht mehr reichen.

Denn wer schickt sein Kind schon auf Dauer auf eine Schule, in die es hineinregnet?

Von außen ist der Verfall nicht zu sehen. Groß und grau steht die Schule da, auf dem Hof stehen Jugendliche zusammen. Manche sprechen polnisch. Erst wenn man richtig hinschaut, sieht man den „Sanierungsstau“, wie Netzel es ausdrückt. Löcher in den Fenstern, eine Aula, die noch Original 1950er Jahre ist, und ein undichtes Dach.

Um die Schule zu retten, hat die Stadt einen Plan gefasst: die Zusammenlegung von Grund- und Regionalschule. 100.000 Euro für Strom und Unterhalt sollen so jährlich eingespart werden. Das Problem ist, eine Zusammenlegung würde 7 bis 9 Millionen Euro kosten, das hat eine Machbarkeitsstudie ergeben. Geld, das Penkun nicht hat, aber irgendwie aufbringen muss. Geld, das nur fließt, wenn sichergestellt ist, dass die Schule auch in ein paar Jahren noch besteht. Nur: diese Bestandsgarantie gibt es nicht.

Bis 2022 sei die Schule gesichert, danach werde erneut geprüft, heißt es aus dem Bildungsministerium Mecklenburg-Vorpommern. Der ernüchternde Zwischenstand: Weder ist klar, ob die Schule nach 2022 weiterbestehen wird, noch, wer den gewünschten Umbau finanzieren soll.

Dazu kommt: Die Regionalschule in Penkun ist nicht nur schlecht ausgelastet und hat ein undichtes Dach, sie hat Konkurrenz bekommen.

Rund 30 Kilometer nördlich von Penkun, in der Stadt Löcknitz, 3.300 Einwohner, entsteht in diesen Tagen ein neuer Schulcampus. In den nächsten Jahren sollen 17 Millionen Euro in das Projekt fließen. Das Geld kommt aus Töpfen von Land, Bund und EU. Eine neue Schule für 1.000 Kinder. Löcknitz wächst, vor allem durch den Zuzug von polnischen Familien, die vor den hohen Mietpreisen in Stettin in deutsches Randgebiet flüchten.

Schloss in Penkun (Uckermark) - geo.hlipp.de - 9857.jpg

Warum also in Penkun investieren? In eine Schule für 122 Kinder, deren Schülerzahlen seit Jahren stagnieren? In eine Stadt, die noch nicht mal eine Eisdiele hat?

Erklären will das Eckart Rothe, Penkuner, Tischlermeister und seit elf Jahren Mitglied im Stadtrat. Er ist neben Bernd Netzel einer der größten Unterstützer der Regionalschule in Penkun. Am Telefon schlägt er vor, sich auf einen Kaffee am Marktplatz zu treffen. Das Café ist nicht zu verfehlen, es ist das einzige in der Stadt. Zwei ältere Damen servieren in weißen Kittelschürzen Mittagstisch und warme Getränke. „Kremtorte und Kaffe“ drei Euro.

Quelle           :          TAZ           >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen     :

Oben      —         Südwestlicher Ortseingang

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2.)  von Oben         —           Penkun, Werner-von-der-Schulenburg-Straße

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