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Kritiker-Verfassungsschutz

Erstellt von Redaktion am Sonntag 15. April 2018

„Die kennen mich über 40 Jahre“

Datei:Fsa09, Rolf Goessner.jpg

Das Interview führte Benno Schirrmeister

Rolf Gössner ist einer der bekanntesten Geheimdienstkritiker der Republik. Seit 1970 wurde er selbst überwacht. Ein Gespräch.

taz am wochenende: Herr Gössner, wenn Ihnen an diesem Interview etwas nicht gefällt, können wir es ja schwärzen.

Rolf Gössner: Ja, toll, so machen wir’s. Schwärzen ist hip.

Die Version Ihrer Verfassungsschutzakte, die Ihnen nach langem Hin und Her vorgelegt werden musste, hat über 2.000 Seiten und ist zu 90 Prozent geschwärzt.

Sagen wir lieber zu 80 Prozent, ich habe es nicht genau nachgezählt. Jedenfalls ist die überwiegende Mehrzahl der Seiten entweder ganz oder teilweise von Hand geschwärzt.

Jetzt kann man gerade noch durch die verschiedenen „Handschriften“ der Schwärzer auf den unterschiedlichen Inhalt der Seiten schließen.

Nicht unbedingt auf den Inhalt, aber zumindest auf unterschiedliche Charaktere der Schwärzer: akribisch oder eher lässig geschwärzt. Oft bleiben gerade noch Ort, Datum und Name. Bei Artikeln und Aufsätzen steht noch dabei, wo sie erschienen sind – etwa in Geheim, der FR oder der taz. Wenn es sich um mögliche Spitzelberichte handelt, sieht man oft nur, dass es sich um Anschreiben an das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln handelt.

Sie wurden 38 Jahre lang, von 1970 bis 2008, vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht. Wissen Sie mittlerweile, wer Sie bespitzelt hat?

Nein. Das will ich auch lieber nicht wissen. Darf ich auch gar nicht, weil die Spitzel ansonsten an „Leib und Leben“ gefährdet wären, wie das Bundesinnenministerium in seiner Sperrerklärung behauptet. Das nennt sich „Quellenschutz“, deshalb die Schwärzungen. Dabei habe ich gar keine Rachefantasien. Das sollte der Verfassungsschutz doch wissen, die kennen mich ja seit über 40 Jahren.

Es hätte ja auch sein können, dass sich ein Spitzel nach all den Jahren bei Ihnen offenbart, um sich zu entschuldigen.

Das ist bisher nicht passiert. Es handelt sich wohl um Zuträger oder auch V-Leute, die auf politische Organisa­tio­nen angesetzt waren. Wenn ich etwa einen Vortrag gehalten habe bei einer Organisation wie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die ihrerseits unter VS-Beobachtung steht, weil sie als „linksextremistisch beeinflusst“ gilt, hat eben einer der anwesenden Spitzel auch über meinen Vortrag und die Diskussion berichtet.

Wie begann denn Ihre Überwachung durch den Verfassungsschutz?

Als Jugendlicher hatte ich eine Freundin in Polen. Es war die Zeit des Kalten Kriegs. Als ich sie im „Ostblock“ besuchen wollte, suchten Beamte meine Eltern auf, um sie zu warnen: Ich sei gefährdet, womöglich von einem östlichen Geheimdienst angeworben zu werden.

Moment, das wäre dann ja noch vor 1970 gewesen, als Ihre Überwachung offiziell begann.

Ja, über meine Überwachung vor 1970 gibt es im Bundesamt keine Akten, das war vermutlich das Landesamt in Baden-Württemberg. Später kamen aufgerissene und zensierte Briefe dazu, ich wurde observiert und mein soziales Umfeld ausgeforscht. Als ich in Freiburg studierte, sind meine Nachbarn über mich ausgefragt worden, was die mir dann verraten haben. Aber erst seit 1996 weiß ich wegen eines Auskunftsantrags sicher, dass mich das Bundesamt für Verfassungsschutz spätestens seit 1970 beobachtete und eine Personenakte über mich führte.

Wie wurde Ihre Überwachung denn begründet?

Die ursprüngliche Begründung war das, was ich als „Kontaktschuld“ bezeichne – also mein beruflicher Umgang mit Menschen und meine Kontakte zu Organisationen, die als „linksextremistisch“ gelten.

Also Organisationen wie die Deutsche Kommunistische Partei oder die Rote Hilfe?

Der Verfassungsschutz beschuldigt mich bis heute, ich hätte – so wörtlich – als „prominenter Jurist“ solche Organisationen durch meine Auftritte, durch meine Beiträge oder anwaltliche Beratung „nachdrücklich unterstützt“. Erst während des Gerichtsverfahrens gegen diese Überwachung sind sie auf den Trichter gekommen, dass sie nachlegen müssten, um damit vor Gericht zu bestehen. Dafür hat man den Inhalt meiner Texte so verdreht, als wären sie verfassungsfeindlich. Einer der Vorwürfe: Ich wolle mit meiner „diffamierenden“ Kritik an der Antiterror- und Sicherheitspolitik den Staat wehrlos machen gegen seine inneren Feinde.

File:Carl-von-Ossietzky-Medaille 2014-12-14 4.jpg

Sie konnten eigentlich nichts richtig machen: Dass Sie kein Mitglied einer verfassungsfeindlichen Organisation waren, galt dem Verfassungsschutz als besonders verdächtig.

Ich nenne das inquisitorisch: Egal was wir tun oder lassen, wir sind schuldig und bereits verdammt. Und es kann alles zum Vorwurf werden, das Tun und das Unterlassen, das Geschriebene und das Ungeschriebene. So wird mir auch angeblich einseitige Kritik am Westen angekreidet und, das muss ich mal zitieren, „fehlende Distanzierung von der DDR, der Stasi, der UdSSR, dem Gulag und allen Verbrechen des Kommunismus“.

Wenn Sie eine Stasi-Distanzierung verfasst hätten, wäre die wohl auch nur als Camouflage gedeutet worden.

Mir ist völlig unklar, wie man auf diesen Vorwurf kommen konnte. Ich habe die Stasi-Aufarbeitung seinerzeit mitbetrieben, habe Bürgerrechtsgruppen der DDR beraten. Während einer DKP-Konferenz, zu der ich als Gastredner eingeladen war, störte mich die nostalgische DDR-Verklärung, weshalb ich intervenierte: Was ich hier an Staatskritik betreibe und über Sicherheitspolitik der BRD schreibe – was glauben Sie, wo ich gelandet wäre, wenn ich das in der DDR getan hätte? Ich wäre nicht nur von einem Inlandsgeheimdienst überwacht worden, es wäre da sehr schnell zum Vollzug gekommen – in Bautzen oder sonstwo. Für diese Überlegung habe ich damals mächtig auf die Mütze bekommen – von manchen aber auch Zuspruch.

Es bleibt aber die Frage, ob und wie es funktionieren kann, sich das Leben zurückzuholen aus dem Zugriff des Geheimdienstes.

Ich weiß nicht, ob das wirklich funktioniert. Doch ich finde, es ist mir ganz gut gelungen, angemessen damit umzugehen, dass ich ein ganzes Arbeitsleben lang geheimdienstlich ausgeforscht worden bin und der Verfassungsschutz sich ein Feind- und Zerrbild von mir machte.

Haben Sie nie ans Aufgeben gedacht?

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Grafikquellen :

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Beschreibung
English: Rolf Gössner auf der Demonstration „Freiheit statt Angst“ 2009
Datum
Quelle http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Bild:Mho_-91.jpg
Urheber Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

Lizenz

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Namensnennung
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Deutsch: Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2014 der Internationalen Liga für Menschenrechte an Edward Snowden, Laura Poitras and Glenn Greenwald. Laura Poitras empfängt die Medaille für Edward Snowden. Von Links nach rechts: Edward Snowden (Videokonferenz), Fanny-Michaela Reisin, Laura Poitras, Rolf Gössner.
Date
Source Own work
Author Michael F. Mehnert

 

 

 

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