Erstellt von Redaktion am Dienstag 7. April 2020
Strafverfolgung im Shutdown
Was macht das Verbrechen in der Corona-Depression? Welche Gefahren drohen? Was sagt die Statistik? Ein Ausblick ins Ungewisse.
Daten und Taten
Darf ich Sie einmal kurz von der Betrachtung der Seuchenlage und den Vorhersagen zum Überleben der Marktwirtschaft ablenken? Ich wage das, weil noch nie in der jüngeren deutschen Geschichte das Interesse breiter Bevölkerungskreise an Fragen der Statistik so groß, die Bereitschaft zur kritischen Diskussion empirischer Erhebungen so tief war wie im Moment. Die allgemeine Informiertheit über Arten und Unterarten von Mund- und Nasenschutzmasken, ihre Einsatzgebiete, Herstellungsorte, potenziellen Lieferwege und tatsächlichen Abwege ist phänomenal und wird ergänzt durch Berechnungen darüber, wie viele Masken der Bundesgesundheitsminister zu welchem Zeitpunkt nicht bestellt hat.
Ich weiß, dass Sie dieses Beispiel für geschmacklos halten. Aber Lothar H. Wieler, der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), der mit bewundernswerter Geduld erklärt, was zu erklären ist, wurde bei der Pressekonferenz am 3. April kritisch danach gefragt, ob er im Nachhinein bedauere, dass das RKI die in Deutschland bestehende Gefahrenlage vor fünf Wochen als „niedrig“ und später als „mäßig“ eingeschätzt habe, obwohl sich doch jetzt gezeigt habe, dass sie „hoch“ sei. Wer solche Nachfragen hat, braucht sich über Twitter nicht zu beschweren.
Es dürfen heute aber einmal ein paar erfreuliche Nachrichten verkündet und gewürdigt werden. Sie sind vielleicht nicht ganz unmittelbar mit dem größten News-Ereignis des Jahrtausends verbunden, könnten es aber mit etwas Fantasie sein oder werden, und das allein macht sie wertvoll.
Unbemerkt von Livestreams und Sondersendungen ist am 24. März vom Bundeskriminalamt (BKA) die „Polizeiliche Kriminalstatistik 2019“ (PKS 2019) samt Bericht der Innenministerkonferenz (IMK) veröffentlicht worden. Sie weist die niedrigsten Fallzahlen seit 2005 auf. Normalerweise teilt der Bundesinnenminister alljährlich mit, die Lage sei gut, aber ernst, die Polizei erfolgreich, aber tief besorgt, das Verbrechen auf dem Rückzug, aber weiter gefährlich. Im Hintergrund Raunen über den angeblichen Zusammenbruch der öffentlichen Sicherheit.
Und nun das: Gewaltdelikte gesunken, sexueller Missbrauch erneut gesunken; Straßenkriminalität, Diebstahl, Raub und Einbruch ebenfalls! Auch beim Angrapschen aus Gruppen (Paragraf 184j StGB) geht es nicht voran: Magere 32 Anzeigen, bei denen sich gerade einmal elf verdächtige Personen auftreiben ließen – obwohl doch, wie wir hörten, Hunderttausende von illegalen maghrebinischen Antänzern fast nichts anderes tun. Was die Lage der Natur außerhalb der Mikrobenebene betrifft, ist mitzuteilen, dass im vergangenen Jahr 126 Fälle der Luftverunreinigung (Paragraf 325 StGB) registriert (95 „aufgeklärt“) wurden. Von 53 Tatverdächtigen wurden überdies 58 Mal Abfälle unbefugt in die Welt ausgeführt, was in 48 Fällen in dem Sinn aufgeklärt wurde, dass ein Verdächtiger benannt wurde. Man darf davon ausgehen, dass es sich in den meisten dieser Fälle um eher kleine Fische handelte. Umweltmäßig ist Deutschland, wie wir jährlich aus der PKS lernen, seit jeher praktisch verbrechensfrei.
Schlechte Zeichen für Apokalyptiker, auch wenn wie immer gesagt werden muss, dass die PKS Anzeigen und Verdächtige zählt, nicht bewiesene Taten und überführte Täter. Und dass zwar diese Kriterien über die Jahre gleich sind, ihre praktischen Anwendungen aber nach Zeit, Ort und kriminalpolitischem Schwerpunkt sehr unterschiedlich ausfallen: Wer stark nach etwas Bestimmtem sucht, findet meist auch viel.
Man fragt sich: Was wird Covid-19 mit der Kriminalstatistik machen? Werden die „kriminellen Clans“ die Macht übernehmen? Werden kinderreiche Immigranten als Sieger aus dem Beatmungskrieg hervorgehen? Müssen Polizeieinheiten gegen Toilettenpapierplünderung, Desinfektionsmittelraub und Sterbehilfe aufgestellt werden? Ermuntern Mittelstands- und Hoteliervereinigungen, Bäckermeister und freiberufliche Schauspieler die Bürger zu Umsturz und Bildung bewaffneter Haufen?
Wir halten das für unwahrscheinlich. Eher könnten wir uns vorstellen, dass die Zahl der Insolvenzstraftaten ein wenig steigen könnte: der betrügerische Bankrott etwa (Paragraf 283 StGB) oder die Verletzung der Buchführungspflicht (Paragraf 283b). Man könnte auch höchst vorsorglich an die Gründung von Taskforces gegen betrügerische Beantragungen von Corona-Hilfen denken, an Razzien wegen Wuchers oder Kreditbetrugs, an Strukturverfahren zum Subventionsbetrug durch Vortäuschen von Corona-Folgen.
Das Schlimmste
Auf besondere Weise verbunden werden Coronakrise und Kriminalstatistik in der Diskussion über die Zunahme sogenannter häuslicher Gewalt im virenverursachten Ausnahmealltag. Damit ist eine Mischung von objektiven und subjektiven Faktoren gemeint: längeres, enges Zusammensein von Familien- und häuslichen Gemeinschaften; Konfrontation mit Anforderungen, Wünschen und Eigenarten von Personen, denen man sonst selten begegnet oder ausweicht (Lebenspartner, Kinder); Langeweile und Sinnleere; Sorge um Arbeitsplätze, Wohlstand, Zukunft im Allgemeinen; möglicherweise sogar Furcht vor Erkrankung. Letzteres spielt freilich in den zahllosen Lagebeschreibungen eine durchweg geringe Rolle. Im Vordergrund steht die Herausforderung des Zusammenseins auf (angeblich) engem Raum ohne das übliche Maß zerstreuender und auflockernder Außenaktivitäten.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
Grafikquellen :
Oben — Uferbereich des Weihers im Blücherpark abgesperrt im Zuge der Coronakrise 2020
„© Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons)“
- File:2020-04-05-Blücherpark Corona-3029.jpg
- Erstellt: 5. April 2020
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2.) von Oben — Bäckerei mit Stehcafe in Köln-Ehrenfeld – maximal 4 Kunden im Laden
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016