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Arbeit im Neoliberalismus

Erstellt von Redaktion am Sonntag 22. April 2018

Schuften im Namen der Freiheit

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Von  Alexandra Manske

Kreativberufe gelten als Hort der Selbstverwirklichung. Sie sind aber oft eine Falle, die Selbständige in prekäre Verhältnisse zwingt.

Eigentlich ist sie diplomierte Grafikdesignerin. Doch Frau K. arbeitet als selbstständige Modedesignerin. Unter anderem. Daneben ist sie auf Projektbasis in der freien Theaterszene in Berlin tätig, entwirft und näht dort Kostüme. Wenn es finanziell eng wird, sucht sie zudem zeitlich befristete Nebenjobs. Am liebsten im nahen und weiteren Kulturbereich, etwa in der Gastro­branche, zur Not aber auch in einem Callcenter.

Die Lage von Frau K. ist unsicher, aber nicht einzigartig. Sie ist vielmehr typisches Erkennungsmerkmal der kreativen Klasse. Frau K. gehört zu einer stetig wachsenden Berufsgruppe, die auf der Suche nach selbstbestimmter Arbeit seit den 1970er Jahren in die Kultur- und Medienberufe drängt. In den nuller Jahren dann wurde die kreative Klasse im Einklang mit dem marktverherrlichenden Zeitgeist zur Vorreiterin für Arbeit und Leben im Umbruch zum 21. Jahrhundert erklärt, ja zur Avantgarde eines kulturell modernisierten Unternehmerbildes, begleitet vom wohlklingenden Swing der „Kultur- und Kreativwirtschaft“.

Weil Kreativarbeit projektbestimmt und flexibel funktioniert und ein Selbstverwirklichungsversprechen birgt, das eher auf Freiheit und Selbstbestimmung setzt als auf Pflichterfüllung und entfremdete Arbeit, gilt sie als neues Standardmodell der Arbeitswelt. Der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen hat die kulturellen Folgen eines begierig aufgesogenen Selbstverwirklichungsversprechens „Eigenblutdoping“ genannt. Die kreative Klasse ist sehr gut darin. Mit ihrem Lebensführungsideal des „Eigenblutdopings“ hat sie der alten Mittelklasse symbolisch den Rang abgelaufen. Denn wer will heute nicht kreativ und leidenschaftlich sein?

In Wirklichkeit aber sei die Kreativöko­nomie ein Experimentierfeld für die strukturelle Ent-Sicherung von Arbeit, in dem Kreativarbeiter*innen wie Frau K. ­prekäre Verhältnisse aufgezwungen würden. Zugleich würden sie als Rollenmodell für den zeitgenössischen Arbeitnehmer instru­men­ta­li­siert. So lautet ein wirk­mächtiges Deutungsangebot, vorgetragen etwa von dem französischen Soziologen P.-M. ­Menger.

Die Kreativökonomie als Prekarisierungsfalle – ist das so? Und wenn ja, gilt das für alle Kreativarbeiter*innen?

Geschlecht und Herkunft

Wirtschaftlich jedenfalls ist der Aufstieg der Kreativökonomie nicht zu übersehen. Aktuelle Daten des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) belegen, dass ihr Beitrag zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung in Deutschland im Jahr 2016 etwa 98,8 Milliarden Euro betrug. Allein seit 2011 ist ihr Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung (BIP) von 3,07 Prozent auf 3,14 Prozent gewachsen. Allein die Automobilindustrie erzielt nach den Daten des BMWi eine noch höhere Bruttowertschöpfung. Insgesamt ist die Kreativökonomie mit bis zu. 1,6 Mil­lio­nen Erwerbstätigen zu einem der bedeutendsten Arbeitsmarktsegmente in Deutschland geworden. Das gilt insbesondere für Großstädte wie Berlin, Hamburg oder München.

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Was bisweilen übersehen wird, ist die soziale Verschiedenheit in der Kreativbranche. An dieser Stelle müssen wir auf die Annahme zurückkommen, dass die Kreativökonomie eine Prekarisierungsfalle sei. Im Vergleich zum einstmals voll abgesicherten Arbeitnehmer im Normalarbeitsverhältnis finden sich hier sicher mehr unsichere, atypische Arbeitsverhältnisse. Doch fassen wir den Blick etwas enger und richten den Fokus auf das Personal der Kreativökonomie. Schnell wird dann deutlich, dass das Prekaritätsrisiko längst nicht alle gleichermaßen trifft.

Spätestens seit dem Skandal um Harvey Weinstein und der #MeToo-Debatte ist ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass die Kreativökonomie und der Kulturarbeitsmarkt weit von Geschlechtergerechtigkeit entfernt sind, wie es die Kulturstaatsministerin Grütters formuliert. Die Geldtöpfe und Entscheidungsstrukturen sind großenteils in der Hand von Männern, was dort beschäftigte Frauen von deren Wohlwollen abhängig macht.

Auch die soziale Klassenzugehörigkeit spielt bei der Frage, ob die Kreativökonomie eine Prekarisierungsfalle ist, keine ganz unbeträchtliche Rolle. Das mag überraschen, weil ein stillschweigendes Einverständnis zu bestehen scheint, dass Kreativarbeiter*innen aus der gut situierten so­zia­len Mitte stammen und sich notfalls auf das elterliche Konto verlassen können. Tatsächlich aber stimmt das nur zum Teil. Vielmehr bildet die Krea­tiv­öko­nomie ein Sozialgefüge, das von tiefen sozialen Gräben durchzogen ist: Geschlecht zum einen, soziale Herkunft zum anderen.

Kulturorientierte Leistungselite

Unsere empirischen Untersuchungen zu Arbeits- und Sozialverhältnissen in der Kreativökonomie zeigen, pointiert gesagt, dass hier Abkömmlinge der oberen, bürgerlichen Milieus mit sozialen Aufsteigern aus modernisierten Arbeitnehmermilieus zusammentreffen. Der enorme Personalzuwachs der Kreativökonomie seit den 1970er Jahren lässt sich also erklären: Er ist zu einem Gutteil auf soziale Mobilitätsprozesse unterschiedlicher Milieus zurückzuführen. Sie reflektieren zugespitzt die Pluralisierung des sozialen Gefüges der alten Bundesrepublik.

Quelle  :      TAZ         >>>>>       weiterlesen

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Deutsch: 2013/14 setzt das „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ die Arbeit mit Realmontagen im öffentlichen Raum fort mit der Serie „Merkel goes to demo“ – hier mit den Chefs der 4 Energiemonopolisten bei einer Demonstration 2014 zur Energiewende Foto: Elke Hollmann
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Source Team Büro für ungewöhnliche Maßnahmen
Author Elke Hollmann

Berlin

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