Klimaprogramm der EU
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 15. Juli 2021
Die zwölf Gebote
Kraftwerk oder Klimaschutz?
Von Eric Bonse und Bernhard Pötter
Das könnte den Alltag der EU-Bürger umkrempeln: Zwölf Gesetze und etliche Neuerungen sollen den Klimawandel bekämpfen. Reicht das?
Ursula von der Leyen liebt die große Geste. Als die deutsche Chefin der Europäischen Kommission vor zwei Jahren ihren „Green Deal“ vorstellte, verglich sie ihn ganz unbescheiden mit der Mondlandung. Nun, da es um die Umsetzung des Klimaversprechens geht, lässt von der Leyen das Brüsseler Kommissionsgebäude großflächig in grün anstrahlen und einen neuen Slogan verkünden: „Fit for 55“ soll die EU werden – und die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent verringern.
Wie das gehen soll, darüber haben Kommissionsbeamte bis zur Erschöpfung gebrütet. Ergebnis ist ein Klimapaket, das mit zwölf EU-Gesetzen eine Flut von Neuerungen auslösen und den Alltag der EU-Bürger umkrempeln dürfte. Bis zuletzt wurde um die Details gerungen, am Ende soll sich auch noch Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron eingeschaltet haben. Doch als von der Leyen und Klimakommissar Frans Timmermans am Mittwoch vor die Presse treten, schienen die Mühen vergessen.
„Wir haben ein Ziel, wir haben ein Klimagesetz, und nun haben wir auch den Fahrplan“, erklärt von der Leyen, die wie immer zuerst spricht. Sie habe durchgesetzt, dass die EU beim Klimaschutz mehr denn je auf den Markt setzt, erklärt die CDU-Politikerin. Darauf sei sie stolz.
Timmermans betont dagegen das Soziale. „Wir fordern viel von unseren Bürgern“, räumte der Sozialdemokrat ein. Die EU-Pläne würden zu höheren Preisen für Benzin und Heizung führen. Ein neuer Sozialfonds soll hier für Ausgleich sorgen. „Ich bin wirklich begeistert von diesem Plan“, so Timmermans. Er werde den Klimaschutz sozial gestalten.
Was nur die CDU will
Vor allem um den Sozialfonds und den Emissionshandel war bis zuletzt gestritten worden. „Das will nur die CDU“, erklärte der Chef des Umweltausschusses im Europaparlament, Pascal Canfin, zu den Plänen, künftig auch den Verkehr und die Gebäude in den Emissionshandel einzubeziehen. Der Vorschlag sei „toxisch“, da er Mieter und Autofahrer auf die Barrikaden treiben könne.
Canfin weiß, wovon er spricht: Der Macron-Vertraute denkt mit Schrecken an den Aufstand der Gelbwesten in Frankreich zurück, der sich an höheren Benzinpreisen entzündet hatte. Im Europaparlament sieht er derzeit keine Mehrheit: Sozialdemokraten, Grüne, Linke und die meisten Liberalen sind, wie er, gegen Emissionshandel im Transportsektor.
China, Indien, die Türkei und andere Länder warnen schon vor einem neuen Handelskrieg
Doch von der Leyen, die selbst das CDU-Parteibuch hat, setzte sich durch: Das „ETS2“ kommt. Neben dem bestehenden (und lange zahnlosen) Emissionshandel für die Industrie wird ein neues System für Gebäude und Transport aufgebaut. Ein 72,7 Milliarden Euro schwerer Sozialfonds soll dafür sorgen, dass die Bürger nicht in Energiearmut verfallen und die Schuld in Brüssel suchen. Gleichzeitig soll der bestehende Emissionshandel weiter ausgebaut werden. Ihm unterliegen bisher 41 Prozent aller Emissionen in der EU. Dieses CO2 aus Fabriken und Kraftwerken hat eine Obergrenze, die bisher jährlich um 2,2 Prozent absinkt. Dieses Tempo soll mit 4,2 Prozent praktisch verdoppelt werden, einmalig sollen dazu 117 Millionen Zertifikate gelöscht werden.
Die Preise für die Emissionszertifikate im ETS, derzeit etwa 55 Euro pro Tonne, werden wohl steigen. Airlines sollen ab 2027 alle ihre Zertifikate bezahlen, die bislang umsonst waren. Gleichzeitig soll zum ersten Mal der gesamte Flug- und Schiffsverkehr von und nach Europa CO2-Zertifikate kaufen müssen.
Ausbau der Ökoenergie
Die Kommission schlägt auch vor, die CO2-Grenzwerte für Pkw weiter zu verschärfen. Neuwagen müssen 2030 demnach 55 Prozent weniger CO2 ausstoßen als heute. Ab 2035 soll kein Neuwagen mehr mit Verbrennungsmotor auf den Markt kommen. Die Pläne verpflichten die Länder auch, an Schnellstraßen alle 60 Kilometer Ladesäulen für Elektroautos und alle 150 Kilometer für Wasserstoff aufzubauen.
Ein ganz neues Instrument ist der CO2-Zoll an der EU-Außengrenze, genannt CBAM: Wenn Produkte im Ausland mit geringeren CO2-Preisen hergestellt werden, müssen die Hersteller an der EU-Grenze CO2-Zertifikate erwerben, um die europäische Industrie zu schützen. China, Indien, die Türkei und andere Länder warnen schon vor einem neuen Handelskrieg.
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Ambitioniertes Klimaprogramm der EU:
Brüssel denkt groß, Berlin zaudert
Kommentar von Bernhard Pötter
Die EU-Kommission legt endlich einen Fahrplan gegen den Klimawandel vor. Die Bundesregierung denkt sich hingegen sich nur bunte Ziele aus.
Der Kontrast könnte kaum größer sein: Am Mittwoch legt die EU-Kommission in Brüssel einen detaillierten Fahrplan vor, wie bis 2030 die klimaschädlichen Emissionen drastisch zu mindern sind. Und einen Tag vorher gestand der deutsche Wirtschaftminister Altmaier, dass er jahrelang die Zahlen zum Stromverbrauch und Bedarf an Ökostrom kleingerechnet hat. Wenn es ernst wird mit Klima und Umbau der Industriegesellschaft, dann gilt: Brüssel denkt groß. Berlin duckt sich weg.
Das bedeutet nicht, dass das Brüsseler „Fit for 55“-Paket der heilige Gral der Klimaneutralität ist. Auch die drastischen Vorschläge zu Emissionshandel, CO2-Preis und dem Verbrennungsmotor reichen nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Das Paket ist voller ungedeckter Schecks und fragwürdiger Annahmen: Wer soll das bezahlen? Woher kommen Ökostrom und grüner Wasserstoff? Welche EU-Länder stellen sich quer? Wie sollen „Gelbwesten“-Proteste vermieden werden?
Es gibt im EU-Plan mehr Fragen als Antworten. Aber immerhin werden die Fragen laut gestellt. Die EU-Kommission knallt jetzt ein Paket auf den Tisch, über dessen Details sich in den nächsten Jahren ganz Europa in die Haare geraten wird. Doch dieser Streit ist nötig und überfällig. Viel zu lange sind die harten Entscheidungen aufgeschoben worden. Und ganz groß im Aussitzen waren die Berliner Regierungskoalitionen unter Angela Merkel. Das Thema wurde kleingekocht und vor allem von der Union blockiert.
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Grafikquellen :
Oben — Feld mit Aussicht auf das Kohlekraftwerk Neurath bei Neuss.