Erstellt von Redaktion am Samstag 18. Januar 2020
Das Kind, der Verbrecher und die CSU
Die Seifenbläser der CSU
Die CSU will das Strafrecht auf Kinder anwenden. Von allen Möglichkeiten, mit kindlichen Grenzüberschreitern umzugehen, wäre das die sinnloseste, erbärmlichste und schädlichste.
Winterblues
Vom 6. bis 8. Januar tagte, wie üblich, die CSU-Landesgruppe an einem schönen Ort im Freistaat. Wie stets fasste sie dort Beschlüsse, welche die Welt erschüttern, die Überzeugten erbauen und die Presse rauschen lassen sollen. Das geht am besten mit Fanfarenklängen, die nichts kosten außer der Kraft der Lungen und nichts bringen als ein schönes Gefühl. „Politik für einen starken Staat und eine wehrhafte Demokratie“, heißt der Beschluss zur (inneren und äußeren) Sicherheit, der – wir schreiben das Jahr 2020 – in zwanzig Spiegelstrichen den Übeln der Welt im Allgemeinen und dem Verbrechen im Besonderen den Garaus machen will. Beim Lesen stößt man auf so lustige Pläne wie „Die Hisbollah in Deutschland mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen“ oder „Wir wollen ein digitales Beleidigungsstrafrecht“, bei denen man sich fragen könnte, um welche Tageszeit die redaktionellen Schlussarbeiten wohl stattfanden. Die Hisbollah soll „unter die Lupe“ genommen und in Europa „gemeinsam bewertet“ werden, was insoweit etwas rätselhaft ist, als das Ergebnis unter dem Titel „Mit allen Mitteln bekämpfen“ ja schon feststeht. Gewiss wird sich die Hisbollah aber sehr fürchten vor der CSU-Landesgruppe, und Funk und Fernsehen werden uns erklären, es sei von allen Hisbollahs dieser Welt einmal mehr „die radikalislamische“ gemeint. Auf das digitale Beleidigungsstrafrecht bin ich schon gespannt. Ich wusste ja gar nicht, dass es überhaupt schon digitales Recht gibt! Vielleicht meint die CSU ja auch etwas anderes, also irgendwie dasselbe wie alle anderen auch, und ihre Medien-Agentur hat einfach noch nicht die richtige Grammatik dafür generiert. Weitere 16 Spiegelstriche will ich Ihnen hier ersparen, weil sie mich, wie so oft, glatt am Thema vorbeiführen würden, und dann müssen mir wieder 250 enttäuschte „Schwurbel“-Kritiker schreiben, ich solle gefälligst mal zur Sache kommen.
Kinderstrafe
Daher nun Spaß beiseite und zum Thema: „Wir wollen schwere Straftaten altersunabhängig sanktionieren“, lautet Spiegelstrich Nummer neun des CSU-Beschlusses. „Altersunabhängig“ ist ein mutiger Griff ins Ungewisse, genauer gesagt in die Lebensspanne zwischen Geburt und Tod. Die Bestrafung von Menschen wegen „schwerer Straftaten“ möchte die CSU „allein von der Einsichtsfähigkeit und der Schwere der Tat“ abhängig machen und auf jedwede „starre Altersgrenze“ verzichten. Bevor Sie jetzt von dreijährigen Gewaltverbrechern in Handschellen und guten Hochsicherheits-Kitas zu träumen beginnen, wird man einräumen müssen, dass Mutter Natur selbst der Freude am Strafen gewisse Grenzen setzt: Migrantengangs aus Vierjährigen sowie zweijährige Intensivtäter wurden zwischen Aschaffenburg und Passau noch nicht gefunden.
Andererseits muss man sagen: Nichts ist unmöglich. Und so ein kleiner Vorschulteufel, der mit Mamas Einwegfeuerzeug das sauer vom Munde abgesparte Reihenhaus in Schutt und Asche legt, hat nach vielfacher Erfahrung keinen Mangel an „Einsicht in das Unrecht seines Tuns“, da ihm jedes Herumkokeln streng verboten ist. Ich erwähne dieses Beispiel, weil ich selbst im zarten Alter von sieben einmal das heimische Badezimmer beim Durchführen chemisch-pyrotechnischer Experimente in Brand gesetzt habe und mich erinnere, dass ich über jede Menge Einsicht(sfähigkeit), aber null Feuerbekämpfungsstrategie verfügte. Das hätte mir, jedenfalls in Augsburg, leicht ein paar Monate U-Haft wegen (bedingt vorsätzlichen) versuchten gemeingefährlichen Mehrfachmords und schwerer Brandstiftung einbringen können. Gut, dass meine Eltern mich nicht angezeigt haben!
In Deutschland gilt § 19 StGB, der lautet:
„Schuldunfähig ist, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist.“
§ 3 Jugendgerichtsgesetz (JGG), das für Personen zwischen 14 und 20 gilt, lautet:
„Ein Jugendlicher ist strafrechtlich verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Zur Erziehung eines Jugendlichen, der mangels Reife strafrechtlich nicht verantwortlich ist, kann der Richter dieselben Maßnahmen anordnen wie das Familiengericht.“
Mit der Strafmündigkeitsgrenze von 14 Jahren liegt Deutschland bei der Mehrheit der europäischen Länder: Aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags (Nr. 120/19) ergibt sich, dass von 29 Staaten nur fünf keine (Frankreich) oder eine niedrigere Grenze haben (Frankreich, Irland, England und Wales, Niederlande, Ungarn), dagegen elf Staaten eine höhere Grenze haben (meist bei 15 Jahren). Unterhalb der genannten Grenzen sind überall Fürsorgemaßnahmen (in Deutschland: durch die Familiengerichte) möglich.
Die Lage
„Sie klauen. Sie rauben. Sie morden. Die Zahl der Straftaten von Minderjährigen steigt an. Ursachen: Wachsende Armut, soziale Verwahrlosung und der Frust, der in Gewalt umschlägt. Eltern sind ratlos.“
Dieses Zitat stammt aus dem „Stern“ Nr. 15/1996. Man kann es so oder ähnlich auch in jedem anderen Jahr und in zahllosen anderen Medien finden. Allerdings verläuft die Sache wellenförmig, wie andere Kriminalitäts-Inszenierungen ebenfalls. Ein stabiles Grundrauschen erzeugt heutzutage das Internet mithilfe der sogenannten „sozialen“ Medien, die so heißen, weil dort Menschen in einen kommunikativen sozialen Kontakt treten können. Das ist ähnlich wie beim Telefon und beim Briefeschreiben, heißt aber anders. Keinerlei zwingende Verbindung besteht zwischen dem Namen und einem Aspekt sozialer Nützlichkeit. Auch das ähnelt der guten alten Postkarte, auf die man ebenfalls jeden beliebigen Blödsinn schreiben und die jeder lesen konnte, so lange sie von Brieftauben und neugierigen Zustellern transportiert wurde. Jetzt ist, wie die alten weißen Kolumnisten noch nicht wissen, die Kinder aber schon im Vorschulalter, alles ganz anders und super-informativ.
Über dem Grundrauschen der „Alles-wird-immer-schlimmer“-Jünger und „Knüppel-aus-dem Sack“-Fetischisten ereignen sich die Peaks der fingerzuckenden Kommunikation, beflügelt von den professionell medialen Stimmungsmaschinen, die mehr oder minder fasziniert über die Verzweiflungen berichten, welche sie selbst zu übertrumpfen versuchen. Das ist die Stunde des „Immer mehr…“, des „zunehmend…“ und des „Um sich greifenden…“, also der angeblich wirklichen Wahrheit über die wahre Wirklichkeit da draußen in den „Areas“ und „Räumen“.
Ein paar Zahlen aus der Polizeistatistik 2018: Von insgesamt ca. 2,5 Mio. Tatverdächtigen waren 1,6 Mio. Erwachsene (über 20), 185.000 Heranwachsende (18 bis 20), 177.000 Jugendliche (14 bis 17) und 70.000 Kinder (0 bis 13), davon 48.000 Jungen und 22.000 Mädchen. Wegen Delikten gegen das Leben wurden – einschließlich Versuch – 14 Kinder als Verdächtige erfasst. Der Schwerpunkt der Taten, bei denen Kinder als tatverdächtig registriert wurden, lag bei (einfachem) Diebstahl, Körperverletzung, auch Raub (26.000), wobei sich dies vielfach auf das gewaltsame oder drohende Wegnehmen typischer Accessoires konzentriert (z.B. Handys, Fahrräder). Bei all diesen Zahlen muss man wie immer berücksichtigen, dass die Statistik nur die im „Hellfeld“ auftauchenden Verdachtsfälle erfasst. Eine Registrierung setzt also eine Anzeige (durch die Polizei selbst oder Dritte) voraus; ob der Verdacht zutrifft, wird nicht erfasst, und die als „Täter“ aufgeführten Personen sind eigentlich nur „Verdächtige“. Andererseits fehlt – der Natur der Sache nach – das gesamte Dunkelfeld, das man nur mehr oder weniger gut schätzen kann, z.B. aufgrund von Befragungen, die ihrerseits eine Vielzahl von Fehlerquellen enthalten.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Seifenbläser…
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016