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Kims Totenschiffe

Erstellt von Redaktion am Dienstag 13. Februar 2018

Totenschiffer aus Kores machen vielen Japanern Angst

Aus Tokio und Seoul Martin Fritz und Fabian Ketschmer

Nussschalen gleich treiben die Fischerboote an Japans Küste an. An Bord finden sich skelettierte Leichen, Überlebende sind selten. Sind es nordkoreanische Flüchtlinge? Spione oder Diebe? Die Totenschiffer machen vielen Japanern Angst.

Auf dem hölzernen Rumpf eines dreizehn Meter langen Fischerbootes am Strand von Miyazawa prangt ein gelbes Schild mit der japanischen Aufschrift „Gefahr! Betreten verboten!“ Eine Knoblauchknolle, ein Keramikgefäß für Chilipaste und Zigarettenschachteln an Deck sind die einzigen stummen Zeugen einer menschlichen Katastrophe, die sich auf dem maroden Gefährt abgespielt haben muss. Denn als das Boot hier Ende November an Land gespült wurde, lagen darin acht teilweise skelettierte Leichen. Die primitive Bauweise und Schriftzeichen auf gefundenen Gegenständen ließen wenig Zweifel daran, dass Boot und Tote aus Nordkorea stammen.

Von diesem Schicksalen ist kaum jemand mehr berührt als Ryosen Kojima. Der Chefpriester des Tosen-Tempels kümmert sich seit Jahren um die sterblichen Überreste der Fischer, die mit ihren maroden Booten auf der Halbinsel Oga hoch im Norden Japans stranden. Wenn Kojima die buddhistischen Sutren für die Verstorbenen rezitiert, dann sind ihm Herkunft und Nationalität egal. Daher stehen die Urnen mit der Asche der acht Nordkoreaner gemeinsam mit anderen Totengefäßen auf einem Tisch hinten im Tempel. Lediglich die cremeweiße Stoffbespannung der Schachteln für die Urnen und der fehlende Namensanhänger verraten, dass die eingeäscherten Toten nicht identifiziert werden konnten.

Schon seit fünf Jahren landen solche Totenschiffe aus Nordkorea vor allem im Herbst und Winter an der Küste im Norden Japans, die der koreanischen Halbinsel zugewandt ist. Dabei ist das Japanische Meer zwischen beiden Ländern über 1.000 Kilometer breit. „Wahrscheinlich fällt der Schiffsmotor aus, dann treiben Westwind und Strömungen die Boote über mehrere Monate nach Japan ab“, sagt ein Offizier der Küstenwache. Auch schlechtes Wetter und schwerer Seegang könnten eine Rolle spielen. „Der Winterozean ist sehr rau, daher finden wir jetzt mehr Wracks“, sagt der Offizier. Eine Obduktion von zwei Leichen ergab, dass die Menschen ertrunken waren.

Aber im vergangenen Jahr ist die Zahl der angeschwemmten Geisterboote an der westjapanischen Küste um knapp das Doppelte gegenüber dem Vorjahr gestiegen. 104 Totenschiffe und 35 Leichen wurden gezählt, so viele wie noch nie. Einige der Toten wurden aus dem Wasser gefischt oder am Strand gefunden. Wie diese Menschen starben und warum sie in Seenot gerieten, war schon immer rätselhaft. Doch diesmal sorgt die politische Krise um die Atom- und Raketenrüstung von Nordkoreas Diktator Kim Jong Un dafür, dass die Spekulationen über die Geisterschiffe ins Kraut schießen. „Niemals zuvor hat es ein Jahr mit so vielen unbekannten Leichen gegeben“, stellte Chefpriester Kojima vom Tosen-Tempel fest. „Ich frage mich, was da los ist.“

File:MSzy Kim-Jong-Jr.jpg

Dabei sind Geisterschiffe entlang der koreanischen Ostküste beileibe kein neues Phänomen. In den 1960er- und 70er-Jahren waren es allerdings vornehmlich südkoreanische Kutter, die scheinbar spurlos vom Meer verschluckt wurden. Insgesamt 3.500 Fischer verschwanden in jenen Jahren. Für Südkoreas damalige Militärregierung war der Fall eindeutig: Nordkoreanische Soldaten haben die Fischer auf offener See entführt. Dass möglicherweise auch freiwillige Überläufer unter den Verschollenen waren, passte nicht ins Kalte-Kriegs-Narrativ der damaligen Zeit.

Der 2012 übergelaufene Nordkoreaner Kim Hun war laut eigenen Angaben während seiner zwanzigjährigen Militärlaufbahn an 160 Entführungsmissionen beteiligt. Im Februar 2017 legte er ein Geständnis ab. Südkoreanische Fischer seien bis in die 1980er-Jahre begehrte Ziele für Pjöngjang gewesen: einerseits weil sie fernab auf hoher See besonders wehrlos sind. Andererseits boten sie dem Regime wertvolle Informationen: „Fischer kennen meist die lokale Topografie wie ihre Westentasche. Für Nordkorea war es vor allem wichtig, möglichst viel über die genaue Bodenbeschaffenheit des Meeresgrundes und der Küste in Erfahrung zu bringen“, sagte Kim. Im Falle einer möglichen Invasion des Nordens sollte die Information genutzt werden, um geeignete Anlegeplätze für die Marineflotte zu bestimmen.

Die Angst vor Entführungen ins Reich Kims kommt wieder hoch

Quelle   :     TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Gragfikquellen    :

Oben    —     Zwei Boote und ein Beiboot

Escher Wyss CoEscher Wyss, Zürich, ca 1890

 

 

 

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