Keine Seifenblasen mehr
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 30. Mai 2019
Betont leichtfertigen Optimismus haben wir uns zu lange geleistet. Und nun?
Ein Schalgloch von Nora Bossong
Hier könnte ein Satz auf schwarzem Grund stehen: „Die Autorin trauert um Italien.“ Womit auch gemeint wäre: um ein zusammenwachsendes Europa. Doch für einen solchen Satz gäbe es nur wieder Schelte, also doch lieber die ganze Kolumne. Die Schelte käme natürlich nicht von jenen knapp 50 Prozent der italienischen Wähler, die sich am Wochenende in der Wahlkabine für die extreme und nationale Rechte entschieden haben. Die Schelte käme von vereinzelten, sich als linksdemokratisch bezeichnenden Italienerinnen und Italienern, die trotzdem der Meinung sind, dass man sich als Nichtitalienerin nicht zu Italien äußern dürfe, ganz egal, ob man in dem Land gelebt hat, die Sprache spricht, die politischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte beobachtet hat oder nicht
So soll Europa klappen? Tatsächlich wird dieser Kontinent mitunter immer noch gern extrem national gedacht, nicht nur von Extremnationalisten. Wir sind nur so sehr Europäer und Europäerinnen, wie ein Truthahn auch Geflügel ist. Will er sich zu Perlhühnern äußern, wird ihm das Wort abgeschnitten.
Um eins klar zu stellen: Ich bin keine Kulturpessimistin. Ich habe mich in den letzten Wochen als Rundumpessimistin gegeben, und zwar nicht nur, weil ich derzeit vieles als den Pessimismus anregend erlebe. Ich bin es auch schlicht deshalb, weil ich in dem leichtfertigen Daueroptimismus der jüngeren Vergangenheit, der sich zwischen lustiger Verantwortungsmüdigkeit und bequemer Gleichgültigkeit gut eingerichtet hatte, eine der Grundvoraussetzungen für die derzeitige politische Situation vermute.
„Es ist ja noch mal gut gegangen.“ Das ist der Satz meines bisherigen politischen Lebens – nicht, weil ich ihn so oft gesagt hätte oder er in irgendeiner Hinsicht richtig wäre, sondern weil er der Satz ist, mit dem man, solange ich denken kann, also etwa dreieinhalb Jahrzehnte, die Entwicklungen kommentierte, voraussagte, abschloss. Dieser Satz, den man vor alles Mögliche – Leitartikel, Meinungsäußerungen, unmutige Träume – stellen konnte, fasst recht schlicht zusammen, was schiefgelaufen ist in den letzten Jahren, Jahrzehnten, in denen natürlich bei Weitem nicht alles noch mal und auch nicht zum ersten Mal gut gegangen ist. Der Satz ist in so einem erheblichen Maße trügerisch, wie es am Morgen nach der Wahl Donald Trumps, am Morgen nach dem Brexit-Referendum noch überhaupt nicht abzusehen war. Oder doch, abzusehen war es, man hatte nur keine Lust.
Noch einige Seifenblasen ? Als Beispiel für viele Selbstversorger ?
Es ist ein Satz, der das Gefühl vermittelte, dass nichts wirklich nötig ist, dafür vieles möglich, von Apathie bis Rebellion, so richtig ändert sich ohnehin nichts. Nostalgie nach ebendieser Zeit hat auch einen Hauch von Regression, die Rückkehr ins Bequeme und Sichere, in eine Zeit ohne wirkliche Verantwortung, auf die riesige Spielwiese, in der man rumtoben konnte, in die nicht endende Kindheit. Und weil ja alles Schöne sowieso nicht enden muss, hört man auch mit Ende dreißig noch total gern Drei Fragezeichen und kauft in einer Boutique in Prenzlauer Berg überteuerte Seifenblasenröhrchen, die nicht etwa für den quengelnden Nachwuchs gedacht sind, denn der ist ja grad beim Kinderyoga, sondern für einen selbst.
Dieser Alltag stand auch deshalb so sicher da, weil er meist an den Grenzen des eigenen Gartenzauns endete. Natürlich war der leichtfertige Daueroptimismus von vornherein ein Trugschluss, aber das Bemerkenswerte ist, dass wir, auch wenn wir diesen Trugschluss intellektuell einsehen, unser Gefühl dazu so viel schwerer ändern können.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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