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Kassandras Rufe

Erstellt von Redaktion am Freitag 9. November 2012

Kassandras Rufe

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftkrise ist in Deutschland noch nicht spürbar. Noch nicht. Noch ist Ruhe. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, dessen Wirkungen bisher nur  die südlichen Nachbarn leidvoll erfahren. Und weil wir die Not noch nicht spüren, merken wir nicht, dass unsere Republik sich in den Händen von Dilettanten befindet. Die Dümmsten treiben mit den Allerdümmsten ihr Spiel. Das Nürburg-Ring Fiasko mag ein Beispiel für jene Dummheit geben, die in gewissen Kreisen in Deutschland Standard ist. Nur wenn wir genau hinsehen, ist das Ende wahrnehmbar: Unsere sogenannten Eliten in Politik, Wirtschaft und Finanzwelt erweisen sich als Schande für unser Volk, für ein Volk, das einem Goethe, einem Schiller oder einem Kant nacheifern könnte.

Kassandras Tragik besteht darin, dass ihre Thesen immer dann nicht gehört werden, wenn sie am dringendsten nötig wären.

Wenn der Mensch nur noch den Gesetzen des Marktes gehorcht, beginnen Elend, Krieg, Tod. Warum will das keiner hören?

Kassandra sieht Millionen Menschen zugrunde gehen. Sie gehen  aufgrund einer Logik zugrunde, die deshalb entmenscht ist, weil sie die Bedürfnisse der von den Menschen produzierten Verhältnisse wichtiger nimmt, als die Bedürfnisse der Menschen selbst. Die Bedürfnisse der Verhältnisse sind komplex, die der Menschen simpel. Liegt darin das Problem?

Elend und Vernichtung jedenfalls beginnen unscheinbar in dem Moment, da Menschen ernstlich Begriffen wie Systemlogik, Marktlogik oder Sachzwänge zu gehorchen versuchen. Kassandra sieht, wie das passiert: Aus dem Unscheinbaren wird Anscheinendes, dann mit mörderischer Konsequenz Wirkliches. Not. Hunger. Tod. Die Menschheit hat das wieder und wieder erlebt. Und immer wieder sagte sie nachher: Das, was geschehen ist, soll nie wieder geschehen können!

Auf der ganzen Welt denken die „besten Köpfe“ darüber nach, wie dies bewerkstelligt werden könne. Wir sehen sie vor uns, wir können lesen, was sie vorschlagen – nichts, was zuvor unantastbar schien, bis es in die Katastrophe führte, scheint nun heilig, deshalb werden wir diese Zeit als heilig bezeichnen müssen! Sogar in den USA wird die zumindest partielle Einführung der Planwirtschaft diskutiert – He! Hört zu! Und hört auf zu glauben, dass es diese „besten Köpfe“ gebe! Es gibt sie nicht.

Es muss gespart werden! Das erklären uns die Reichen und Superreichen. Und die Politiker sagen, dass das Wachstum angekurbelt werden müsse durch Kürzungen. Und der Standort muss gesichert werden durch Entlassungen derer, die am Standort leben und arbeiten. Glück? So, wie es produziert und beliefert wird, ist es nichts – als die Produktion von Dummheit mittels technischer Intelligenz. Hört zu! So hört doch zu!

Je größer die Produktion von gesellschaftlichem Reichtum, um so größer die Verteilung von unten nach oben. – Wohin das führen wird? Na, wohin! Alle, die heute mitmachen, werden dereinst wieder mitmachen, wenn es heißt: Dies soll nie wieder geschehen dürfen. Nie wieder.

Jetzt ist die Zeit, der großen Krise zu begegnen. Aber anders, als es zur Zeit in Griechenland, Italien, Spanien und anderswo geschieht.

Es ist Mangel an Urteilskraft, wenn heute die sogenannten „besten Köpfe“ empfehlen, die großen Banken zu retten. Man merke: Mangel an Urteilskraft ist Dummheit. Rettung heißt auf ihre Weise Untergang.

Die Verteilung von unten nach oben muss mit sofortiger Wirkung beendet werden. Nur in ihrer Umkehrung liegt die Rettung. Die großen Vermögen sind aufzulösen, sie haben als Reserven zu gelten, die zum Einsatz gebracht werden, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Denn alles hat seine Zeit. So muss die Pflege reformiert und auf die Würde des Menschen ausgerichtet sein, so muss der monatliche Mindestlohn dynamisiert Euro 2.000,00 betragen und die monatliche Rente darf den Wert von 1.100 Euro nicht unterschreiten. Hört! Hört die Proteste der Reichen.

Wir können uns auch deswegen die Reichen nicht mehr leisten. „Die neuen Herrscher der Welt“, sagt der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, „ – die Beutejäger des globalisierten Finanzkapitals, die Barone der transkontinentalen Konzerne, die Börsenspekulanten – häufen ungeheure Vermögen an. Mit ihrem Tun zerstören sie den Staat, verwüsten die Natur und entscheiden jeden Tag darüber, wer sterben muss und wer überleben darf. Willfährige, effiziente Verbündete stehen ihnen zu Diensten, allen voran die Funktionäre der Welthandelsorganisation, der Weltbank und des Weltwährungsfonds.“ – Der Geist des Bösen weht von vielen Hügeln her.

Das Ziel des Bösen aber besteht darin, es Banken zu ermöglichen, Kapital aus der ganzen Welt anzulocken, und sich Zugang zu billigem Kapital zu verschaffen.

Es ist ein Projekt  aus den siebziger Jahren. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds  starteten dieses Projekt. Wir nennen es heute Neo-Liberalismus. Es beruht auf der  Basis von vier Schlüsselelementen:

* der Deregulierung . Dieses Element startete mit der Deregulierung der Finanzmärkte auf der ganzen Welt.  Kapital sollte sich frei von einem Land zum anderen bewegen können.

* Der zweite Teil besteht in der Liberalisierung der Handelsströme. Es geht darum, Handelsbarrieren abzuschaffen, die sehr sorgfältig von den Entwicklungsländern zum  Schutz ihrer Industrien in vielen Jahren aufgebaut worden sind.

* Die dritte Maßnahme besteht in der völligen Abschaffung des Staates, um die Interventionsmöglichkeiten des Staates zu  reduzieren. Eine Maßnahme, die uns aus den Reden vieler FDP-Politiker nicht unbekannt ist.  Anders gesagt werden die Steuereinnahmen des Staates so reduziert, dass die Staaten nichts mehr tun können, um ihre Bürger zu schützen. Neunzig Prozent der Bevölkerung Deutschlands sind davon betroffen.

* Die vierte Maßnahme verlangt von den Staaten, ihre Industrien zu privatisieren. Dabei wird mehr oder weniger sicher gestellt, dass bei dieser Privatisierung  die Industrien unter ihrem tatsächlichen Wert  an fremde Kapitalgeber verkauft werden.

Es geht den „Masters of the Universe“ um totale Kapitaldeckung. Die solidarischen Absicherungen des Bürgers, die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die Altersabsicherung, sollen aufgelöst und vom Umlageverfahren in Kapitaldeckungsverfahren umgewandelt werden. Erst dann haben sie ihr Ziel, die Menschen der Welt zu ihrer Verfügungsmasse zu machen, endgültig erreicht.

Wenn wir unsere Würde erhalten wollen, wenn wir wirklich selbstbestimmt und qualitätvoll leben wollen, dann müssen wir die Reichen, die Banken und die großen privaten Versicherer bändigen, dann müssen wir sie zwingen, sich demokratisch in eine demokratische, soziale und solidarische Gesellschaft einzufügen. Die derzeitige Politik, die Medien und die Justiz sind zu schwach, diesen Zwang zu vollstrecken… es wird das Volk sein, dass sich auf sich selbst und auf seine Kraft besinnen wird. Denn es beginnt jene Kraft zu spüren, die dem stolzen Selbst zugrunde liegt. Um es zu wiederholen: Markt, Wettbewerb und das Spiel von Angebot und Nachfrage erzeugen die moralischen Reserven nicht, sondern verbrauchen sie und müssen sie von Bereichen jenseits des Marktes beziehen. Auch kein Lehrbuch der Betriebswirtschaft und der Nationalökonomie können sie ersetzen. Die Bereiche jenseits des Marktes aber sind die ethischen und moralischen Kräfte der Menschen, sind Gerechtigkeitssinn, Anstand, Ehrlichkeit, Fairness, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung vor der Menschenwürde und tiefer, unzerstörbarer Respekt vor allem Lebendigen. Es sind diese menschlichen Werte, die von der eigensüchigen Gier der vergangenen Jahrzehnte bereits bis zur Unkenntlichkeit zerfressen sind.  Und gäbe es nicht jene glorreiche Hoffnung, jenes unzerstörbare ‚Organ’, das tief in der Brust der Menschen angelegt ist, es wäre zum Verzweifeln.

Das griechische Kennwort für dieses ‚Organ‘ in der Brust von Helden und Menschen, von dem die genannten großen Aufwallungen, von dem der gerechte Zorn seinen Ausgang findet, haben die ruhmreichen Alten ‚thymos‘ genannt. Es bezeichnet den Regungsherd des stolzen Selbst, zugleich auch den rezeptiven ‚Sinn‘, durch den die Appelle der Götter sich den Sterblichen kundgeben. Es sind die unumstößlichen Grundwahrheiten, die in der Kraft des stolzen Selbst offenbar werden.

Ihr versteht nicht, was das heißt?

Dann denkt nach!

Bund der Pflegeversicherten e.V.
Gerd Heming (Vors.)
Münster, November 2012

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Fotoquelle: Wikipedia
Source     It’s all about love
Author     Candida Performa

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Ein Kommentar zu “Kassandras Rufe”

  1. Remstalrebell II sagt:

    Das ist ja fast ein Aufruf zum „Aufruhr“; da mach ich mit. Nicht als junger ‚Tutterer‘, sondern als Alter weit über 60. Wer sonst als wir Alten soll es denn machen? Wir haben doch nichts mehr zu verlieren… – man hat uns doch eigentlich alles genommen.

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