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RENTENANGST

Journalistin Ferda Ataman

Erstellt von Redaktion am Freitag 15. März 2019

„Wir messen mit zweierlei Maß“

Das Interview mit Ferda Ataman führte Dinah Riese

Integration befördert Rassismus, sagt Ferda Ataman. Sie fordert Dankbarkeit gegenüber Migrant_innen – und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Deutschsein.

taz: Frau Ataman, neulich hat Dieter Bohlen uns mitgeteilt, wie ein Mädchen aus Herne seiner Meinung nach aussehen kann und wen man nach der „eigentlichen“ Herkunft fragen muss. Eine Steilvorlage für Ihr Buch, oder?

Ferda Ataman: Ja. Insofern danke, Dieter! Ich bin immer noch überrascht, wenn ich höre, dass man halt fragt, wenn jemand asiatisch aussieht. Es ist Zeit, dass wir „asiatisches Aussehen“ in den Katalog der Deutschen aufnehmen. Mein Buch heißt zwar „Hört auf zu fragen. Ich bin von hier“, aber eigentlich geht es mir nicht darum, wer was fragt – sondern darum, wie wir das Deutschsein verstehen.

Bei der Frage nach dem Woher sagen die einen wütend: Geht gar nicht. Die anderen werden sauer und sagen, das sei bloß freundliche Neugierde. Warum ist da so viel Emotion?

Vermutlich, weil die sogenannte Rassismuskeule über der Frage schwebt und viele sich angegriffen fühlen. Der Punkt ist: Man verlässt die eigene Komfortzone.

Wer verlässt seine Komfortzone?

Die meisten Menschen denken von sich, dass sie nichts Böses tun. Und Rassismus gilt als böse. Eine vermeintlich harmlose Frage damit in Verbindung zu bringen ist unangenehm. Aber niemand hat gesagt, dass man nichts mehr fragen darf. Dass man ein bisschen sensibler sein sollte, ist aber nicht zu viel verlangt.

Und wie kann diese Sensibilität aussehen?

Man sollte sich bewusst machen, warum man diese Frage manchen Menschen nie stellt und anderen immer. Meine Schwiegermutter heißt Brigitte und wird nie gefragt. Dabei hat sie, die Wurzeldeutsche in der Familie, eine schlesische Migrationsgeschichte und sogar Fluchterfahrung. Ich werde ständig gefragt, obwohl ich keine eigene Migrationserfahrung habe.

Und das nervt?

Mich schon. Weil es dann vor allem um Klischees geht wie türkisches Essen oder Urlaub in Antalya oder um sehr persönliche oder politische Fragen: Was hältst du von Erdoğan, was vom Kopftuch, fühlst du dich hin und her gerissen? So etwas eignet sich nicht für Smalltalk.

Warum wollen wir darüber unbedingt sprechen?

Viele glauben, die Herkunft eines Menschen hätte Aussagekraft über die Person. Es gibt eine regelrechte Wurzelbesessenheit: Nenn mir deine Wurzeln, und ich sag dir, wer du bist. Manche reden ja auch noch von Völkerverständigung, wenn sie die offene Gesellschaft meinen, und von Ethnienvielfalt.

Was ist daran problematisch?

Ich finde das total rückständig: Wir glauben ernsthaft noch, dass Menschen bestimmten Stämmen angehören. Ohne es auszusprechen, sagen wir damit auch, dass es den Stamm der Deutschen gibt. Und manche finden: Weil der länger hier ist, hat er auch bestimmte Vorrechte. Genau da fängt der Rassismus an.

Weil diese Annahme viele Menschen grundsätzlich ausschließt?

Wir sind heute ein Einwanderungsland, aber wir haben es noch nicht verstanden. Stattdessen haben wir ein Bild von der deutschen Aufnahmegesellschaft, das sich seit den 50er Jahren nicht verändert hat. Dabei sind die Migrantinnen und Migranten längst Teil dieser Aufnahmegesellschaft. Es ist schräg, dass wir zur deutschen Leitkultur nur Weißwürste und Bier zählen und nicht so was wie Döner. Nirgendwo wird so viel davon gegessen wie in Deutschland.

In den letzten Jahren sind zahlreiche Bücher erschienen, in denen die Autor_innen sich mit Zugehörigkeit und Ausgrenzung beschäftigen. Warum gerade jetzt?

Weil wir uns in einem handfesten medialen und politischen Rechtsruck befinden. Für Leute, die das betrifft, ist das existenziell. Fünf Jahre, und eine rechtspopulistische Partei, die es vorher gar nicht gab, sitzt im Bundestag und in allen Landesparlamenten. Sie muss nicht mal anwesend sein, um den Diskurs zu bestimmen, sie wird überall mitgedacht. Wenn das in dem Tempo weitergeht …Uns geht der Arsch auf Grundeis.

Sie schreiben, dass es nicht erst seit den Erfolgen der AfD in der zweiten und dritten Generation der Mi­gran­t_in­nen „brodelt“. Warum?

Quelle        :         TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquelle         :          Ferda Ataman (2018)

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