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RENTENANGST

Iranische Verlassenheit

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 4. Dezember 2019

Die jüngste Welle von Protesten ist kein Grund zu frohlocken.

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Von Charlotte Wiedemann

Die iranische Bevölkerung wird durch etwas gehemmt, das eigentlich ihre Stärke sein könnte.

Keine Führung, keine Strategie, kaum benennbare Forderungen. Den jüngsten Protesten in Iran mangelte es an allem, tragischerweise auch an jeglichem Selbstschutz. 200 Tote, vielleicht mehr. Wofür sind sie gestorben? Im Vergleich mit anderen Aufständen, die sich gerade weltweit gegen soziale Ungleichheit, Unterdrückung und korrupte Herrschaft richten, fallen beim Blick auf Iran zwei große Missverhältnisse auf. Erstens: Trotz einer viele Millionen umfassenden Basis an radikal Unzufriedenen fehlt es an jeglicher Organisiertheit, am Verbündetsein; Das jüngste Ausmaß an Brandstiftungen zeugt von dieser Schwäche, die Wut findet kein Gefäß. Zweitens: Die starke und gut vernetzte iranische Diaspora ist nicht in der Lage, diesem Vakuum abzuhelfen.

Zum Vergleich etwa der Sudan vor dem Sturz des Baschir-Regimes: Internet blockiert, exzessive Gewalt des Militärs, Hunderte Tote. Doch die Demokratiebewegung bewahrte Zusammenhalt, blieb gewaltfrei, unterstützt von Diaspora-Sudanesen, die mit der Realität im Land vertraut sind. Gewiss, die Teheraner Herrschaft ist effizienter abgesichert. Aber liegt das allein an einzigartiger Unterdrückung? Die Islamische Republik stets als Solitär des Bösen zu sehen und jedem Vergleich zu entziehen blockiert ein besseres Verständnis der Lage.

Was die Schwäche der Opposition betrifft, erklärt Repression vieles, aber nicht alles. Lehrerinnen, Rentnern, Fabrikarbeitern gelingen immer wieder öffentliche Proteste, Lkw-Fahrern sogar ein erfolgreicher landesweiter Streik. Doch es fehlt über das Punktuelle hinaus am Verbindenden; aus dem großen Reservoir an Unzufriedenheit, Frustration und Hass entsteht keine Idee, wie alles besser sein könnte, keine Vorstellung von Alternative. Dies zu erklären ist nicht leicht.

1978/79 hatte der kleinste gemeinsame Nenner, die Ablehnung der Monarchie, für deren Sturz gereicht. Heute wird eine doppelt so große und viel besser gebildete Bevölkerung anscheinend durch eine Diversität gehemmt, die eigentlich ihre Stärke sein könnte. Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen 15 Jahren rasant verändert, allerdings in disparate Richtungen. Mehr Weltoffenheit und kulturelle Modernisierung, vor allem in der Mittelschicht, zugleich aber auch ein Siegeszug von Konsumerismus und neoliberalen Lebensmodellen. Traditionelle Bindungen lösen sich auf, Vertrauen untereinander erodiert. Viele Ältere sorgen sich über Werteverfall; manche Auslandsiraner, die nach langen Jahren ihre Heimat wiedersehen, erschrecken.

2019 Iranian protests 2.jpg

Außer der materiellen Verarmung durch Sanktionen und Misswirtschaft gibt es, zumal in den ärmeren Schichten, eine soziale und psychische Verelendung, ein Konglomerat von Drogenabhängigkeit, Depression, Aggression. Im jüngsten Aufruhr brach sich vieles von der Verzweiflung der Abgehängten Bahn. Arbeitslosen und Tagelöhnern steht vielleicht nur nihilistische Gewalt zur Verfügung. Dass manche Stimmen der Diaspora diese Art von Aufstand nun idealisieren, als handele sich um ein Vorbild an Radikalität und Systemopposition, wirkt befremdlich. Die Iraner wollen den Umsturz!, heißt es. Auf solche Fantasien aus dem sicheren Ausland passt eine persische Redensart: Dein Atem kommt von einem warmen Ort.

Quelle       :        TAZ           >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben        —           =Ali Khamenei’s weekly meetings with families of martyrs – Jan 2, 2018 (13961012 0938620) Ayatollah Ali Khamenei, the Supreme Leader of Iran, in the weekly meeting with a number of families of „martyrs“, afternoon Jan 2, 2018, referring to Iranian protests and „the enemies‘ efforts to damage the Islamic system“, he stated: „What prevents the enemies and their hostile actions is the spirit of courage, self-sacrifice, and faith among the people.“ „In recent events, the enemies of Iran united by using different tools in their disposition, including money, weapons, politics and intelligence, in order to create problems for the Islamic system.“ He continued, „Regarding these events [protests], I have more to say, which I will share with dear Iranian people at the right time.“

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Unten        —        2019 Iranian protests

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