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Iran: Die Macht des Klerus

Erstellt von Redaktion am Montag 12. Februar 2018

Iran – alte Nation, neue Gesellschaft

Von Bernard Hourcade

Fast 40 Jahre nach der islamischen Revolution hat sich das Land an die internationale Isolation gewöhnt. Innerhalb der Region jedoch versucht Teheran über ein Netz von Verbündeten seinen Einfluss auszuweiten.

Mit der Intervention der Revolutionsgarden in Syrien und im Irak hat Iran zum ersten Mal in seiner modernen Geschichte einen militärischen Sieg außerhalb seiner Landesgrenzen errungen.

Am 21. November 2017 verkündete Präsident Hassan Rohani das Ende des sogenannten Islamischen Staats (IS), und General Qassem Soleimani, Kommandant der für Auslandseinsätze ausgebildeten Al-Quds-Einheiten, sprach von einem „entscheidenden Sieg“. Dreißig Monate nach der Unterzeichnung des Atomabkommens mit sechs Großmächten am 14. Juli 2015 war der Sieg über die Dschihadisten für Teheran ein weiterer Schritt aus der diplomatischen und wirtschaftlichen Isolation und zurück auf die internationale Bühne.

Der praktische Nutzen, den diese Siege für Teheran haben, ist allerdings gering. Sie haben der Islamischen Republik den Vorwurf eingebracht, hegemoniale Ambitionen zu verfolgen. Und die erhoffte wirtschaftliche Erholung wird von der Trump-Regierung blockiert, indem sie die Aufhebung von Sanktionen verweigert. Iran wird auch heute, nach fast vier Jahrzehnten Ausgrenzung, internationaler Embargos und Kriegsdrohungen immer noch nicht als „normale“ Regionalmacht anerkannt. Das Land hat sich daran gewöhnt, isoliert, von der Globalisierung ausgeschlossen und vor „ausländischen Aggressionen“ auf der Hut zu sein.

Viele Beobachter suchen die Erklärung für diese Isolation in einer fernen Vergangenheit. Sie verweisen auf das Achämenidenreich aus dem vorchristlichen 5. Jahrhundert, auf die persische Kultur oder die schiitische Reli­gion und ihren Klerus. Dabei ignorieren sie allerdings die tiefgreifenden Veränderungen der Gesellschaft und des politischen Lebens seit der Revolution von 1979.

Die Kinder der Revolutionäre fordern mehr Gerechtigkeit

Seit diesem historischen Einschnitt gibt es eine Konkurrenz zwischen drei Strömungen: dem iranischen Nationalismus, dem Islamismus und diversen Öffnungsbestrebungen. Keine von ihnen ist je ganz verschwunden. Alle drei haben sich weiterentwickelt und ergänzen sich gegenseitig. Heute herrscht zwischen ihnen eine mühsam austarierte Balance, die das politische Leben in Iran maßgeblich bestimmt.

Das Nationalgefühl hat trotz des Widerstands des Klerus nie nachgelassen. Besonders ausgeprägt war es unter Reza Schah Pahlavi (1925–1941), der die vorislamische Vergangenheit feierte, und dann wieder bei der Verstaatlichung des Erdöls 1953. Der Mythos vom ewigen Iran handelt vom Land der Arier – Iranzamin –, das trotz der zahlreichen Invasionen von Griechen, Arabern, Türken und Mongolen und trotz Bedrängnis durch das osmanische, russische und britische Imperium zwar nicht immer seine Unabhängigkeit, wohl aber seine Identität bewahrt hat.1 Paradoxerweise hat die Islamische Republik dieses vielschichtige Erbe vollständig angenommen. Bereits kurze Zeit nach der Revolution wurde der Zentralstaat gestärkt,2 der von drei verbündeten Gegnern, dem Irak, den Erdölmonarchien und den westlichen Staaten, angegriffen wurde.

Der irakische Überfall im September 1980 hat die Fusion von Nationalismus und Islamismus besiegelt. Die universalistischen Ansprüche der islamischen Revolution traten hinter die Notwendigkeit zurück, die nationalen Grenzen zu verteidigen. Revolutionswächter und Milizionäre (Basidschis) wurden zu Helden des Vaterlands. Die Rückeroberung der Grenzstadt ­Chorramschahr am 22. Mai 1982 wurde als Befreiung nationalen Territoriums gefeiert – und nicht als Sieg des politischen Islam, der durch dieses Ereignis eher geschwächt wurde. Die politische Macht des schiitischen Klerus und des obersten Führers bleibt zwar bis heute bestehen, aber sie beruht auf der ­potenziellen Mobilisierung von Mil­lionen ehemaligen Kämpfern, die damals die junge Republik verteidigt haben.

Der iranische Nationalismus kultiviert den Geist des „Widerstands“, nicht den Geist der Eroberung. In seiner langen Geschichte wurde Iran häufig Opfer von Invasionen. Seit der Gründung als moderner Staat im 16. Jahrhundert verlor er immer wieder Kriege gegen seine Nachbarn, und zuweilen auch Territorien.

Nur selten unternahm das Land selbst erfolgreiche Angriffe, wie etwa auf ­Delhi 1739 oder auf Tbilissi 1795. Weil das Perserreich zwar iranisch und schii­tisch war, aber von türkischen und arabischen, sunnitischen und christlichen Völkern umgeben wurde, versuchte es nicht, fremde Gebiete zu erobern. Es strebte lediglich nach einem gewissen Einfluss in den Pufferzonen, die an das iranische Hochland grenzen: In den ­Gebieten östlich des Tigris, im südlichen Kaukasus, am Kaspischen Meer, in der turkmenischen Steppe, in den afghanischen Provinzen Herat und Helmand und natürlich am Persischen Golf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg sah die Armee des Schahs ihre Berufung darin, einem möglichen sowjetischen Angriff entgegenzutreten. Auch die Islamische Republik hielt sich an diese militärische Defensivstrategie: erzwungenermaßen – weil sie aufgrund des Waffenembargos über keine modernen Waffensysteme (Raketen, Kampfflugzeuge, Panzer, Artillerie) verfügte –, vor allem aber um der nationalen Tradition zu genügen. Die Streitkräfte waren für einen asymmetrischen Verteidigungskrieg ausgerüstet, hatten nicht das Potenzial für einen langwierigen Auslandseinsatz. Iran war also nationalistisch, nicht imperialistisch. Dennoch verfügte das Land über effektive Verteidigungswaffen.

Die Veteranen des Irakkriegs, die heute an den Schaltstellen der Macht sind, erinnern sich an den „Städtekrieg“ und an die irakische Raketen, die damals in den urbanen Zentren einschlugen. Auch deshalb haben sie die Entwicklung ballistischer Waffen zur Priorität erklärt. Die ist für sie schon deshalb nicht verhandelbar, weil die Nachbarstaaten vom Westen mit einem ungleich mächtigeren Arsenal ausgestattet wurden. In dieser Frage ist der nationale Konsens noch stärker als in Sachen Atomwaffen.

Im Hinblick auf ein nukleares Arsenal gab es in der Bevölkerung zwar Meinungsverschiedenheiten, aber einen Konsens darüber, dass das Land selbst zu entscheiden habe. Die di­plo­matische Lösung der Atomkrise hat dem Begriff „Widerstand“ eine neue Dimension verliehen: Die Iraner sind stolz darauf, dass man die Großmächte gezwungen hat, über ein so wichtiges Thema auf Augenhöhe zu verhandeln. Die Regierung versichert, dass sie das Völkerrecht einhalten wird, und sucht die Unterstützung der EU, Russlands und Chinas, um einen Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen zu verhindern.

Hauptgegner der neuen Öffnungspolitik ist immer noch der alte Nationalismus, dem Niederlagen, Märtyrer und Abschottung lieber sind als ein Sieg, der Kontakte zum Rest der Welt voraussetzt. Die Angst vor dem Chaos und den Kriegen, die in den Nachbarländern wüten, stabilisiert das System ebenso wie die Erinnerung an die Dramen der Revolution. Rohani verkörpert den Geist der Mäßigung, der eingeschränkte, aber echte Wahlen und die institutionelle Vorherrschaft des Klerus für vereinbar hält.3

Der moderne iranische Staat wurde im 16. Jahrhundert von den turksprachigen Safawiden auf der Grundlage der schiitischen Religion gegründet. Im Iran der Pahlavis wurde der Islam zu einem untergeordneten politischen Faktor. Ab 1979 definierte sich die junge Republik erneut als „islamisch“, um den Geist am Leben zu halten, der das Volk gegen den Schah geeint hatte. Der Klerus um Ajatollah Ruhollah Chomeini steuerte den revolutionären Prozess zwar in seinem Sinne, musste jedoch auf die Randstellung der iranischen Schii­ten in einer überwiegend sunnitischen Region Rücksicht nehmen und bekannte sich zur Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen. Dabei war die Radikalopposition zu Israel ein probates Mittel, um in der muslimischen Welt akzeptiert zu werden.

Doch das ganze Konzept ging in der Praxis nicht auf. Als die Islamische Republik den Staat gegen die irakische Invasion verteidigen musste, berief sie sich schnell wieder auf ihre iranisch-schiitische Identität und suchte Verbündete unter den ethnischen oder religiösen Minderheiten in der weiteren Region. Dazu gehörten die Armenier, die persischsprachigen Tadschiken in Afghanistan und sogar die irakischen Kurden, die in den 1970er Jahren dem Baath-Regime in Bagdad getrotzt hatten. Man setzte also auf schiitische oder heterodoxe Minderheiten, die über die sunnitische – arabische oder türkische – Welt verstreut leben (siehe Karte). Eine solche Archipelgeografie entbehrt allerdings jeder territorialen Kontinuität und erhöht das Risiko der Umzingelung.

Schiiten als Schützlinge und Speerspitze Teherans

Das Flaggschiff dieses „schiitischen Archipels“ ist zweifelsohne die libanesische Hisbollah. Seit mehreren Jahrhunderten pflegt die starke schiitische Gemeinschaft im Libanon enge Beziehungen zu Iran.4 Schon zu Zeiten des Schahs war der iranische Geheimdienst in Beirut aktiv. Der Savak unterstützte in den 1970er Jahren die gemäßigte schiitische Partei Amal, wollte aber vor allem den schiitischen Klerus im Libanon kontrollieren: Leute wie Ajatollah Musa as-Sadr, der Verbindungen zu Chomeini hatte.

Die Islamische Republik nutzte diese libanesischen Netzwerke sofort, um mit Geiselnahmen und Attentaten gegen Staaten zu agieren, die den Irak unterstützten und Truppen im Libanon stationiert hatten, wie Frankreich und die USA. Im Juli 1982, als Iran im Krieg mit dem Irak gerade die Oberhand gewann und in der UNO vergeblich die Verurteilung Bagdads als Aggressor forderte, erfolgte die israelische Invasion im Libanon. Sie war entscheidend für die Entscheidung Teherans, seine Position im Libanon angesichts der absehbare Verlängerung des Kriegs mit dem Irak zu verstärken.

Quelle    :      Le Monde diplomatique >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen  :

Oben    —    Blick über Teheran nach Norden ins Elburs-Gebirge

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