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Im Kern gespalten

Erstellt von Redaktion am Samstag 20. Januar 2018

Kurz nach den Sondierungen wollten die Genossen nachverhandeln

Das Foto zeigt Kevin Kühnert. Der junge Mann in schwarzem Hemd schaut streng und selbstbewusst in die Kamera.

Aus Berlin, Düsseldorf und Dortmund Stefan Reinecke, Ulrich Schulte und Andreas Wyputta

Am Sonntag stimmt die SPD darüber ab, ob sie Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnimmt. Juso-Chef Kevin Kühnert kämpft gegen die Groko, SPD-Chef Martin Schulz dafür. Links gegen rechts – und mehr. Denn der Riss geht diesmal viel tiefer.

or Leuten wie Anna Spaen­hoff muss SPD-Chef Martin Schulz Angst haben. „Ich werde am Sonntag auf jeden Fall gegen die Groko stimmen“, sagt Spaenhoff, 29. Sie schnaubt, lehnt sich vor, der bernsteinfarbene Anhänger an ihrer Halskette tanzt. „Ein Witz“ sei ein Rentenniveau von 48 Prozent, das Sondierungsergebnis viel zu unverbindlich, CDU und CSU nähmen die SPD nicht ernst.

Die Politikstudentin Spaenhoff, Mitglied im Juso-Landesvorstand in Nordrhein-Westfalen, will verhindern, wofür die versammelte SPD-Spitze um Martin Schulz wirbt. Bloß kein neues Bündnis mit CDU und CSU. Bloß nicht noch eine vierjährige Quälerei an der Seite Merkels. Die SPD, davon ist Spaenhoff überzeugt, muss sich in der Opposition erneuern.

Damit ist sie nicht allein. Die SPD ist zerrissen wie selten. Auf dem Parteitag am Sonntag in Bonn werden 600 Delegierte über Koalitionsverhandlungen mit der Union entscheiden. Schulz und die SPD-Spitze werben für ein Ja. Setzten sich die Groko-Gegner durch, bliebe in der SPD kein Stein auf dem anderen. Schulz wäre wohl erledigt, dem Rest der Führung wäre geschadet.

Wird sich die Partei also wie so oft ins scheinbar Unvermeidliche fügen? Oder kündigt sich ein Erdbeben an?

Spaenhoff stammt aus einer sozialdemokratischen Familie. Ihr Großvater war Dortmunds 2006 gestorbener Altbürgermeister, der Lokführer und Gewerkschafter Willi Spaenhoff. Ihr Vater leitete früher die Dortmunder Bürgerdienste, die Mutter ist Schulsekretärin. Anna Spaenhoff ist die erste in der Familie, die studiert.

Das 28-seitige Sondierungspapier liegt vor ihr auf dem Holztisch in einem Bistro am Dortmunder Friedensplatz. Spaenhoff ist mit 20 in die SPD eingetreten, nachdem sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kinderheim absolviert hatte. Dort half sie Kindern, deren Eltern alkoholkrank waren oder die Gewalt erfahren hatten. Die Grünen habe sie auch interessant gefunden, erzählt sie. „Aber Soziales schien mir wichtiger als Umweltschutz.“

Jung, klug und engagiert – Frauen wie Spaenhoff sind die Zukunft der SPD. Mit ihrem Werben für die Koali­tions­verhandlungen könnte die Parteispitze nun ausgerechnet jene Leute vergraulen, die sie für die Erneuerung der Partei dringend braucht. Denn die Jusos sind die Anführer der Revolte gegen die Groko, sie kanalisieren die Skepsis der Basis mit einer geschickt aufgezogenen Kampagne. Sie posten auf Facebook und Twitter, malen Plakate, und ihr wortgewandter Vorsitzender Kevin Kühnert tourte die ganze Woche unermüdlich durch die Republik.

Die Bürger hätten die Groko abgewählt, sagt Kühnert. Und der AfD dürfe nicht die Oppositionsführerschaft überlassen werden. Die Ironie dabei ist, dass Kühnert fast wortgleich die Argumente vorbringt, die Martin Schulz nach der Bundestagswahl gegen eine Regierungsbeteiligung ins Feld führte.

Martin Schulz, 62, trifft am Dienstagabend in Düsseldorf auf seine Gegner. Vor einem Hotel am Rand der Innenstadt machen etwa 50 Jusos Stimmung gegen die Große Koalition. „#NoGroKo“ und „kein GroKolores“ steht auf ihren Schildern. „Nie, nie, nie wieder Groko“, rufen sie. Einer schlägt mit aller Kraft eine Trommel.

Nordrhein-Westfalens SPD-Vorsitzender Michael Groschek und seine Generalsekretärin Svenja Schulze warten an der Hotelvorfahrt im Regen lange Minuten, bis Schulz’ schwarze Limousine endlich vorfährt. Von Groschek gibt es einen aufmunternden Händedruck, von Schulz ein Küsschen für den Parteichef.

Nun könnte ein Spießrutenlauf folgen. Der Weg bis zum Tagungsraum ist etwa 100 Meter lang, Schulz muss durch die Gruppe wütender Jusos. Doch er entschärft die Situation souverän: Lächelnd geht er auf sie zu, schaut kurz auf eines ihrer Flugblätter. Auf einem wird ihm vorgeworfen, den Wählerwillen zu ignorieren und der AfD „eine noch größere Bühne für ihre rassistische Hetze“ zu überlassen. Autoritär strukturierte Typen würden jetzt mit einem Wutausbruch reagieren.

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Entschuldigen Sie mein Herr, wenn ich frage : „Wer Sie sind“?
„Ich bin der Papst!“

Schulz nicht. Er wuschelt dem Juso, der ihm den Zettel in die Hand gedrückt hat, einfach nur durchs Haar – wie ein gütiger Großvater, der seinen etwas vorlauten Enkel pro forma tadelt, sich insgeheim aber über dessen Selbstbewusstsein freut. „Hey“, protestiert der Juso zwar lautstark – doch das Eis ist gebrochen: Der Parteinachwuchs, aber auch Schulz, Groschek und Schulze lachen erleichtert.

In seiner Partei herrsche eben ein „lebhafter Debattenprozess“, sagt Schulz später. Einen solchen erwarte er auch von den Delegierten am Sonntag. Lebhafter Debattenprozess? Es spricht für Schulz, dass er seinen Humor nicht verloren hat. Mehrere Landesverbände haben sich gegen die Groko ausgesprochen. Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin. Man konnte dabei zusehen, wie Schulz’ sowieso schon angekratzte Autorität in den vergangenen Tagen weiter bröckelte

Am Freitag vor einer Woche, nach einer durchwachten Verhandlungsnacht, lobte er neben der Kanzlerin das Sondierungspapier überschwänglich. „Ich glaube, dass wir hervorragende Ergebnisse erzielt haben.“ Manche in der SPD hielten das für einen taktischen Fehler: Schließlich konnte keiner übersehen, dass das Papier schmerzhafte Kompromisse enthält – und die SPD wichtige Ziele wie eine Bürgerversicherung nicht durchsetzen konnte.

Nur wenige Stunden später forderten Spitzengenossen, die selbst mitverhandelt hatten, Nachbesserungen. SPD-Vize Ralf Stegner machte die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung zur Bedingung für eine Koalition. Malu Dreyer, Königin der Herzen in der SPD, und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller schienen vorsichtig von ihrem Ja zur Groko abzurücken. Es sah so aus, als traue die SPD dem Kompromiss mit der Union nicht mehr über den Weg. Schulz rief sogar dazu auf, dass ihn bitte mal wer unterstützen möge – es klang verzweifelt.

Während die SPD-Spitze nach den Sondierungen in eine Kakophonie ausbrach, reagierten die Groko-Gegner schnell, klar und entschlossen. Kühnert, der Rebell, kommentierte auf Twitter lakonisch: „Wenn Schulz und Seehofer beide meinen, das Ergebnis sei für ihre Parteien ‚hervorragend‘, dann liegt mindestens einer falsch.“ 1.200 Likes, knapp 350 Retweets.

„Da kommt ja unser Medienstar“, frotzelt eine ältere Genossin am Dienstagabend in Berlin, als sich Kühnert einen Weg durch Kameraleute, Fotografen und Journalisten bahnt. Sogar das norwegische Fernsehen ist da. Kühnert, 28, trägt ein blaues Sweatshirt, Jeans. Der Stadtteil Friedenau liegt im wohlhabenden Süden der Hauptstadt. Wer hier in der SPD ist, gehört eher zur akademischen Mittelschicht. Der SPD-Ortsverein ist von Beamten, Lehrerinnen, Senatsangestellten geprägt.

Kühnert ist hier „der Kevin“. Es ist ein Heimspiel, seine Mentorin war eine örtliche SPD-Abgeordnete. Er herzt eine paar Genossinnen und redet eine halbe Stunde, flüssig, ohne Skript. Er rudert dabei mit die Armen, gestikuliert, reckt den Zeigefinger, wippt mit den Beinen. Kühnert ist ein Kommunikationstalent. In ein paar Wochen ist er von einem Niemand zum Gegenspieler von Martin Schulz aufgestiegen.

Die Stuhlreihen stehen eng in dem kleinen Raum. Parkettfußboden, geweißte Backsteinwand. Gediegenes Interieur. An der Wand hängt ein Plakat der Jugendorganisation Die Falken: „Freundschaft statt Vaterland“. Darauf zerschnipselt im Hintergrund eine Schere die deutsche Flagge. Aber das ist nur ein Relikt eines alten Radikalismus. Kühnert ist das Gegenteil. Pragmatisch, beredet, vernünftig.

„Der Sonntag“, sagt er, „wird schwierig. Wir müssen das gesittet über die Bühne bringen.“ Gesittet. Wer so redet, ist kein Rebell, der das Partei-­Establishment verjagen will. So klingt jemand, den man sich in ein paar Jahren eher als Staatssekretär im Finanzministerium vorstellen kann als mit Megafon auf der G20-Demo. „Wir haben ein Repräsentationsproblem an der SPD-Spitze“, sagt er. Die Skepsis der Basis komme zu kurz, auch wenn es immerhin schon sechs Neinstimmen im Parteivorstand gab. „Das ist schon mal was. Ich bin froh darüber.“

Quelle   :      TAZ         >>>>>        weiterlesen

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Unten    —  

Grafikquelle : Visite du pape François au Parlement européen de Strasbourg.

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