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Ich fühle mich so schuldig

Erstellt von Redaktion am Montag 22. Mai 2017

NSU – Tribunal im Schauspiel Köln

von Dorothea Marcus

Fünf Tage lang klagt das erste NSU-Tribunal an: laut und präzise. Nach viel Recherche werden Agenten, Neonazis und Politiker der Beihilfe beschuldigt.

Beate Zschäpe wälzt sich schluchzend auf dem Boden. „Unschuldige Menschen sind gestorben! Ich fühle mich so schuldig, dass ich nicht in der Lage war, auf Uwe Mundlos entsprechend einzuwirken“, ruft sie tränenerstickt. Und referiert gleich darauf, dass im Gefängnis das Haare tönen ein Schnäppchen ist.

Schauspielerin Lucia Schulz schafft es auf der Bühne des Depot 1 im Schauspiel Köln sehr schön, die Einlassungen der Hauptangeklagten wortgetreu wiederzugeben und dabei ihre Scheinheiligkeit vorzuführen. Die Inszenierung „A wie Aufklärung“ des Kölner Nö-Theaters bringt die Absurdität der NSU-Aufarbeitung auf den Punkt – laut, schrill, bösartig und präzise. Die Performer spielen nach, wie Akten geschreddert und Beweismittel abtransportiert wurden, fünf Zeugen angeblich einfach so starben. Aber kann man mit Theater dem NSU-Komplex überhaupt angemessen begegnen?

Das Schauspiel Köln, in direkter Nachbarschaft der Keup­straße gelegen, wo 2004 das NSU-Nagelbombenattentat verübt wurde, arbeitet schon lange daran, das Trauma der Straße aufzuarbeiten. Etwa mit Stücken wie „Die Lücke“, in der Anwohner selbst auf die Bühne kamen. Für das Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ hat es allerdings nur die Infrastruktur bereitgestellt und den eigenen Spielbetrieb unterbrochen.

Rund zwei Jahre lang haben rund hundert Aktivisten, Künstler und Antifa-Gruppen ein selbst­organisiertes Gegentribunal vorbereitet, das den bisherigen Prozessen und Untersuchungsausschüssen zum NSU noch etwas zur Seite stellt. So etwas gab es in Deutschland bislang noch nicht – hat aber als prominentes historisches Vorbild die „Russell-Tribunale“ , wie die Pariser Historikerin Chowra Makaremi am ersten Abend erläutert: Bereits 1966 rief der britische Philosoph und Literaturnobelpreisträger Bertrand Russell Gegengerichte ein zur Untersuchung der US-Kriegsverbrechen in Vietnam, seitdem wurden so Unterdrückung in Brasilien, der Irakkrieg, der Nahostkonflikt bearbeitet.

Es gab sogar einen noch früheren Vorläufer: Als 1933 der Reichstag brannte, organisierte der deutsche Verleger und Kommunist Willi Münzenberg noch vor dem Berliner NS-Fake-Prozess in London ein Gegentribunal. Kritik indes gab es an der selbstorganisierten Justiz, die vor allem Gegenöffentlichkeit schaffen will, allerdings auch immer wieder: sowohl an der Einseitigkeit der angerufenen Zeugen als auch an den Ergebnissen, die stets im Voraus festzustehen schienen.

NSU-Recherche auf eigene Faust

Das ist in Köln auch nicht anders, verstört darum aber auch nicht weniger: das akribisch zusammengetragene Recherchematerial zeigt, wie Deutschland durchzogen wird von einem absolut gewaltbereiten und immer aktiveren rechtsradikalen Netz.

Eindrucksvoll wird das belegt von Gruppen wie „NSU Watch“, die beim Tribunal täglich die neuesten Ergebnisse zusammenfassen und einen neuen Überblick geben über bereits bekannte beklemmende Beweisvernichtungen und Verschleierungen, Aktenschredderungen und Verfassungsschutz-Verstrickungen.

Auch ein Workshop der Jugend-Gerichtswerkstatt „TRAFO“ aus Chemnitz demonstriert das eindrücklich: Angeleitet durch Streetworker und unterstützt durch das Kulturbüro Sachsen, treffen sich hier regelmäßig Jugendliche und erforschen auf eigene Faust, wo das NSU-Trio untertauchte, zeichnen ihre Wege nach, interviewen die Bankangestellten, die damals überfallen wurden, und kommen zu ganz eigenen Ergebnissen. Darüber etwa, wie frei sich Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im „Untergrund“ in Chemnitz bewegen konnten und dass das erbeutete Geld noch nicht einmal ausreichte, ihre Urlaube zu bezahlen. Wie aber wurden sie sonst finanziert?

Quelle  : TAZ  >>>>>  weiterlesen

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Grafikquelle  :  Keupstraße (2007)

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  • File:Keupstrasse.jpg
  • Erstellt: 16. Februar 2007

 

 

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