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Hokus Pokus Globuli

Erstellt von Redaktion am Montag 4. März 2019

Das weiße Nichts

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Aus Heidelberg, Köthen, Mainz und Velen Bernd Kramer

Für die Wirksamkeit von Globuli gibt es keine ernsthaften Belege. Warum kommt diese Erkenntnis bei den Anhängern der Homöopathie nicht an?

An der Universität Mainz soll eine Ärztin einen Vortrag halten. Philosophicum, Hörsaal P2, Mittwoch, 14. November 2018, 19 Uhr. Das Thema: „Die Alternativmedizin – wirklich eine Alternative?“ Normalerweise nimmt außerhalb der Hochschule kaum jemand Notiz von solchen Veranstaltungen. Bei dieser bricht Empörung aus, als habe die Uni den Antichristen für einen Ehrendoktor in Theologie nominiert.

Als Ulrike Fröhlich erfährt, wer da in Mainz sprechen soll, setzt sie einen Protestbrief an den Rektor der Universität auf. Fröhlich ist Vorsitzende der Hahnemann-Gesellschaft, einem Zusammenschluss homöopathischer Mediziner. Sie schickt ihren Brief an Zeitungen. Sie will, dass der Vortrag abgesagt wird. „Ich werde es nicht widerspruchslos hinnehmen“, schreibt Fröhlich, „dass unsere wissenschaftliche Kultur derart beschädigt wird“.

Die Referentin des Abends, Natalie Grams, ist eine Reizfigur für die Anhänger der Homöopathie. Sie gehörte selbst lange zu ihnen. Heute sieht sie die Homöopathie kritisch. Fröhlich nennt Grams in ihrem Brief eine „selbsternannte ‚Sachkundige‘“, durch deren „einseitigen Lobby-Vortrag“ Studierende „unsachgemäß informiert“ würden.

Einen Tag vor dem Vortrag kündigt Ulrike Fröhlich an, die Uni Mainz zu besuchen. Sie habe etwa 35 Kollegen gebeten, ebenfalls zu kommen. Auch Patienten habe sie angeschrieben, sagt sie einem Fachportal für Apotheker.

Ein paar Stunden vor der Veranstaltung ist auf Twitter von einem Skandalvortrag die Rede. Ein Blogger, der mit Ulrike Fröhlichs Hahnemann-Gesellschaft gut vernetzt ist, ruft die Veranstalter dazu auf, dafür zu sorgen, dass es zu „keinen gewalttätigen Ausschreitungen“ gegen die Homöopathen komme. Ein paar Tage zuvor hatte er Kritik an der Homöopathie mit der Judenverfolgung im „Dritten Reich“ verglichen.

Kurz vor dem Vortrag patrouillieren zwei Polizisten auf dem Flur des Philosophicums, einem Funktionsbau mit überfüllten schwarzen Brettern.

Warum ist die Stimmung nur so aufgeheizt, wenn es um die Homöopathie geht?

Die Homöopathie ist eines der beliebtesten alternativen Therapieverfahren in Deutschland. Gut die Hälfte der Deutschen soll laut der Umfrage eines Herstellers bereits homöopathische Mittel genutzt haben. In jedem Bekanntenkreis findet sich jemand, der auf die kleinen Zuckerkügelchen schwört, die Globuli.

Und auf den ersten Blick wirkt das Ganze ja seriös. Die Homöopathie ist im Gesundheitssystem verankert. Homöopathische Mittel sind apothekenpflichtig, sie haben Beipackzettel über Risiken und Nebenwirkungen. Manche Krankenkassen zahlen für die Therapie. Und Ärztinnen wie Ulrike Fröhlich führen offiziell die Zusatzqualifikation als Homöopathin wie andere die als Proktologe. Wenn die Homöopathie ein Irrtum ist, warum sollte die Proktologie dann wahr sein?

Schaut man genauer hin, bekommt man schnell den Eindruck, in einer Trollfabrik gelandet zu sein. Es wird gekämpft und gehasst, oft persönlich, gern bizarr. Als das ZDF im Januar eine Dokumentation über die Heilmethode ausstrahlte, rief Ulrike Fröhlichs Hahnemann-Gesellschaft dazu auf, massenhaft bei dem Sender anzurufen – inklusive Argumentationsvorlage: „Der Hinweis auf die Wissenschaftlichkeit ist in diesem Zusammenhang nicht wichtig“, steht in der Rundmail. „Diese Aktion dient nicht der inhaltlichen Auseinandersetzung.“

In letzter Zeit ist viel vom Postfaktischen die Rede, davon, dass gefühlte Wahrheiten in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen wichtiger werden als echte und die Debatten immer unversöhnlicher. Im Kampf um die Homöopathie lässt sich vieles davon beobachten.

Es sind noch gut sechs Stunden bis zu ihrem Vortrag im Mainzer Hörsaal P2. Natalie Grams ist noch in Heidelberg, sie schaut auf ihr Handy, auf die Twitter-Aufregung, die Proteste. Sie ist das gewohnt, im Netz wurde schon ihre Doktorarbeit durchleuchtet und spekuliert, dass Grams als verdeckte Lobbyistin der Pharmaindustrie arbeite. „Aber kalt lässt mich das überhaupt nicht“, sagt sie.

Nach einem Vortrag in Linz habe sich einmal ein Arzt, ein stattlicher Mann, vor ihr aufgebaut und sie in bedrohlichem Ton gefragt: „Glauben Sie etwa, dass wir alle dumm sind?“

Grams steht in Heidelberg in ihrer ehemaligen Praxis, ein Eckhaus gegenüber einer Grundschule. Früher war hier ein Nähladen, Grams nahm einen Kredit auf, riss den Linoleumboden heraus und verlegte helles Laminat. Inzwischen arbeiten hier zwei Physiotherapeuten, sonst hat sich wenig geändert. An den Wänden hängen die Bilder, die Grams angebracht hat, langformatige Fotos: eine Möwe, eine Rose, eine Schlossmauer – symbolisch für die tierischen, pflanzlichen und mineralischen Ausgangsstoffe, die die Homöopathie klassischerweise verwendet. 500 homöopathische Mittel verwahrte sie in dem großen Medizinschrank im Sprechzimmer. Drei Jahre hat Grams hier als Privatärztin praktiziert. Bis ihr Zweifel kamen.

Die begannen, als sie ein Buch in den Händen hielt: „Die Homöopathie-Lüge“. Grams reagierte so wie die, die sich heute über ihre Vorträge und Bücher aufregen. Sie schrieb eine empörte Kundenrezension bei Amazon. Wer erlebt habe, wie die Homöopathie Leben verändere, schrieb sie, der könne unmöglich so ein Buch verfassen.

Unter dem Post entspann sich eine Diskussion, und Grams ließ sich darauf ein. Woher willst du wissen, dass es die Homöopathie war?, fragte jemand. Grams verstand die Frage nicht. Sie ging ihre Patientenakten durch, die vielen Erfolgsgeschichten, die sie darin zu finden meinte. Da war die Alkoholikerin, die fast jede Woche bei ihr in der Praxis saß, die irgendwann trocken wurde und wieder einen Job fand. Ist das nicht eindeutig?

Kann es nicht auch die Zuwendung gewesen sein?, hielt jemand dagegen. Das Gespräch? Oder der Verlauf der Zeit? Warum soll es ein Medikament gewesen sein, das so stark verdünnt ist, dass kein Wirkstoff mehr in ihm nachzuweisen ist?

„Die haben immer weiter nachgefragt“, sagt Grams. „Und ich bekam sie einfach nicht überzeugt.“ Sie nahm sich vor, selbst ein Buch zu schreiben, das alle Zweifel ausräumen sollte. Die Homöopathie-Wahrheit.

Eines Tages saß eine Brustkrebspatientin auf der anderen Seite von Grams Schreibtisch, vor dem Bild mit der Schlossmauer. Die Frau hatte panische Angst vor einer Operation, sie bettelte um ein homöopathisches Mittel gegen den Tumor. Wie könnte ich das verantworten, in so einem gravierenden Fall, wenn ich nicht 100-prozentig sicher sein kann, dass die Homöopathie hilft?, dachte Grams. So erzählt sie es heute. Sie könne die Globuli ja ergänzend zur Operation nehmen, antwortete sie ihrer Patientin. Den Krebs wollte die Frau später von einem Wunderheiler behandeln lassen.

Portrait der Autorin Natalie Grams.jpg

Ärztin und Autorin Dr. med. Natalie Grams aus Heidelberg

Grams las, eher zufällig, Bücher aus der Psychologie, die sich mit Denkfehlern beschäftigen. Zum Beispiel von Daniel Kahneman, einem Nobelpreisträger, der in unzähligen Experimenten zeigte, dass wir im Alltag laufend falsch wahrnehmen und urteilen. Kahneman schreibt, dass wir eher das für wahr halten, woran wir uns schnell erinnern, was in unserem Kopf ohne große Mühe verfügbar ist.

Unsere eigenen Erfahrungen, schreibt Kahneman, fühlen sich wahrer an als die anderer, von denen uns berichtet wird. Über Homöopathie schreibt Kahneman nicht ausdrücklich, aber man kann seine Überlegungen problemlos übertragen. Wenn wir am eigenen Leib zu erleben meinen, wie eine Medizin wirkt, überzeugt uns das eher als eine Studie. Ein Arzt, der mit Homöopathie behandelt, erinnert sich leichter an die Patienten, die immer wieder in die Praxis kommen, die Zufriedenen. Die Unzufriedenen, die nach ein, zwei Besuchen wegbleiben, vergisst er. Der Erfolg fühlt sich wahrer an als der Misserfolg.

Grams erzählt, dass einmal ein japanisches Paar zu ihr kam, das verzweifelt nach einem Mittel gegen die Neurodermitis ihres Säuglings suchte. Sie hatten schon mehrere Homöopathen konsultiert. Auf einem karierten DIN-A4-Blatt hatte der Vater in winziger Schrift in jeder Kästchenreihe notiert, mit welchen Globuli sie es versucht hatten. Alle vergebens.

Wenn die Homöopathie so wirksam ist, fragte sich Grams, wieso konnte keiner ihrer Kollegen helfen? Und wieso sollte sie es können? Beruhte ihr Glaube an die Homöopathie vielleicht auf den Denkfehlern, die Kahneman beschrieb? „Jeden Patienten, der wegbleibt, macht man sich zum Vorwurf“, sagt sie. „Aber ich wäre nie darauf gekommen, dass ihnen die Homöopathie vielleicht einfach gar nicht geholfen hat.“

Die Homöopathie hat sich im Laufe der Zeit zu einem Gedankengebäude aufgetürmt, mit Fachjournalen, Forschungsgesellschaften und Tagungen, die über die Lehre wachen. Die Zufälle und Fehlschlüsse, mit denen sie begann, sind nur noch schwer zu erkennen.

Köthen in Sachsen-Anhalt. In der Wallstraße schließt Liane Just ein grün gestrichenes Haus auf, das heute ein kleines Museum ist. Sie will die Ärztinnen und Ärzte, die nach einem Homöopathie-Kongress noch Lust auf eine Stadtführung hatten, an den Ursprung ihrer Überzeugungen führen: dem Haus, in dem Samuel Hahnemann von 1821 bis 1835 lebte. Drei Kongress-tage liegen hinter den Ärzten, mit Referaten über die Tropfenverdunstungsmethode und die Polaritätsanalyse.

Just steigt über die rote Kordel, hinter der ein Schreibtisch, ein schwerer Sessel und andere Originalmöbel stehen. Sie nimmt einen Kasten aus poliertem Holz aus dem Bücherregal und öffnet ihn, darin stecken mehr als 900 Fläschchen mit Globuli, mit Korkdeckeln verschlossen. „Hahnemanns Reiseapotheke“, erklärt sie. „Noch im Original befüllt.“ Die Ärzte schießen Fotos.

Als Samuel Hahnemann vor 200 Jahren die Homöopathie erfand, war die Medizin in einem erbärmlichen Zustand. Die Ärzte griffen, der Tradition folgend, zu drastischen Kuren, verabreichten Brechmittel und zapften ihren Patientinnen Blut in großen Mengen ab, damit die Krankheiten abflössen. Wer überlebte, den hatte man wohl geheilt.

Hahnemann durchschaute bemerkenswert früh, dass sich seine Kollegen über ihre Erfolge täuschten. Zeitweise gab er seine Praxis auf, auch aus Skrupel. „Auf diese Art ein Mörder oder Verschlimmerer des Lebens meiner Menschenbrüder zu werden“, schrieb er 1808 in einem Brief, „war mir der fürchterlichste Gedanke“.

Über Wasser hielt Hahnemann sich mit dem Übersetzen von medizinischer Literatur. Dabei stieß er um 1790 auf eine eigentümliche Erklärung für die Wirksamkeit der Chinarinde gegen Malaria. Die bittere Pflanze stärke den Magen, und der Zustand des Magens strahle auf den ganzen Körper aus. Reine Spekulation, wie so vieles damals. Hahnemann überzeugte es nicht.

Quelle      :       TAZ      >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben      —        Beschreibung: Wyeth Tavor, Lorazepam

  • Quelle: selbst fotografiert
  • Fotograf: Christian „VisualBeo“ Horvat
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Unten         —       Ärztin und Autorin Dr. med. Natalie Grams aus Heidelberg

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