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Gysi über linke Europapolitik

Erstellt von Redaktion am Montag 27. Mai 2019

„Wir werden nicht mehr gefürchtet“

2019-04-11 Gregor Gysi MdB by Olaf Kosinsky-8017.jpg

Interview von Pascal Beucker und Stefan Reinecke

Gregor Gysi glaubt, dass die Linken ihre EU-Skepsis überwinden werden. Wer die EU für nicht reformierbar hält, sei mittlerweile in der Minderheit.

taz: Herr Gysi, Sie lächeln uns von den Straßenplakaten der Linkspartei an. Aber man kann Sie nicht ins Europaparlament wählen. Warum kandidieren Sie nicht?

Gregor Gysi: Weil ich schon im Bundestag bin.

Finden Sie es richtig, wenn Parteien mit Figuren werben, die gar nicht zur Wahl stehen?

Ich verstehe das Argument, aber ich bin ja Präsident der Europäischen Linken. In der Rolle mache ich Wahlkampf.

Auf dem Plakat lächeln Sie in der Mitte neben dem Realo Martin Schirdewan und der Parteilinken Özlem Demirel. Immer Zentrist – das ist Ihre Rolle?

Eher immer im Mittelpunkt. (lacht) Als Vorsitzender versuche ich aber tatsächlich, immer auszugleichen.

2014 wollte Oskar Lafontaine noch, dass die Linkspartei für den Euro-Austritt wirbt. Nun kandidieren für die Linkspartei mehr proeuropäische PolitkerInnen als je zuvor. Was ist passiert?

Die Einsicht, dass wir die EU brauchen, ist gewachsen. Wir können eben Internetkonzerne nur europäisch besteuern – oder gar nicht. Außerdem: Wenn die EU zerbricht, droht der Krieg nach Europa zurückzukehren. Das kann niemand wollen. Und wir haben inzwischen eine europäische Jugend. Der können wir mit einem Zurück zum Nationalstaat, zu geschlossenen Grenzen, Pass und Visumspflicht nicht kommen. Deswegen ist für die große Mehrheit der Partei klar: Wir wollen die EU verändern, aber nicht kaputtmachen.

Nimmt die Linkspartei diese Wahl ernster als 2014?

Ja, weil wir es von Ungarn über Polen bis Italien mit einer Rechtsentwicklung zu tun haben, die gestoppt werden muss. Ihr nachzugeben, wäre der völlig falsche Weg. Die Linke muss das Gegenüber zur Rechtsentwicklung werden. Das ist unsere Aufgabe.

Warum hat die Linkspartei dann zwei weithin unbekannte KandidatInnen aufgestellt? Das bedeutet doch – Europa ist uns doch nicht so wichtig.

Schirdewan kennt die EU-Politik in Brüssel, Demirel war Spitzenkandidatin in NRW. So bekannt sind die Kandidaten der anderen auch nicht.

Katarina Barley schon.

Aber die anderen? Die sind in Deutschland auch nicht so bekannt. Entweder man findet geeignete Prominente oder man sagt, wir nehmen Leute, mit denen sich die Wählerinnen und Wähler identifizieren können, weil sie so sind wie sie. Das hat auch Vorzüge. So haben wir das ja auch bei der Europäischen Linken gemacht. Da haben wir uns für eine Schauspielerin aus Slowenien und einen Gewerkschafter aus Belgien entschieden. Das sind ebenfalls keine in Europa bekannten Persönlichkeiten, aber kommen jetzt auch gut an.

In der Wahlkampfzeitung der Linkspartei werden Violeta Tomic und Nico Cue nicht einmal namentlich erwähnt. Finden Sie das nicht etwas sonderbar?

Na ja, Nico Cue hat auf unserem Parteitag gesprochen. Beide haben in vielen Ländern an Wahlkampfveranstaltungen teilgenommen.

2014 ist die Europäische Linkspartei noch mit Alexis Tsipras als Spitzenkandidat angetreten. Das war ein anderes Kaliber.

Die Situation war anders. Er war 2014 der einzig mögliche Spitzenkandidat der Linken. Er steht jetzt nicht mehr zur Verfügung. Allerdings wäre es auch schwierig gewesen, sich auf ihn zu verständigen. Was nichts daran ändert, dass ich ihn schätze und mag.

Als Tsipras 2015 griechischer Ministerpräsident wurde, war in der Linkspartei der Jubel groß. Heute wollen etliche von ihm nichts mehr wissen. Können Sie das verstehen?

Ja, die gibt es. Aber das sind nicht viele. Auch sie sollten akzeptieren, dass es Hoffnungen gibt, die leider nicht zu erfüllen sind. Tsipras hat sich als Regierungschef eines der wirtschaftlich schwächsten Länder der EU nicht gegen Deutschland, Frankreich, Großbritannien durchsetzen können. Er hat gekämpft. Er war aber allein auf weiter Flur und musste sich dem Diktat überwiegend beugen. Darunter litten Mitglieder meiner Partei – ich ja auch. Aber ist das seine Schuld? Jetzt gibt es ja auch noch die linke Regierung in Portugal. Die hat mit höheren Löhnen, Renten und Sozialleistungen die Binnenwirtschaft belebt, die Steuereinnahmen steigen. Griechenland wird einen ähnlichen Weg gehen. Dann werden jene, die an Tsipras zweifeln, lernen, ihn wieder zu schätzen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Yanis Varoufakis? Der kandidiert jetzt in Deutschland gegen die Linkspartei.

Es wäre nicht nötig gewesen, dass er als Konkurrent antritt. Wir haben angeboten, dass von seiner Partei in wichtigen Ländern je einer auf einen aussichtsreichen Listenplatz kommt. Varoufakis wollte das leider nicht. Er ist Professor, kein Politiker. Das ändert aber nichts daran, dass er ein netter Kerl ist. Wenn er ins Europaparlament einziehen sollte, glaube ich, dass er dann zur Fraktion der Linken gehen wird. Was soll er da sonst einsam rumsitzen?

Gilt das auch für den französischen Linken-Zampano Jean-Luc Mélenchon?

Für die Fraktion hoffe ich es schon. Mir scheint es dafür auch Anzeichen zu geben.

Wie soll das gehen? Immerhin sind Mélenchon und seine Partei aus Protest gegen die vermeintlich neoliberale Politik von Tsipras aus der EL ausgetreten.

Quelle       :         TAZ        >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle       :

Gregor Gysi, Mitglied des Deutschen Bundestages, während einer Plenarsitzung am 11. April 2019 in Berlin.

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