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Glücksfall Martin Schulz?

Erstellt von Redaktion am Samstag 4. März 2017

Glücks – oder Rein – fall – und alles mit den leeren Sprechblasen der Linken ?

Bildergebnis für Wikimedia Commons Schulz SPD - Merkel CDU Karikaturen

von Albrecht von Lucke

Stell Dir vor, es ist Bundestagswahl – und wir haben tatsächlich eine Wahl, sprich: die Chance einer Abwahl. Was wie eine demokratische Selbstverständlichkeit klingt, ist – Martin Schulz sei Dank – in dieser Republik endlich wieder möglich geworden. Nur zur Erinnerung: Bei den letzten beiden Urnengängen stand die Siegerin zu diesem frühen Zeitpunkt längst fest, waren die weithin überschätzten Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück quasi von Beginn an geschlagen.[1] Und bis vor kurzem ging es den Meisten mit Blick auf die SPD nur um die halb bange, halb zynische Frage, wer diesmal gegen die Kanzlerin verlieren muss – und wie hoch.

Doch mit dem Rückzug Sigmar Gabriels vom Posten des Parteivorsitzenden und seinem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur hat sich die Lage in erstaunlicher Weise geändert. Die SPD ist als relevante Herausforderin der Union wieder zurück auf dem politischen Parkett. Selbst ein Sieg gegen die vor kurzem noch für unschlagbar gehaltene Kanzlerin erscheint nicht mehr unmöglich.

Wer auch immer am 24. September gewinnen wird, Martin Schulz entpuppt sich damit bereits heute als eine dreifache Chance, um nicht zu sagen als potentieller Glücksfall: erstens für unsere Demokratie, zweitens für die SPD (und damit die gesamte deutsche Linke), und drittens – pünktlich zu ihrem Schicksalsjahr – für die Europäische Union. Mit Schulz als SPD-Kanzlerkandidaten ist der funktionale Kern der Demokratie – die Option eines Wechsels an der Spitze – in das System zurückgekehrt. Das ist gleichzeitig ein wichtiger Schlag gegen die AfD, denn deren Erfolg basierte maßgeblich auf der Unfähigkeit der Linken zu einem echten Angriff auf Merkel – und damit zu einer Regierungsalternative unter Führung der SPD. Daher der vermessene, aber durchaus erfolgreiche Anspruch der AfD, die „Alternative für Deutschland“ zu sein.

»Merkel muss weg« – nun aber von links

Wie erfolgreich die AfD mit dieser Strategie bereits war, zeigt sich daran, dass der Schlachtruf „Merkel muss weg“ in den letzten Jahren ausschließlich von rechts zu vernehmen war. Während die SPD ganz in der großen Koalition aufgegangen zu sein schien, reklamierte die AfD das Copyright auf den Sturz der christdemokratischen Kanzlerin – eigentlich die originäre Aufgabe der Linken – für sich.

Mit Martin Schulz könnte dieser Slogan nun endlich wieder die Seiten wechseln. Dabei wirkte es zunächst wie eine aberwitzige Strategie: Trotz SPD-Werten von um die 20 Prozent setzte der einstige Bürgermeister von Würselen und vormalige EU-Parlamentspräsident sofort alles auf Sieg im direkten Duell gegen Merkel.

Doch was auf den ersten Blick vermessen schien – der Anspruch, stärkste Partei zu werden –, erfährt inzwischen eine erstaunliche Bestätigung. Sämtliche Meinungsumfragen verkünden, dass die SPD dem 20-Prozent-Keller entkommen ist, ja sogar zur Union aufschließen kann. Sollte es also doch wieder Zeit für Experimente sein, sogar an der Spitze des Staates?

Damit könnte – und das wäre der zweite Glücksfall – die SPD endlich wieder aus ihrer lang anhaltenden Krise herausfinden. Obwohl Schulz bei den Umfragewerten für seine Partei noch deutlich tiefer gestartet ist als seine Vorgänger Steinmeier und Steinbrück, hat er einen regelrechten Begeisterungssturm in der Partei ausgelöst. Dabei geht er eine waghalsige, ja fast aberwitzig erscheinende Wette ein: „SPD pur“ und „Schulz muss Kanzler werden“ lautet seine Devise, in welcher Konstellation auch immer. Alles hängt somit davon ab, ob er diesen Anspruch untermauern kann.

Der große Vorteil der „Alles-auf-Sieg“-Strategie: Schulz geht damit der Notwendigkeit aus dem Weg, sich auf die Koalitionsfrage einzulassen. Denn keine der möglichen Koalitionsoptionen verfügt derzeit über positive Ausstrahlung. Nach wie vor gibt es keine rot-rot-grüne Wechselstimmung. Weder bei den kommenden Landtagswahlen im Saarland (am 26. März), wo die SPD weit hinter der konservativen Titelverteidigerin rangiert, noch bei den wesentlich wichtigeren Wahlen in Nordrhein-Westfalen (am 14. Mai), wo die rot-grüne Mehrheit derzeit auf der Kippe steht, übt Rot-Rot-Grün anziehende Wirkung aus – vom Bund ganz zu schweigen.[2] Stattdessen setzt vor allem die CSU auf einen Lagerwahlkampf gegen R2G. Die andere mögliche Dreierkonstellation unter Führung der SPD – nämlich Rot-Gelb-Grün – ist dagegen völlig ungeübt und damit ebenfalls ohne Ausstrahlungskraft. Und mit einer Fortsetzung der großen Koalition, zumal als Juniorpartner der Union, sind die SPD-Mitglieder schon gar nicht zu motivieren.

Anders verhält es sich nur mit der eigenen Kanzlerschaft. Somit entpuppt sich Schulz‘ Führungsanspruch als die einzig plausible Strategie. Dazu passt auch die Wahl des neuen Bundespräsidenten: Im Gegensatz zu 1969, als mit der Wahl Gustav Heinemanns der sozial-liberale Machtwechsel zu Willy Brandt und Walter Scheel vorbereitet wurde, steht die Wahl des Agenda-2010-Architekten Frank-Walter Steinmeier gerade für keine neue Farbkonstellation, sondern nur für den Machtanspruch der SPD.

Die Stärke der SPD aus der Schwäche der Union

Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle : extra3 (@extra3) | Twitter

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