Erstellt von Redaktion am Mittwoch 2. Juni 2021
»Gendersprache« und Vorstandsquoten, nichts könnte mir egaler sein
Geschlechtergerechte Sprache ist eine gute Sache, aber nicht alles. Zu Gleichberechtigung gehört mehr als die Diskussion übers Gendern.
Es gibt Themen, die werden interessanter, je mehr man darüber hört. Und es gibt Themen, die werden langweiliger. Letzteres ist bei mir persönlich beim Thema »Gendersprache« der Fall, allerspätestens seit das Thema so genannt wird. Ich würde es »geschlechtergerechte Sprache« nennen, aber »Gendersprache« ist natürlich praktischer für Gegner*innen, denn es klingt, als wäre es eine ganz neue Sprache, die man erst mühsam lernen muss. Funny, weil die allermeisten Wörter darin dieselben sind wie im gewohnten Deutschen von vor zig Jahren, aber gut.
Ganz ehrlich, ich hasse das Thema inzwischen. Bitte nicht falsch verstehen und sorry an alle Linguist*innen, deren Arbeitsfeld das ist, ich habe selbst schon Buchseiten darüber vollgeschrieben, aber ich würde am liebsten die nächsten Jahre nichts mehr über das Thema Gendersternchen oder Unterstrich etc. lesen oder hören. Natürlich ist es relevant, wie man gendert, wenn man spricht oder schreibt. Alle Argumente fürs geschlechtergerechte Gendern sind richtig und wichtig. Aber: Nicht so wichtig, dass sie bezüglich Geschlechtergerechtigkeit das Hauptthema sein sollten.
Niemand ist so besessen von »Gendersprache« wie Konservative und Rechte. Für sie ist es ein praktisches Thema, denn so kann man über Gleichberechtigung reden, ohne über Gleichberechtigung zu reden: Plötzlich geht es nicht mehr um Repräsentation verschiedener Menschen, sondern darum, das bitte keine Eliten irgendwem was vorschreiben sollen, blabla. Lustigerweise hat dann neulich der Hamburger CDU-Chef (Elite, oder?) Christoph Ploß ein Verbot geschlechtergerechter Sprache in Ministerien, Unis und Schulen gefordert. Ein Argument von Ploß war, dass »eine Syrerin oder ein Afghane« Wörter wie »Zu-Fuß-Gehenden-Zone« nicht verstehen könnten. Mann, wie peinlich kann es werden? Als ob auf der Problemliste geflüchteter Menschen in Deutschland geschlechtergerechte Sprache irgendwo auf den Plätzen 1 bis 1.000 auftauchen würde, im Gegensatz zu, sagen wir mal, Abschiebungen. Die Idee, dass das generische Maskulinum (also: nur die männliche Form) verständlicher ist, wurde inzwischen wissenschaftlich widerlegt, übrigens.
Aber gut, dann sollen sie es halt verbieten, wenn sie wollen. Glaubt irgendein Politiker, der Wörter wie »Schüler*innen« verbieten will, dass er damit eine Bewegung aufhalten kann? Ist das der Wahlkampfbeitrag der CDU/CSU zum Thema Gleichberechtigung? Bisher nämlich sonst nicht viel gehört. Wie lächerlich ist das? Und gefährlich.
Ob Ministerien oder Unis »gendern«, interessiert mich so sehr wie die Auswahl der Türklinke, wenn ich ein Haus bauen will. Sollte man drüber nachdenken, kann man aber auch später noch mal ändern. Und zwar leichter als das Fundament oder die tragenden Mauern. Mich interessiert vergleichsweise wenig, wie Gesetzestexte gegendert sind, solange alle drei Tage eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wird.
Das ist nicht polemisch gemeint, sondern exakt so, wie es da steht. Ja, Sprache und Macht hängen eng zusammen, aber nicht so eng, dass man beim Thema Gleichberechtigung nur noch über Sprache reden sollte.
Quelle : Der Spiegel >>>>> weiterlesen
********************************************************
Grafikquellen :
Oben — Femininities: Body Language 897; 2017; 77x69x2”; fabric, archival pigment on canvas, leather, metal
*****************************
Unten — Margarete Stokowski (2018)
Erstellt am Mittwoch 2. Juni 2021 um 12:59 und abgelegt unter International, Kultur, Mensch, Positionen.
Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed.
Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.