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Gestrandet – in Israel

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 17. Januar 2018

Die Elenden vom Levinsky Park

Aus Tel Aviv : Lucia Heisterkamp

Jonas und Binyam wollten nie nach Tel Aviv. Die Eritreer sind nach Folterungen im Sinai zufällig in Israel gelandet. Jetzt sollen sie das Land verlassen.

Drei Finger und zwei Stümpfe. Das ist alles, was von Jonas linker Hand noch übrig geblieben ist. Der Eritreer lächelt verlegen, zum Gruß streckt er die gesunde Hand aus. Er trägt ein ärmelloses Hemd, auf seinem Unterarm sind Spuren von Verbrennungen. „Das waren die Beduinen“, sagt Jonas leise. Zwei Finger haben sie ihm abgeschnitten, heißes Öl auf seinen nackten Körper gespritzt. Knapp sechs Jahre ist das jetzt her.

Der Achtunddreißigjährige sitzt auf einer Bank im Levinsky Park, mitten in der israelischen Großstadt Tel Aviv. Menschen mit dunkler Hautfarbe schlendern über den dürftigen Rasen, Asylsuchende aus Eritrea und dem Sudan. Um sie herum tobt der Verkehr.

Männer quasseln in ostafrikanischen Sprachen in ihre Handys, Frauen mit bunten Tüchern auf dem Kopf schieben Kinderwagen vor sich her. Nur die glänzenden Fassaden der Wolkenkratzer in der Ferne erinnern daran, dass dies eine israelische Metropole ist und es um die Ecke schicke Strandbars und Cafés mit Sojacappuchino gibt.

„Sie haben mich gefoltert, weil sie Lösegeld von meinen Verwandten wollten“, sagt Jonas. „Wenn du das Geld nicht zahlst, drohen sie, deine Organe zu verkaufen.“ Der Eritreer ist einer von über 25.000 Migranten, die auf der ägyptischen Halbinsel Sinai Opfer eines brutalen Geschäftsmodells wurde: Menschenhandel durch Folter. Wie Jonas kommen die meisten von ihnen aus Ostafrika. Was sie in der Wüste erlebt haben, klingt wie aus einem schlechten Horrorfilm.

„Sie schlagen dich, hängen dich kopfüber an die Wand, verbrennen Körperteile mit Benzin. Dann halten sie dir ein Telefon ans Ohr und zwingen dich, deine Familie anzurufen.“ Jonas senkt den Blick. Er spricht nicht gerne über das, was er in der Wüste erlebt hat. Nachts verfolgen ihn Albträume, erzählt er. Er wacht manchmal auf und glaubt, wieder gefesselt in dem Keller zu liegen, in dem er gefoltert wurde. „Einmal haben die Beduinen jemandem, der neben mir saß, das Ohr abgeschnitten. Überall war Blut. Ich kann das nicht vergessen.“

Israel war nicht das Ziel

Nach Israel wollte Jonas nie. Er ist ein schmächtiger Mann mit sauber rasiertem Oberlippenbärtchen, die hageren Beine stecken in einer glatt gebügelten Samthose. Vor sechs Jahren verließ der damals frischgebackene Vater seine Heimat, um dem Militärdienst zu entgehen, in dem Männer und Frauen oft lebenslang dienen müssen. Das „Nordkorea Afrikas“ wird Eritrea auch genannt, die UN wirft dem Einparteienstaat Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

File:African refugees in Israel 3.jpg

Wer das Land einmal verlässt, kann nicht zurück, weil ihm Verhaftung, Folter oder Todesstrafe drohen. Jonas versucht, in den benachbarten Sudan zu fliehen, wo ein Onkel von ihm lebt. Er will dort Asyl beantragen und Arbeit finden, Frau und Tochter so schnell wie möglich nachholen. Doch es sollte anders kommen. In der Nähe eines Flüchtlingscamps wird er von Menschenhändlern überfallen.

„Die Männer hielten mir eine Waffe vors Gesicht und begannen, mich zu schlagen“, erzählt Jonas, die verbliebenen Finger ineinander verschränkt. Solange, bis er nicht mehr laufen kann. Dann werfen sie ihn in einen Pick-up.

Die Männer sind Teil eines grenzübergreifend organisierten Netzwerks, das sich zwischen Eritrea und Ägypten erstreckt. Die meisten gehören zur ethnischen Gruppe der Rashaida, ein Normadenstamm mit Wurzeln in Saudi Arabien.

Vom Sudan in den Sinai – und weiter nach Israel

Sie bringen Jonas in einen stickigen Lagerraum in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum. „Zwei Tage habe ich dort ausgeharrt“, sagt der Eritreer. Bis sie ihn in einen Laster voll mit Menschen bringen. Die lange Fahrt nach Ägypten beginnt. Tag und Nacht durch die Wüste, vorbei an Checkpoints, wo man den Wagen ungestört passieren lässt. „Manchmal war es so heiß, dass ich Angst hatte, zu ersticken“, sagt Jonas. Sie erreichen das Stück Niemandsland, das Ägypten von Israel trennt. Dort verkaufen ihn die Rashaida-Männer an Beduinen, die auf der Sinai-Halbinsel leben.

Mit verbundenen Augen wird er in einen Keller gebracht, erinnert sich Jonas. „Sieben Wochen lang haben sie mich gefoltert.“ Solange, bis die Eltern das Lösegeld zahlen: 25.000 Dollar, überwiesen per Western Union an einen Mittelsmann in Israel. Schließlich setzen die Beduinen ihn in der Wüste aus. „Ich sah aus wie ein Skelett“, sagt Jonas. Mit letzter Kraft habe er sich an die israelische Grenze geschleppt. Das war 2011, bevor die israelische Regierung ein Jahr später eine Grenzschutzmauer zum Sinai errichtete. Seitdem kommt fast niemand mehr über Ägypten ins Land.

File:Evening in the Park 050.JPG

Heute leben nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen schätzungsweise 4.000 Überlebende der Foltercamps in Israel. Andere haben sich nach Kairo durchgeschlagen, wurden nach Ostafrika zurückgeschickt oder sind in der Sinai-Wüste gestorben. Jonas wohnt im schäbigsten Viertel von Tel Aviv, dort wo die Häuser grau-schmutzige Fassaden tragen und die Balkone vom Einsturz bedroht sind. Das Apartment teilt er sich mit sechs Eriteern. Von der Hauswand blättert die Farbe, bunte Wäsche baumelt vor den verschlossenen Fensterläden. Um die Miete zu zahlen, arbeitet er sechs Tage die Woche.

Fürs Putzen in einem Restaurant bekommt er nicht einmal den Mindestlohn von umgerechnet knapp sieben Euro die Stunde, aber ohne Arbeitserlaubnis kann er sich bei niemandem beschweren. Wie die meisten Asylsuchenden im Land hat er keinen Zugang zu staatlichen Gesundheits- oder Sozialleistungen. Jonas ist eigentlich nicht sein richtiger Name. Den behält er lieber für sich, aus Angst, dass regierungsnahen Exileritreern nicht gefallen könnte, was er über seine Heimat erzählt.

An der Wohnzimmerwand hängen Bilder von seiner Tochter, ein sechsjähriges Mädchen mit Rasterlöckchen. Seit sie auf der Welt ist, hat Jonas sie nur ein paar Mal im Arm gehabt. Längst ist die Kleine nicht mehr in Eritrea, zusammen mit der Mutter hat sie die Heimat verlassen, kurz nachdem Jonas verschwunden ist. Mittlerweile leben die beiden in der ägyptischen Hauptstadt Kairo am Nil.

Einmal die Woche geht Jonas zur Gruppentherapie, die kostenlos von einer spendenbasierten Flüchtlingsorganisation in Tel Aviv angeboten wird. Er hofft, so seine Flashbacks loszuwerden, die ihn manchmal ganz plötzlich zurück in die Folterkeller bringen. Verschwunden sind die bislang nicht.

Angst vor dem Gefängnis in der Wüse

Quelle    :      TAZ >>>>> weiterlesen

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Grafikquellen   :

Oben     —      Street intersection of Levinsky St. and David Tzemach St. in Neve Sa’anan neighborhood, near the main entrance of Tel Aviv Central Bus Station, and under one of the platforms leading to the upper floors of the bus station

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3.) von Oben    —       This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

Description Evening in the Park, Art PIcnic Levinski Garden, Neve Shaanan, Tel Aviv

עברית: ביכורים/ביקורים, מיצב, פיקניק ושיתוף אמנותי, גן לוינסקי, שכונת נווה שאנן, תל אביב
Date
Source Yair Talmor
Author Yair Talmor

 

 

 

 

 

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