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Gefühlte Korruption

Erstellt von Redaktion am Montag 16. April 2018

In Zentral- und Osteuropa grassiert die Korruption –
so könnte man meinen.

Bildergebnis für Wikimedia Commons Bilder Korruption

Von Benjamin Cunningham

InWahrheit hat die Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zugenommen. Aber was bleibt, ist der Eindruck, dass sich die Eliten bereichern. Die Rechtspopulisten sind offenbar die Einzigen, die das Unbehagen zu nutzen wissen.

Bei den tschechischen Parlamentswahlen im Oktober 2017 hat Andrej Babiš mit seiner ANO-Partei das politische Establishment beiseitegefegt. Ba­biš ist Milliardär, Großunternehmer und Medienmogul. Das Akronym ANO steht für „Bewegung der unzufriedenen Bürger“ (Tschechisch: Akce nespokojených občanů), bedeutet aber auch schlicht „Ja”.

Bei der Gründung seiner Partei 2011 behauptete Babiš, er sei als Außenseiter und erfolgreicher Geschäftsmann bestens qualifiziert, um die korrupte politische Elite zu ersetzen. Er verwies, ähnlich wie 2001 Michael Bloomberg bei seiner Wahl zum New Yorker Bürgermeister, auf seine Kompetenz, seine Effizienz – und die Tatsache, dass ein steinreicher Mann wie er es nicht nötig habe, sich im Amt zu bereichern. „Ich bin kein Gauner“, sagte er in einem Interview vor den Wahlen. Auf die Frage: „Und die anderen sind alle korrupt?“, hatte er eine klare Antwort: „Ja.“

Zwar ist Babiš weder so ideologisch verbohrt noch so offen fremdenfeindlich wie andere Anti-Establishment-Politiker in Mittelosteuropa, aber in anderer Hinsicht entspricht er dem bekannten Muster: Beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) laufen Ermittlungen über Unregelmäßigkeiten beim Bezug von EU-Finanzhilfen in Höhe von 2 Millionen Euro, die Mitglieder der Familie Babiš für den Bau eines Hotelkomplexes in der Nähe von Prag in Anspruch genommen haben.

Um weitere Ermittlungen zu ermöglichen, hob das tschechische Parlament kurz vor den Wahlen Babiš’ Immunität auf. Doch davon ließen sich viele Wähler nicht beeindrucken: weil sie den anderen Kandidaten zutiefst misstrauten, weil die Anschuldigungen von der korrupten Elite kamen und weil sie das Abkassieren von EU-Geldern nicht als Delikt betrachten. Ganz nach dem Motto: Es ist nicht unser Geld, also können wir es stehlen.

Ist Rumänien wirklich schlimmer als Luxemburg?

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Klein im Wuchs und spitze Nase – sehen wir auch nicht jeden Tag!

Da Babiš überzeugend auftrat, seine Gegner sich als unfähig erwiesen und die Öffentlichkeit unzufrieden war, sahen 1,5 Millionen Wähler über die Anschuldigungen gegen den Populisten hinweg. Die ANO holte 29,6 Prozent der Stimmen, die Piratenpartei lag mit 10,8 Prozent an dritter Stelle, knapp dahinter folgte die neofaschistische SPD (10,6 Prozent). Fünftstärkste Partei wurde die orthodox kommunistische KSČM (7,8 Prozent). Insgesamt stimmten damit fast 59 Prozent für Parteien, die sagen, sie würden den Status quo bekämpfen.

Der Erfolg von Parteien, die die Eliten dämonisieren, kann kaum überraschen. Nach dem jüngsten Eurobarometer glauben 84 Prozent der Tschechen, dass die Korruption in ihrem Land weit verbreitet ist. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 67 Prozent, in Deutschland 51 Prozent und in Dänemark 22 Prozent.

Zugleich aber sagen nur 19 Prozent der befragten Tschechen, dass die Korruption in ihrem Alltag eine Rolle spiele, und nur 13 Prozent haben im vergangenen Jahr selbst erlebt, dass öffentliche Bedienstete von ihnen Geschenke oder andere Gegenleistungen verlangten. Im Nachbarland Österreich liegen die entsprechenden Werte bei 18 beziehungsweise 15 Prozent – und doch glauben hier nur 50 Prozent, dass Korruption in ihrem Land weit verbreitet sei. Das heißt: Obwohl man in Österreich eher mit Korruption in Berührung kommt als in Tschechien, sehen weniger Leute darin ein Problem.

Im gesamteuropäischen Vergleich widersprechen die Zahlen dem alten Bild vom „rückständigen“ Osten. Die Griechen (32 Prozent) und die Schweden (17 Prozent) kennen eher jemanden, der sich hat bestechen lassen, als die Rumänen (13 Prozent), und dennoch halten 80 Prozent der Rumänen Korruption für ein gravierendes Pro­blem in ihrem Land, während es bei den Schweden nur 37 Prozent sind. Und nur 14 Prozent der Polen kennen jemanden, der im letzten Jahr Bestechungsgeld kassiert hat – das sind weniger als in Belgien, Luxemburg oder Frankreich (15, 18 und 16 Prozent).

Kurzum: Zentral- und Osteuropäer betrachten Korruption als größeres Problem, obwohl sie weniger damit in

File:Corruption-Nouakchott.jpg

Gefühlte Korruption

Berührung kommen. In ihren Augen ist Bestechung überall gängig, wo Geschäfte gemacht oder öffentliche Leistungen in Anspruch genommen werden, und sie haben das Gefühl, dass ihre Regierungen die Korruption nicht wirklich bekämpfen.

Korruption quantitativ zu messen, ist schwierig. Das liege vor allem an den unzuverlässigen Daten, sagt der Politikwissenschaftler Dan Hough von der Universität Sussex. Die allgemeine Wahrnehmung entspreche selten den persönlichen Erfahrungen, und die Kluft zwischen beiden begünstige Verschwörungstheorien, weil der Eindruck entsteht, dass der Öffentlichkeit vieles verborgen bleibt. Es ist also denkbar, dass verzerrte Vorstellungen über das Ausmaß von Korruption stärker zur Instabilität in Zentral- und Osteuropa beitragen als die tatsächliche Korruption. Das hat katastrophale Folgen für die politischen Systeme.

Eine Untersuchung über das Wahlverhalten im Zeitraum 1980 bis 2016 konnte keinen klaren Zusammenhang zwischen den Wahlerfolgen von Rechtspopulisten und der Einwanderung in ein Land ermitteln; auch ökonomische Gründe spielten dafür anscheinend keine wesentliche Rolle. Wohl aber belegt die Studie, dass am ehesten die „gefühlte Korruption“ auf die Unterstützung autoritärer Populisten schließen lässt. Politiker wie Viktor Orbán in Ungarn oder Jarosław Kaczyński in Polen – beide ehemals politische Außenseiter – haben die Vorstellungen von einer vermeintlich überall grassierenden Korruption für sich ausgebeutet.

Angesicht der vielen Skandale in Rumänien könnte man annehmen, das Land sei korrupter als Schweden, doch laut Eurobarometer ist Kleinkorruption in Schweden weiter verbreitet. Was wiederum Grund für die Annahme ist, dass es auch mehr Bestechungsfälle auf höheren Ebenen gibt, denn wo einfache Polizisten Schmiergelder kassieren, tun das in der Regel auch höhere Staatsbedienstete.

Quelle    :   Le Monde diplomatique       >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben   —    Kiwiev (Own work) [CC0],  Wikimedia Commons

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2.) von Oben    —    Roland SpitzlingerKulturverein: Institut für angewandte Korruption; www.ifak.at

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  • CC BY-SA 3.0 deHinweise zur Weiternutzung
  • File:Ifak logo.svg
  • Erstellt: 28. Januar 2016

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Unten   — 

Description
English: Billboard of a campaign to prevent corruption in Nouakchott (Mauritania)
Français : Affichage d’une campagne de prévention contre la corruption à Nouakchott (Mauritanie)
Español: Afiche de una campaña de prevención contra la corrupción en Nouakchott (Mauritania)
Date
Source Cropped from Flickr [1]
Author c.hug

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