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Über das Strafrecht

Erstellt von Redaktion am Samstag 13. April 2019

Neues aus der Unterwelt

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Eine Kolumne von

Das Verbrechen täuscht einen Rückzug vor. Die Regierung täuscht ein Gesetz vor. Die Polizei ist tief besorgt. Ein Bericht über Komplexität.

Statistik, Wissenschaft, Komplexität

Tri, Tra, Trullala – Statistik Achtzehn ist jetzt da! Verzeihung, sehr geehrte Leserinnen und Leser, für diese alberne Einleitung! Der Autor musste sich auf der Suche nach Ihrer Aufmerksamkeit zwischen Versmaß und Information entscheiden; da bleibt dem Medienprofi bekanntlich leider keine Wahl. Gemeint ist die „Polizeiliche Kriminalstatistik 2018“.

Es war zunächst alles wie immer: Im Ersten Teil hielt Herr Bundesinnenminister, flankiert vom Vorsitzenden der Innenministerkonferenz und dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, eine Broschüre mit Handschellen-Titelbild vor die Bundespressekonferenz und wurde dabei 1000-mal von Profifotografen mit Profikameras (45 Megapixel, 12 Bilder pro Sekunde) fotografiert, damit die Bürger sich einmal vorstellen können, wie es aussieht, wenn ein Minister eine Broschüre festhält.

Alsdann wurden die magischen Sätze gesprochen, auf die wir wieder ein Jahr gewartet hatten: Die Zahl der Raubüberfälle in Parkanlagen ist leicht gesunken, die des Handeltreibens mit Amphetamin leicht gestiegen, oder umgekehrt. Die Maßnahmen zur Erhöhung der Inneren Sicherheit waren vorbildlich, müssen sich aber neuen Herausforderungen stellen. Daher gibt es „keinen Grund zur Entwarnung“, sondern „Anlass zur Sorge“. Aus welchem Jahrzehnt dieser Sprechzettel stammt, ist egal, er passt immer. Insgesamt also wieder eine schöne Veranstaltung mit dem bewährten Verhältnis von Eigenlob (40), Beruhigung (40) und Sorge (20).

Zweiter Teil: Die Vorsitzenden von drei sogenannten „Polizei-Gewerkschaften“ verlautbarten, wie es um Deutschland stehe. Das Verhältnis von Eigenlob zu Sorge beträgt hier satzungsgemäß 40 zu 50. Denn der Schutzmann ist seiner Natur nach – wie der Kasper, die Gretel, die Großmutter und alle Kinder wissen – voll Sorge, dass aufgrund einer Sicherheitslücke (hinten keine Augen) eine Gefahr droht (Krokodil). Daher entfällt hier die Abteilung Beruhigung und wird ersetzt durch „Polizei von Politik und Justiz alleingelassen“ – und zwar mit dem Verbrechen. Allein gelassen werden zwar auch die Müllwerker mit dem Müll, die Lehrer mit den Kindern, die Richter mit den Akten und die Flugbegleiter mit den Sauftouristen. Das schlimmste Alleinlassen von allen aber ereignet sich angeblich, wo Malchow (GdP), Wendt (DPG) und Fiedler (BDK) im Kampfessturm gegen Orks, Clans, Organisierte Kriminalität und Diebe stehen. Obwohl ja eigentlich, wenn man es sich einmal genau überlegt, gerade hier, im Bereich der gravierendsten Eingriffe in die Bürgerfreiheit, nicht Justiz (Judikative) und Politik (Legislative) die Knechte der polizeilichen Exekutive sein dürfen!

Bis hierhin also: alles normal. Dann aber diesmal doch irgendwie anders. Das begann damit, dass Herr Minister verkündete, die Kriminalität habe einen „historischen Tiefstand“ erreicht. Unglaublich! Rückzug des Feindes! Entspannung, wo der Minister vor Kurzem noch hohen Alarm verkündet hatte! Was ist los?

Und dann noch dies: Die Opfer-Studie „Der deutsche Viktimisierungssurvey 2017“ (Herausgeber: BKA. Die Titelformulierung lässt einen Ansturm interessierter Leser aus sozialen Brennpunkten erwarten). Konzept: Eine (teil-repräsentative) Opferbefragung mit erheblichen Abweichungen zur Erfassungsmethode der PKS und auf der Grundlage von Selbst-Einschätzungen. Einige Ergebnisse:

  • Kaum Steigerungen der berichteten Kriminalitätsbelastung seit 2012, aber Steigerung des Unsicherheits- und Bedrohungsgefühls.
  • Insgesamt deutlich geringere Kriminalitätsbelastung in den neuen Bundesländern, dort aber deutlich höhere Kriminalitätsfurcht.
  • Der weit überwiegende Anteil der Opfer ist jung (16 bis 30), insbesondere bei Gewaltdelikten und Raub.

Zusammenfassung: Es „bestätigt sich: Deutschland ist ein sicheres Land. Das gilt sowohl für die tatsächliche Kriminalitätsbelastung als auch für die gefühlte Sicherheit. Die Kriminalitätsfurcht hat zwar im Vergleich zu 2012 im Schnitt etwas zugenommen, bewegt sich jedoch weiterhin auf einem insgesamt erfreulich niedrigen Niveau.“

So weit, so gut. Aber wie geht man mit gleich zwei guten Nachrichten um? Kann man den Bürgern zumuten zu erfahren, die Flut täglicher Schreckensmeldungen zeichne ein falsches, hysterisiertes Bild? Versinkt Deutschland gar nicht in einem Strudel von Vergewaltigung, No-go-Areas, marodierenden Räuber- und Einbrecherbanden, Unsicherheit und Furcht? So darf man das natürlich nicht sagen, wenn man nicht als blinder Verharmloser, böswilliger Beschützer von Verbrechern und privilegiert-ahnungsloser Gutmensch enttarnt oder am Ende noch von Frau Weidel in ihr Opus „Gedanken über Deutschland“ aufgenommen werden will, das zwar an galoppierender Gedankenarmut leidet, dies aber mit einem Höchstmaß an maschinengleicher Beschimpfungsrhetorik ausgleicht und den Untergang des geliebten Weidel-Vaterlands durch migrantische Massenkriminalität schon besiegelt sieht.

Aber auch für den vaterlandslosen Mainstream, die linksgrün Verseuchten, die „sozialistischen Sekten“ (SPD), die korrupten Eliten, die kriminellen Spendenbetrüger und überhaupt für jene 95 Prozent der Menschen in Deutschland, die sich nicht schweißgebadet im Weidelschen Sprachsumpf wälzen, muss es ja weitergehen! Wir können doch nicht einfach die nächsten zehn Talkshows oder „Bestseller“ zum Thema „Warum Deutschland immer unsicherer wird“ canceln! Und was würde aus den Polizeigewerkschaften, wenn sie nicht mehr wöchentlich sicherheitspolitische Bulletins herausgeben, sondern sich mit gewerkschaftlichen Themen beschäftigen würden? Schwierige Fragen! Zur Beantwortung bieten sich verschiedene Methoden an:

Methode Eins: Alles Fake! Beispielhaft ein Interview des Vorsitzenden des „Bundes Deutscher Kriminalbeamter“, Fiedler: „Kriminalstatistik ist nur ein kleiner Mosaikstein“ (Deutschlandfunk, 2.4.2019). Auszug:

Frage: „Wir leben in Deutschland immer sicherer?“

Fiedler: „Ich kann das so nicht unterschreiben, weil die Zahlen, die jetzt besprochen worden sind, sind Straftaten, die im letzten und vergangenen Jahr begangen worden sind. Das heißt, die Aussage, wie wir jetzt heute hier leben, ist überhaupt nicht zu treffen (…).“

Und weiter: „Wir (…) diskutieren über die Megatrends (…) doch nicht anhand der Zahlen, wieviel im letzten Jahr eingebrochen wurde. (…) Es geht nicht nur um statistisches Material, sondern es geht um wissenschaftliche Erhebungen.“

Den letzten Satz wollen wir uns merken, wollen aber darüber nicht die Schönheit des Gedankens vergessen, dass man einer Statistik, die bis gestern geht, keinesfalls entnehmen kann, was heute ist. Erkenntnis ist, so will uns Fiedler sagen, Work in Progress, was uns zurück zur Postmoderne und ihn voran zum Megatrend bringt.

Überhaupt ist, wie man allenthalben auf Seite Eins lesen durfte, die PKS eine unzuverlässige Erkenntnisquelle! Sie enthält, liebe Bürger, „Verzerrungen“, berücksichtigt die „Dunkelziffer“ nicht, kann Begründungen, Trends, Wirklichkeiten gar nicht erfassen, und ist am Ende gar nicht mehr als ein Tätigkeitsbericht der Polizei. Damit hatte niemand gerechnet, aber zahlreiche Redaktionen haben es in der letzten Woche herausgefunden, wie üblich sorgfältig überprüft und getreulich den Lesern und Zuschauern gemeldet.

Quelle       :         Spiegel-online           >>>>>           weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —           Fig 1. Depicts a thief stealing from a business. Although employee theft is not as obvious as robbery. It still amounts to a massive cost to the employer.

Source Own work
Author JamesDrury
w:en:Creative Commons
attribution share alike
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Unten     —        Thomas Fischer auf der re:publica 2016

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