Freiheit und Handschellen
Erstellt von Redaktion am Dienstag 27. Januar 2015
Die Hysterie im Anschluss an „Charlie Hebdo“ ist unerträglich
SCHLAGLOCH VON ILIJA TROJANOW
„Die größte Gefahr für die freie Meinungsäußerung ist die Regierung, nicht der Terrorismus“, lautete die Überschrift eines Artikels in der „Washington Post“. Die Hysterie nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ war unerträglich. Der Terror in Nordnigeria bleibt dagegen ohne Folgen.
Auf den Schock über die Anschläge in Paris folgte der Schock über die öffentlichen und privaten Debatten. Selbst ansonsten vernünftige Menschen reagierten mit Äußerungen, die unter der Last ihrer Panik torkelten. Die Wiener Tageszeitung Der Standard betitelte ihren Kommentar „Freiheit braucht Sicherheit“, ohne diese Losung in ihrer perfiden Logik durchzudeklinieren: Freiheit braucht Belauschung, Freiheit braucht Handschellen.
Blindheit und Aktivismus
Mit anderen Worten: Wir brauchen keine Freiheit. Keine Überraschung, dass Politiker, Experten und Law-and-Order-Befürworter die Morde instrumentalisierten, um ihre schon oftmals diskreditierten Behauptungen zu dringlichen Forderungen zu schmieden. Die Vorratsdatenspeicherung wurde von den Toten wiederauferweckt, ungeachtet dessen, dass sie sowohl vom Bundesverfassungsgericht als auch vom Europäischen Gerichtshof abgeschmettert wurde, so als hätten die Morde in Paris die Gerichte überstimmt.
Der Rechtsstaat soll gewährleistet werden, indem er ausgehöhlt wird, gemäß dem seit Jahren befolgten Prinzip, die Freiheit durch die Einschränkung der Freiheit zu verteidigen. In einigen Ländern wurde Aufrüstung des Sicherheitsapparats im Eilverfahren beschlossen, unabhängig davon, ob die Maßnahmen ihren behaupteten Zweck überhaupt erfüllen können. Ganze Gesellschaften gossen sich einen potenten Cocktail aus Angst, Blindheit und Aktionismus hinter die Binde.
Dabei sollte die erste Bürgerpflicht in Zeiten wie diesen das Nachdenken sein. Zorn, Trauer und Schmerz entledigen uns nicht der Verantwortung, möglichst nüchtern zu analysieren, Gründe auszuloten, nachhaltige, gerechte Lösungen zu suchen. Fakten sind wichtiger als Gesten, wenn man nicht möchte – wie geschehen –, dass Heuchelei auf dem Trauma aufsattelt. Auch eine ritualisierte Trauergestik bedarf blasphemischer Einwürfe. Das wäre ein Zeichen jener Stärke, jenes Muts, der allenthalben eingefordert wird. Die Militarisierung, die intensivierte Durchherrschung unserer Gesellschaften hingegen ist eine feige Reaktion, ebenso wie das Anwachsen von Islamophobie und Rassismus.
Blindes Vertrauen
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Fotoquelle: Wikipedia – Urheber Basili
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