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Frankreich in der Eskalationsspirale

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 9. März 2016

Frankreich in der Eskalationsspirale

von Rudolf Walther

Nach den terroristischen Attentaten vom 13. November kündigte der französische Staatspräsident François Hollande in einer theatralischen Inszenierung im Schloss von Versailles dem „Terror“ (woher auch immer er komme oder drohe) und den „Terroristen“ (wer immer die seien) den „Krieg“ an (wie und womit auch immer). Darüber hinaus drohte er in seiner „Kriegsbotschaft“ mit einer ganz scharfen Sanktion: der Aberkennung der französischen Staatsbürgerschaft für Terroristen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Die Einschränkung auf den Täterkreis mit doppelter Staatsbürgerschaft war völkerrechtlich zwingend, denn Frankreich hat die UN-Konvention vom 30. August 1961 mitunterzeichnet, mit der – nach den Erfahrungen im und nach dem Zweiten Weltkrieg – neue „displaced persons“, „Staaten“- und „Rechtlose“, unbedingt vermieden werden sollten.

Doch tempi passati, an die restlos verstörende Geschichte des „Rechts“- mittels der Aberkennung der Staatsbürgerschaft dürfte Holland in keiner Weise gedacht haben. Unter dem Vichy-Regime verloren 15 154 Personen die französische Staatsbürgerschaft, davon rund 7000 Juden. Dasselbe Regime entzog 446 Anhängern des nach England geflohenen Generals de Gaulle und diesem selbst die Staatsangehörigkeit wegen „dissidence“ („nationaler Abspaltung“). Das Kollaborationsregime Marschall Pétains folgte damit allerdings nur der letzten rechtsgerichteten, republikanischen Regierung Édouard Daladiers, die im Februar 1940 den beiden kommunistischen Abgeordneten André Marly und Maurice Thorez die Staatsbürgerschaft entzog – wegen ihres „Verhaltens wie Angehörige einer ausländischen Macht“ und „Unterwerfung [soumission] unter die Sowjetunion“, die sich durch den Molotow-Ribbentrop-Stalin-Pakt mit Nazi-Deutschland verbündet hatte.

Am „Rechts“mittel der Aberkennung der Staatsbürgerschaft klebt jedoch nicht nur die Perversion durch die Vichy-Kollaborateure. Es ist eine Ausgeburt von Kriegs- und Notrecht. Im Ersten Weltkrieg wurde 549 ehemaligen deutschen Legionären mittels kriegsrechtlicher Dekrete die französische Staatsangehörigkeit aberkannt. Der normative Kern dieser Dekrete ging 1927/29 in die Staatsangehörigkeitsgesetze der Dritten Republik ein, wodurch einer unbekannten Zahl von Französinnen durch ihre Heirat mit Ausländern wegen „zweifelhafter Gesinnung“ ihre Staatsangehörigkeit administrativ abgesprochen wurde.

Noch zwischen 1949 und 1967 verloren 523 französische Staatsbürger mit doppelter Staatsbürgerschaft ihren französischen Pass. Erst danach wurden die Möglichkeiten der Aberkennung eingeschränkt. Nach der Loi Guigou vom 13. März 1998, die die Aberkennung an das Kriterium eines Verbrechens band, das mit mindestens fünf Jahren Gefängnis bedroht war, sank ihre Zahl bis 2007 auf sieben Fälle. Zuletzt wurde am 7. Oktober 2015 sechs an den Attentaten in Casablanca beteiligten Franco-Marokkanern die Staatsbürgerschaft aberkannt. Ohne auf diese heillose Geschichte des „Rechts“-instituts mit einem einzigen Wort einzugehen, zog Hollande im Dezember die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Doppelbürger wie ein Kaninchen aus dem Zauberhut und plädierte obendrein für die Aufweichung des Kriteriums zur Aberkennung. Die situative Improvisation hat denn auch kein historisches Fundament, sondern folgt einer tagespolitischen Improvisation im Wettbewerb um die Gunst des Publikums.

Getrieben vom Front National

Diese Improvisation ist ein weiterer Beleg dafür, wie genuin der Rechten zuzurechnende politische Forderungen und Inhalte unter dem Druck des Front National über die konservativ-bürgerliche Mitte zum Programm einer sozialistischen Regierung werden. Die Warnungen seiner Berater überhörte Hollande mit sturem Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2017, bei denen er sich in Fragen von Sicherheit, Terror und Islamismus weder von Marine Le Pen noch von Nicolas Sarkozy überbieten lassen möchte. Er übernahm deshalb deren Forderungen und überholte beide rechts mit einem Umfragewert von 50 Prozent Zustimmung bei den Wählern als Rückversicherung. Aber mit dem Schielen nach rechts könnte sich Hollande verrechnen. Denn faktisch begibt er sich in eine Spirale der Eskalation.

Gleichzeitig liefern sich nämlich Nicolas Sarkozy von den konservativen „Republikanern“ und Florian Philippot, Vizepräsident des Front National, einen Streit darüber, wer zuerst und lauter die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Doppelbürger gefordert habe. Unbestritten ist, dass Jean-Marie Le Pen doppelte Staatsbürgerschaft und Einbürgerungen faktisch verhindern wollte – mit seinem Vorstoß, die französische Nationalität vom Territorialprinzip („droit du sol“) auf das Blutrechtsprinzip („droit du sang“) umzustellen. Schon 2007 forderte er, die „französische Staatsbürgerschaft allen abzuerkennen, die sie vor weniger als zehn Jahren durch Einbürgerung/Naturalisierung erworben“ hatten und zu einer Strafe von mehr als sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden sind. Nicolas Sarkozy lief dieser Forderung hinterher, als er nach einem Mord an Polizisten am 30. Juli 2010 in einer Rede in Grenoble forderte, Delinquenten „ausländischer Herkunft“ die französische Staatsbürgerschaft zu entziehen, sobald sie französischen Polizisten oder Beamten mit Waffengewalt nach dem Leben trachteten. Sarkozys damaliger Innenminister Brice Hortefeux überbot seinen Staatspräsidenten noch, indem er verlangte, die Sanktion auf „illegale Arbeit, Klitorisbeschneidung, Menschenhandel und schwere Kriminalität“ auszudehnen. Eine entsprechende Gesetzesvorlage scheiterte nur deshalb im Parlament, weil die liberalen Zentristen nicht mit den Konservativen, sondern mit den Linken und somit gegen das Vorhaben stimmten. Insofern gebührt dem Front National die „Vaterschaft“ für die Verschärfung der Regeln zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft.

Das alles wusste Hollande sehr genau, als er trotz der Warnungen „am Hof“ und der Widerstände aus der Partei an seinem Projekt nicht nur festhielt, sondern es gegenüber der alten Forderung des Front National noch radikalisierte: Er dehnte die Möglichkeit, Personen die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, auf in Frankreich geborene Kinder von Ausländern (also Franzosen nach dem „droit du sol“!) aus, während der Front National „nur“ auf Personen zielte, die vor weniger als zehn Jahre als Franzosen naturalisiert/eingebürgert wurden. Mit seiner Hartnäckigkeit wollte Hollande den Konservativen und den Rechten den Wind aus den Segeln nehmen und für sich selbst nach den gestiegenen Umfragewerten auch die Dividende für seinen „Krieg“ gegen den Terror bei der Wählerschaft sichern.

Der Mut der Justizministerin

Quelle: Blätter >>>>> weiterlesem

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