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Forschen zur Polizei

Erstellt von Redaktion am Samstag 9. Oktober 2021

„Und dann konfrontieren wir die Polizei“

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INTERVIEW VON PLUTONIA PLARRE mit Christiane Howe

Einen Blick auf Deutschland von außen zu werfen – Christiane Howe kennt das seit ihrer Kindheit. Die Wissenschaftlerin forschte zu Migration und Sexarbeit. Jetzt verantwortet die 58-Jährige eine Rassismus-Studie über die Berliner Polizei.

taz: Frau Howe, was für ein Werdegang! Früher haben Sie sich mit Sexarbeit und Prostitution beschäftigt, heute forschen Sie zur Polizei. Hätten Sie sich das träumen lassen?

Christiane Howe: Früher hätte ich das vermutlich auch abwegig gefunden, aber aus heutiger Sicht erscheint mir das folgerichtig. Ich beschäftige mich schon länger mit Migration und Sicherheit und habe da auch schon mit der Polizei gearbeitet. Mein Fokus liegt auf diesen Kämpfen um den öffentlichen Raum und damit meine ich nicht nur Gentrifizierung.

Um was geht es Ihnen?

Ich bin leidenschaftliche Forscherin. Ich will verstehen, was genau wie vor sich geht. Auch, um einen Beitrag zu leisten, dass sich Dinge verbessern, für die Betroffenen und die, die an den Zuständen beteiligt sind.

Haben Sie ein Beispiel?

Ich habe früher zum Beispiel Bordellrazzien beobachtet. Da habe ich mich schon gefragt: Muss das so sein? Die Beamten sind ziemlich hart in die Bordelle reingegangen. Wenn sie an die Türen gewummert haben, sind manche Frauen voller Angst auf die Fensterbänke geklettert. Viele kommen ja aus Ländern, wo man mit der Polizei ganz schlimme Erfahrungen machen kann.

Im Frühjahr erreichte Sie die Anfrage des Berliner Innensenators, ob Sie eine unabhängige Studie zu Rassismus und Diskriminierung bei der Polizei Berlin machen wollen. Was war Ihr erster Gedanke?

Extrem ambivalent. Auf der einen Seite fand ich das total spannend. Auf der anderen Seite war die Befürchtung mit Blick auf die im Herbst anstehenden Berliner Landtagswahlen: Ist das jetzt ein Feigenblatt? Man will sich ja nicht instrumentalisieren lassen.

Sie sind eigentlich eher in der linken Szene zu Hause.

Nicht in der autonomen Szene, aber in der Bürgerrechtsbewegung schon. Ich habe in Frankfurt am Main Soziologie studiert und da die ganzen Abrüstungsdemos miterlebt: die Wasserwerfer, über Gartenzäune abhauen und auch, dass Steine geworfen wurden. Heute erlebe ich die Polizei vielleicht noch im Verkehr. Wenn sie einen drangsalieren, wenn man mit dem Fahrrad nicht so fährt, wie man sollte (lacht), also rausgefischt wird.

Sie haben auch eine Migrationsgeschichte, nur anders herum. Wie sind Sie aufgewachsen?

Geboren bin ich im Ruhrgebiet. Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater Elektrotechniker. Mitte der Sechziger, ich war vier und meine Schwester zwei, haben unsere Eltern uns unter den Arm geklemmt und sind ausgewandert.

Einfach so?

Das Nachkriegsdeutschland war für sie zu dem Zeitpunkt, glaube ich, einfach zu eng. Über verschiedene Kontakte hatte es sich ergeben, dass mein Vater in Eritrea als Elektrotechniker in einer Zementfabrik arbeiten konnte. Ich habe auch Tigrinya gesprochen, die dortige Landessprache. Danach sind meine Eltern mit uns in den Iran, das war noch unter dem Schah. Dort bin ich dann auch zur Grundschule gegangen, habe fließend Persisch gesprochen. Bis 1974/75 waren wir dort. Dann waren wir knapp vier Jahre in Deutschland an vier verschiedenen Orten in Hessen, im Rheinland, in Westfalen. Als ich 14 war, sind wir nach Kairo. Ich habe in Grundzügen Arabisch gesprochen, bei Jugendlichen geht das ja schneller. Auf einer zweisprachigen Schule in Kairo habe ich mein Abitur gemacht, mein Vater ist dort auch beerdigt.

Wie sehr hat Sie das geprägt?

Ich sag mal, ich habe zu Deutschland ein eher äußerliches Verhältnis. Zwar durchaus teilnehmend, aber so, dass ich mich immer wieder hinsetze, etwas beobachte und mich frage: Wieso passiert das hier jetzt eigentlich? Ich muss dazu sagen, es gab ja diese knapp vier Jahre, die wir in Deutschland waren. Mit 11 bin ich das erste Mal bewusst in mein Ursprungsland gekommen, das war Mitte der 1970er Jahre. Das Erleben war ganz schön krass. Man kann mir eine Migrationserfahrung ja nicht sichtbar zuschreiben.

Sie sind weiß, Deutsch ist Ihre Muttersprache und auch Ihr Name ist nicht ungewöhnlich.

Und dennoch haben meine Schwester und ich uns offenbar anders verhalten. Es gibt diese Erfahrungen, auf dem Schulhof zu stehen und angespuckt zu werden, permanent nach vorne zitiert zu werden an die Tafel, weil der Lehrer den Nachweis erbringen wollte, dass man des Deutschen nicht mächtig ist; Schüler, die einen geärgert haben; Lehrkräfte, die einen nicht geschützt haben. Mir wurde aufgelauert, ich habe mich heftig wehren und prügeln müssen. Ich hatte Atemprobleme, dann hieß es, ich hätte einen Herzfehler, dabei waren es Rippenquetschungen von Schlägen. Meine Eltern waren damit schwer beschäftigt, wir alle unterschiedlich in tiefster Trauer, auch meine Schwester musste gucken, wie sie klarkommt. Das war richtig schwierig, ist aber auch typisch für Migrationen. Wir sind dann wieder umgezogen innerhalb von Deutschland und dann konnte ich sagen, ich komme aus der und der deutschen Stadt.

Das hat Sie dann geschützt?

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Blau blühte früher nur der Enzian in Bayern

Die Begrifflichkeit für das, was meine Schwester und ich sind, ist Third Culture Kids, weil wir in mehreren sogenannten Kulturen aufgewachsen und nicht wirklich zuordenbar sind. Wir haben in gewisser Weise eine dritte Kultur dazwischen entwickelt. Ich konnte dann auf Hidden Migration machen.

Wie meinen Sie das?

Ich konnte mit dem ersten Umzug innerhalb Deutschlands mein ganzes Werden bis dahin verstecken. Das können sicht- und hörbar Zugewanderte oder Menschen, denen dies zugeschrieben wird, hier nicht. Mir war und ist bewusst, dass es ein enormes Privileg ist, weiß zu sein, so konnte ich darunter durchsegeln. Aber es war auch eine immense Kraftanstrengung, diese Anpassung zu leisten. Ich habe dann lange überlegt, ob ich wirklich in Deutschland studieren soll. Irgendwann habe ich dann gesagt, ich gebe dem Land noch eine Chance. Inzwischen denke ich, diese Erfahrungen haben mich vielleicht auch für meine Forschungen prädestiniert.

Inwiefern?

Ich bin mit dieser Mehrperspektivität groß geworden. Dass Eritrea ganz anders ist als Iran, Ägypten oder Deutschland. Dass Menschen ganz viele Möglichkeiten haben, ihr Zusammenleben zu gestalten. Bei der Forschung, die ich mache, geht es immer wieder um dieses Gefühl: Ein bisschen so dazwischenzustehen und auch einen Blick von außen darauf legen zu können. Auch das ist eine gute Voraussetzung für die Studie über die Berliner Polizei.

Sie arbeiten im Zentrum für Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin. Der Auftrag kam nicht von ungefähr und Berlin ist auch nicht das einzige Bundesland, das eine Polizei-Rassismus-Studie durchführt. Hintergrund ist, dass bundesweit zunehmend rechte Netzwerke bei der Polizei aufgedeckt werden.

Meines Wissens machen auch Niedersachsen und Rheinland-Pfalz eine solche Studie. Hamburg und andere Bundesländer überlegen das ebenfalls, weil sie mit dem Seehofer-Diskurs nicht wirklich zufrieden sind.

Sie meinen die Bundesstudie, mit der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster Ende 2020 beauftragt hat – polemisch auch Feelgood-Studie genannt. Was ist der Unterschied zu Ihrer Untersuchung?

Die Bundesstudie ist eine auf drei Jahre angelegte, vorrangig quantitative Studie. Im Groben ist das vor allem eine statistische Vollerhebung. Alle 300.000 Po­li­zis­t*in­nen in der Bundesrepublik bekommen einen Fragebogen, der online mittels Ankreuzen ausgefüllt wird. Abgefragt werden Motivation, Einstellung und Gewalterfahrungen im Polizeialltag. Wir hier in Berlin machen eine ethnografische Studie, eine komplett qualitative Studie. Es war die einzige Bedingung der Berliner Innenverwaltung, das in Form von Interviews mit den Beteiligten und sogenannter teilnehmender Beobachtung vor Ort zu machen. Aber das ist ohnehin mein Spezialgebiet. Abgesehen davon haben wir vollkommen freie Hand.

Was genau ist der Plan?

Unser Fokus ist Rassismus und Diskriminierung. Diskriminierung ist noch mal weiter gefasst als Rassismus. Auf jeden Fall geht es um Rassismus gegen schwarze Menschen, um antimuslimischen Rassismus und um Antiziganismus, der insbesondere auch im öffentlichen Raum stattfindet. Wir sondieren noch, wie weit wir die Schwerpunkte ausdehnen können. Das Projekt ist ja auf ein Jahr befristet.

Was ist der erste Schritt?

Wir treffen uns mit den Betroffenenverbänden und sprechen mit ihnen über ihre Erfahrungen mit der Polizei. Wir lassen uns auch Orte nennen, an denen sie mit der Polizei negative Erfahrungen machen.

Wo Racial Profiling stattfindet, man also allein wegen seines Aussehens verdächtigt und kontrolliert wird?

Quelle     :           TAZ-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     07.07.2017 – all photos: <a href=“http://www.montecruzfoto.org/07-07-2017-Block-G20-Hamburg“ rel=“nofollow“>www.montecruzfoto.org/07-07-2017-Block-G20-Hamburg</a>

Ein Kommentar zu “Forschen zur Polizei”

  1. Jimmy Bulanik sagt:

    Die Vorfälle von Rechtsextremismus in allen Sicherheitsorganen in der BRD wie Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz führen dazu, daß die Bürgerinnen und Bürger nicht unterscheiden können, wer zuverlässig ist und wer nicht. Das wirkt sich auf das Vertrauen der Menschen im Land aus.

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