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Erstellt von Redaktion am Freitag 6. November 2020

Schulden sind kein Problem

File:Las Vegas (Nevada, USA), The Strip -- 2012 -- 6232.jpg

Von Ulrike Herrmann

Bei den US-Demokraten ist eine neue Geldtheorie populär: die Modern Money Theory. Wenn Biden Präsident wird, dürfte MMT eine wichtige Rolle spielen

Was nun? Der Demokrat Joe Biden dürfte zwar die US-Wahlen gewonnen haben, aber damit ist die Coronakrise nicht vorbei. Das Defizit im amerikanischen Bundeshaushalt liegt bei sensationellen 3,3 Billionen Dollar, und mehr als 10 Millionen US-Bürger haben ihre Stelle verloren. Es dürfte sogar noch schlimmer kommen: Die Infektionszahlen schnellen weiter in die Höhe, und in vielen Bundesstaaten droht ein Lockdown.Die USA häufen Defizite auf, wie sie es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr getan haben. Kommt also die Pleite? Nein, natürlich nicht. Stattdessen zeigt sich, dass sich reiche Staaten mühelos verschulden können – und dies von den Finanzmärkten erwartet wird.
Die USA sind das beste Beispiel: Als im Februar deutlich wurde, dass sich das Coronavirus auch in Nordamerika rasant verbreiten würde, brach der Aktienindex Dow Jones um rund 37 Prozent ein. Doch sobald die US-Regierung schuldenfinanzierte Hilfsprogramme versprach, ging es mit den Börsen zügig wieder aufwärts. Defizite waren nicht das Problem – sondern die Lösung.

Die Coronakrise bestätigt damit eine Geldtheorie, die in den USA derzeit Furore macht: die „Modern Money Theory“, gern zu MMT abgekürzt. Im Kern besagt diese Theorie, dass unser Wirtschaftssystem ohne Staatsschulden gar nicht funktionieren kann. Defizite sind gut, nicht schlecht.

Dieses Konzept wird von verschiedenen Volkswirten vertreten, aber der Star ist Stephanie Kelton. Die 51-Jährige lehrt an der Stony Brook University auf Long Island und ist Beraterin linker Demokraten; sie hat mit Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Alexandria Ocasio-Cortez zusammengearbeitet. Im Juni erschien ihr Bestseller „The Deficit Myth“, der die Modern Money Theory für Laien gut verständlich erklärt.

Die Vor- und Nachteile der MMT werden in den USA schon deswegen eine politische Rolle spielen, weil die Republikaner die Staatsschulden ab jetzt ununterbrochen skandalisieren werden. Nimmermüde werden sie die Pleite der USA herbeireden. Denn das Thema hat zwei unschlagbare Vorteile für die Opposition: Die Defizite werden garantiert weiter steigen, schon weil die Coronakrise nicht vorbei ist, und gleichzeitig zeigen Umfragen, dass fast die Hälfte aller US-Bürger fest überzeugt sind, dass die Staatsschulden ein enormes Problem seien.

Trump hat zwar ebenfalls permanent Defizite eingefahren, auch schon vor Corona, weil er unbedingt die Mega-Reichen mit Steuersenkungen erfreuen wollte. Aber Tatsachen sind für die Republikaner unerheblich und „alternative Fakten“ längst ihr Markenzeichen. Nobelpreisträger Paul Krugman prophezeite daher schon vor der Wahl düster: „Wenn Trump verliert, werden die Republikaner nur etwa 30 Sekunden brauchen, um zur Behauptung zurückzukehren, dass Haushaltsdefizite eine existenzielle Bedrohung seien.“

Ulrike Herrmann Wirtschaftsmärchen 03.jpg

Die Demokraten sitzen damit in der gleichen Falle, in der sich auch schon Barack Obama ab 2008 befand. Wie Biden sah sich Obama mit einer schweren Wirtschaftskrise konfrontiert. Damals waren die Banken zusammengebrochen, weil sie mit Ramschhypotheken gehandelt hatten – diesmal legt das Coronavirus die Wirtschaft teilweise lahm. In beiden Fällen waren und sind Konjunkturpakete nötig.

Einen Unterschied gab es allerdings: Obama verfügte in den ersten zwei Jahren über eine Mehrheit im Senat. Er war also allmächtig. Trotzdem rang er sich nicht dazu durch, ein Konjunkturpaket aufzulegen, das groß genug gewesen wäre. Damals wären mindestens 1,3 Billionen Dollar nötig gewesen, wie Obamas ökonomische Beraterin Christina Romer vorrechnete. Noch besser wären 1,8 Billionen Dollar gewesen. Doch Obama segnete schließlich nur 787 Milliarden Dollar ab, weil er die Schuldenphobie vieler Wähler fürchtete. Die Folge: Es dauerte mehr als sechs Jahre, um die Jobs wieder neu zu schaffen, die in der Finanzkrise verloren gegangen waren. Trump hat die Wahlen 2016 auch gewonnen, weil viele Nicht-Akademiker das Gefühl hatten, dass sie von den Demokraten verraten worden waren. Dieses Misstrauen ist bis heute nicht gänzlich verflogen, wie sich daran zeigt, dass Biden Wisconsin und Michigan nur knapp gewinnen konnte.

Quelle         :      TAZ           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben       —          „The Strip“ (Abschnitt des Las Vegas Boulevards) in Las Vegas (Nevada, USA)

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Creative Commons License “Attribution-ShareAlike 4.0 International” (CC BY-SA 4.0).

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Unten     —       Die Wirtschaftskorrespodentin der TAZ Ulrike Herrmann hält einen Vortrag zum Thema „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen“ und stellt im Club W71 in Weikersheim ihr neues Buch vor.

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