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Existenzminimum ?

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 10. Februar 2010

Bündnis warnt: Existenzminimum bleibt weiter
durch Sanktionen gefährdet

PRESSEMITTEILUNG des Sanktionsmoratorium

Berlin, 9.2.2010

Das Bündnis für ein Sanktionsmoratorium begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Überprüfung und Neuberechnung des Regelsatzes für Arbeitslosengeld-II-Berechtigte und damit des Existenzminimums in Deutschland.

„Das Urteil will dem vernachlässigten Sozialstaatsgebot und dem beschädigten Würdeartikel im Grundgesetz nachhaltig zur Geltung verhelfen“, so die Einschätzung des Sozialethikers Franz Segbers im Bündnis. „Auf eine vollständige Berücksichtigung des notwendigen Lebensunterhalts und eines nachvollziehbaren Verfahrens haben Erwerbsloseninitiativen, Wohlfahrtsverbände und Wissenschaftler seit Einführung der Hartz-Gesetze gedrängt: Wie viel Geld braucht ein Mensch fürs physische Überleben, wie viel braucht er für die gesellschaftliche Teilhabe und wie wird der Betrag ermittelt“, so Helga Spindler, Sozial- und Arbeitsrechtsexpertin im Bündnis. „Gesetzgeber und die Regierung werden vom Bundesverfassungsgericht aufgefordert, durch fundierte Untersuchungen und Re-gelungen das soziokulturelle Existenzminimum sicher zu stellen“, so Segbers.

„Wir fürchten aber, dass die Politik weiterhin bei den existenzsichernden Leistungen auf Kosten erwerbsloser Menschen sparen will und im Falle der gebotenen Erhöhung der Regelsätze andere Wege suchen wird“, so der Sozialethiker weiter, „Steuergeschenke und Rettungspakete für Banken finanzieren sich nicht von selbst.“

Seit Wochen erleben wir eine unsägliche Kampagne gegen Erwerbslose, die auch die Verschärfung von Sanktionen vorbereiten soll. Ministerpräsident Koch kritisiert die angeblich langen Verzögerungsmöglichkeiten, die Betroffene durch Einsprüche und Klagen gegen Sanktionen hätten, sowie die regel-mäßig zu beobachtende Aufhebung der Sanktionen durch Sozialgerichte, was nichts anderes bedeutet, als dass die rechtsstaatliche Kontrolle von sanktionierenden Behörden abgeschafft werden soll.

„Dann können wir durch Kürzung der Regelsätze und im weiteren vermutlich der Wohnkosten beliebig in Trainingsmaßnahmen, „Sofortangebote“ oder in andere Formen prekärer Arbeit gepresst werden“, so Claudia Daseking aus einer der Betroffenenorganisationen im Bündnis.

Diese Zielsetzung der Hartz-Gesetze wird weiter verfolgt, nämlich die Kosten des Sozialsystems und gleichzeitig das Lohnniveau in den unteren Einkommensschichten zu senken, und daran ändert auch der heutige Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts nichts. Die Entrechtung der Erwerbslosen nimmt zu, insbesondere der jungen Menschen unter 25 Jahren, bei denen die 100%ige Kürzung schon bei kleinsten Verfehlungen greift, während es weiterhin an Ausbildungsplätzen und akzeptablen Bildungsbedingungen fehlt.

Notwendig ist eine gesellschaftliche Debatte über einen Umgang mit Erwerbslosen, der einer sozialen und demokratischen Gesellschaft angemessen ist. Das Bündnis fordert deshalb weiterhin, die Sanktionen sofort auszusetzen.

Tacheles e.V. (Wuppertal); Prof. Dr. jur. Helga Spindler (Universität Duisburg-Essen); Prof. Dr. Franz Segbers (Universität Marburg); Prof. Dr. Claus Offe (Hertie School of Governance); Prof. Dr. Stephan Lessenich (Friedrich-Schiller-Universität Jena); Markus Kurth MdB (Sprecher für Sozial- und Behindertenpolitik der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen); Katja Kipping MdB (stellv. Vorsitzende der Partei DIE LINKE); Jürgen Habich (BAG Prekäre Lebenslagen – Gegen Einkommensarmut und soziale Ausgrenzung e.V., BAG-PLESA); Franziska Drohsel (Bundesvorsitzende der Jusos); Prof. Dr. Klaus Dörre (Friedrich-Schiller-Universität Jena); AG Sanktionen der Berliner Kampagne gegen Hartz IV

Direktkommentar von Dieter Carstensen:

Existenzminimum / BVG Urteil
Liebe Leserinnen und Leser,

zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV stellt Harald Thomé, Fachreferent für Arbeitslosen- und Sozialrecht von „tacheles e.V. – aktuelle Informationen zum Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und Grundsicherung“ (Wuppertal), die sehr empfehlenswerte Homepage in seinem Newsletter vom 9.2.2010 fest:

„Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass es die Höhe der Regelleistungen gegenwärtig für verfassungswidrig hält, es keinen rückwirkenden Handlungsbedarf sieht und angeordnet, dass diese (lediglich) für die Zukunft neu festzusetzen seien.

Heisst konkret, nach Harald Thomés Einschätzung, werden auch diejenigen, welche in Erwartung des Verfassungsgerichtsurteils bei den Behörden sog. „Überprüfungsanträge“ ihrer Zahlungsbescheide gestellt hatten, die bei einer anderen Entscheidung des BVG Ansprüche auf Nachzahlungen bis zu 4 Jahren rückwirkend gesichert hätten, werden rückwirkend keine Nachzahlungen erhalten.

Damit sind alle gestellten Überprüfungsanträge hinfällig, aber, so schreibt Harald Thomé weiter, „das Jahr 2010 sollte zu einem Jahr der Proteste gegen Niedriglohn, Sozialkürzung und für das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben werden. Mit einer dahingehenden Welle von Protesten sollte die nun schwarz-gelbe Regierung quer durch das ganze Land konfrontiert werden. Das ist die beste „Nachhilfe“ dafür, dass die BVerfG – Entscheidung im Ergebnis für die Betroffenen zu höheren Leistungen führt und endlich mal ein Signal gegen den derzeitigen Sozialraub gesetzt wird.“

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Fotoquelle :

Fotoquelle: Privat / DL

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