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Ex-Außenminister J. Fischer

Erstellt von Redaktion am Dienstag 22. Juni 2021

„Die 60er-Wahlkämpfe waren härter“

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Politik ist immer dort wo Kleidung fette Beute macht !

Das Interview mit Joschka Fischer führte Peter Unfried.

Ein Gespräch mit Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) über seine Partei, den Wahlkampf und die künftige Außenpolitik der Bundesrepublik.

taz: Herr Fischer, die Grünen sind nicht mehr die Grünen, die sie waren, aber die Gesellschaft ist auch nicht mehr so, wie sie früher war. Das ist der Grund für den Grünen-Aufstieg. Stimmen Sie zu?

Joschka Fischer: Ach, hören Sie auf. Die taz ist auch nicht mehr, wie sie früher war. Ja, die Grünen haben sich verändert. Sie sind von einer randständigen und vor allem minderheitenorientierten Partei zu einer geworden, die unter Umständen bei der Bundestagswahl die stärkste Kraft in der Mitte der Gesellschaft wird.

Normale Menschen wählen jetzt die Grünen. Das hätte man sich früher nicht vorstellen können.

Mangelnde Vorstellungskraft Ihrerseits! Denn wenn die große Transformation der Wirtschaft zu einer kohlenstoffneutralen oder sogar kohlenstofffreien gelingen soll, braucht es Mehrheiten in Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist ungefähr so, als würden normale Leute mehrheitlich die taz abonnieren. Undenkbar?

Wie fanden Sie die Rede von Kanzlerinkandidatin Baerbock beim Parteitag? Die Parteiclaqueure taten ganz begeistert, konservative Medien fanden sie maximal eine „Bewerbung als Familienministerin“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb?

Das war zu erwarten, ich fand die Rede sehr gut. Vor allem hat Annalena einem gewaltigen Druck standgehalten, das war der eigentliche Test, um den es ging. Und die Partei hat großartig reagiert mit diesem Parteitag. Glückwunsch!

Warum kosten Baerbocks Fehler mit späten Corona-Boni-Meldungen und ihrem leicht aufgeblasenen Lebenslauf Zustimmung in der Merkel-Mitte, während skandalöse Nebengeschäfte und Nepotismus von Unions-Politikern kaum jemanden juckt. Grüne verstehen das nicht. Sie?

So ist halt das Leben, so sind Mensch und Demokratie. Alles in allem aber nebbich.

Der andere Spitzenkandidat Robert Habeck versucht, Klimapolitik als notwendige Voraussetzung individueller und gesellschaftlicher Freiheit zu definieren, um die rituellen Verbotsvorwürfe der Mitbewerber ins Leere laufen zu lassen. Hat er mit dieser Flughöhe im Wahlkampf eine Chance?

Aber ja!

In Teilen der Partei wird wegen der Attacken auf Baerbock schon geheult, dass das ein unterirdischer Wahlkampf sei und alle gemein zu den Grünen. Ist es wirklich schlimmer als früher, etwa zu Brandts Zeiten?

Bundesarchiv B 145 Bild-F065084-0009, Bonn, Pressekonferenz der Grünen, Bundestagswahl.jpg

Die 60er-Jahre-Wahlkämpfe gegen Willy Brandt waren härter. Wenn es um die Macht geht, wird nicht mit Wattebäuschchen geworfen. Es heißt nicht umsonst Wahl-Kampf. Der ist auch heute nicht die Zeit für gepflegte Diskurse, sondern Attacke ist da angesagt, dagegenhalten und nicht wegziehen.

Sie haben in Ihrem jüngsten Buch ausgeführt, dass wir Bundesdeutschen jetzt 70 wunderbare Jahre hatten, aber nun drohe, so der Titel, „Der Abstieg des Westens“.

Die Gefahr ist mit der Wahl Joe Bidens keineswegs vorüber. Wir stehen vor einem risikoreichen Jahr, beginnend mit den Bundestagswahlen. Im Frühjahr 2022 folgen dann die französischen Präsidentschaftswahlen, mit dem Risiko der Wahl Le Pens. Und im Herbst dann die amerikanischen Midterm-Wahlen mit der Gefahr eines erneuten Erstarkens der nationalistischen Rechten. Zudem hat sich die Welt grundsätzlich verändert. Russland ist nicht die Sowjetunion, die USA zeigen zunehmend Erschöpfungserscheinungen, China ist mit allen Ambitionen eines Aufsteigers unterwegs, Europa tut sich gerade in Außen- und Sicherheitspolitik unendlich schwer, eine gemeinsame Position zu finden. Das ist eine andere Realität.

Eine neue Klimapolitik ist für Sie die eine große Zukunftsaufgabe, neue Außenpolitik im Zeitalter nach dem Weltpolizisten USA die andere. Die Frage ist jetzt, ob die Bundestagswahl gesellschaftliche Mehrheiten dafür bringt.

Oh ja, darum geht’s und nicht um irgendwelchen medialen Pipifax. Die Klimapolitik wird in diesem Wahlkampf eine große Rolle spielen, schon wegen der Umfragestärke der Grünen. Alle greifen uns ja wegen der Kostenfolgen des Klimaschutzes an. Ich glaube nicht, dass die Außenpolitik, vorausgesetzt, es passiert nichts Schlimmes, im Wahlkampf eine Rolle spielen wird. Aber direkt danach, unter einer neuen Regierung, wird sie im Vordergrund stehen.

Wo genau?

Im europäischen, im transatlantischen Rahmen, im Verhältnis zu Russland und Ukraine, im Verhältnis zu anderen Weltgegenden, speziell dem Nahen Osten. Da haben wir jetzt erlebt, wie eine große Illusion geplatzt ist: dass der Fortschritt in den Beziehungen Israels mit der arabischen Welt eine friedliche Regelung des Nahostkonflikts ermöglichen würde. Ob die auf Oslo beruhende Zweistaatenlösung funktionieren würde, darf man bezweifeln, aber Tatsache ist: Ohne die Palästinenser wird es keine Lösung, ja nicht einmal Ruhe geben.

Grünen-Vorsitzender Habeck denkt darüber nach, ob man den Leuten in der Ostukraine mit Defensivwaffen gegen den russischen Aggressor helfen muss, obwohl das Parteiprogramm das ausschließt. Teile der Linkssozialdemokraten wollen eine „politische Lösung“ und können sich das auch aus historischen Gründen nicht vorstellen.

Zunächst mal haben wir diese historische Verpflichtung nicht nur gegenüber Russland, sondern mindestens genauso gegenüber der Ukraine und anderen Völkern, die unter dem Dach der Sowjetunion gegen Nazi-Deutschland gekämpft und furchtbar gelitten haben. Deshalb verstehe ich nicht, warum die Diskussion darüber tabuisiert sein soll.

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Turnschuhe von Joschka Fischer, in welchen er den Amtseid als erster Grüner Minister in Deutschland leistete. Aufgenommen im Ledermuseum Offenbach

Konkret: Sollte man der Ukraine mit Waffen helfen, sich verteidigen zu können?

Ich finde es völlig legitim, darüber nachzudenken, was man tun kann, um einem angegriffenen Nachbarn zu helfen, dem man in der Vergangenheit, auch durch Russland, die territoriale Integrität zusichert hat im Tausch gegen seine Atomwaffen. Aber meine These lautet: Wir sollten das niemals national und alleine tun, nur in Verbindung mit unseren Partnern in der Allianz und EU. Und das ist gut so.

Da sind Sie ganz beim Grünenmitglied Jürgen Trittin, der die „politische Lösung“ als gemeinsame europäische Position beschreibt, mit der Habeck bricht.

Ich empfehle eine Diskussion mit polnischen Nachbarn oder mit den Balten, wenn man die These vertritt, Habeck habe mit einer gemeinsamen europäischen Position gebrochen. Das kann man nicht allen Ernstes behaupten. Ich finde es ja richtig, eine politische Lösung zu suchen, aber nicht unter dem Banner, dass es keine andere gibt. Im Kreml ist man doch ganz offenbar nicht dieser Meinung, dass es nur eine politische Lösung geben kann, da sucht man eine militärische.

Aber Sie selbst wollen keine klare Position beziehen?

Was ich im Amt gelernt habe: Man muss sich sehr sorgfältig die Details ansehen und dann abwägen. Ist die These, dass wir in Kriegsgebiete keine Waffen liefern, denn wirklich wahr? Würde eine Regierung, an der die Grünen beteiligt sind, Israel im Ernstfall hängen lassen? Das kann ich mir nicht vorstellen.

Wird die Sicherheit Europas in der Ukraine verteidigt?

Es ist mehr als die Sicherheit. Es geht um die Grundsätze Europas nach dem Ende des Kalten Krieges, Grundsätze der Demokratie, der Entscheidungsfreiheit, Absage an Hegemonialmacht und das Prinzip militärischer Eroberung, Unverletzlichkeit der Grenzen. Das steht da alles infrage, darin liegt auch der große Unterschied zwischen EU und Russland nach 1989. Die EU ging Richtung 21. Jahrhundert und Russland unter Putin in die exakte Gegenrichtung, Richtung der Machtpolitik des 19. Jahrhunderts, der „Sammlung russischer Erde“. Zugleich aber ist Europa der gemeinsame Kontinent und daran wird sich nichts ändern, die EU und Russland sind Nachbarn und müssen miteinander auskommen, das macht den Ukraine-Konflikt so schwierig, weil er auch die Grundsätze infrage stellt, auf denen dieses sich vereinigende Europa beruht.

Wenn man über militärische Hilfe laut nachdenkt wie die Grünen Habeck, Özdemir, Cohn-Bendit oder Fücks, dann ist man bei manchen ruck, zuck ein Bellizist.

Quelle         :         TAZ           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen          :

Oben     —     41 st Munich Security Conference 2005: The German Minister of Foreign Affairs, Joschka Fischer.

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2.) von Oben      —       For documentary purposes the German Federal Archive often retained the original image captions, which may be erroneous, biased, obsolete or politically extreme. 17.2.1983 Pressekonferenz der „Grünen“ im Restaurant Tulpenfeld (zur Bundestagswahl am 6.3.1983)

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Unten      —      Turnschuhe von Joschka Fischer, in welchen er den Amtseid als erster Grüner Minister in Deutschland leistete. Aufgenommen im Ledermuseum Offenbach.

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