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Europawahl im Zwielicht

Erstellt von Redaktion am Samstag 4. Mai 2019

Geschwächte Spitzenkandidaten

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von Eric Bonse

Selten war eine Entscheidung in der Europäischen Union mit derart großen Erwartungen verbunden wie die Europawahl 2019. Die Abstimmung, die vom 23. bis 26. Mai stattfindet, soll nicht nur ein neues Europaparlament wählen und – zumindest indirekt – über den nächsten Präsidenten der Europäischen Kommission entscheiden. Sie wird auch als „Schicksalswahl“ apostrophiert, bei der die Anhänger einer weltoffenen und liberalen EU die Offensive der Rechtspopulisten und Nationalisten stoppen wollen.

Eine Entscheidungsschlacht von „Progressisten gegen Nationalisten“ will Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron führen. Ein Plebiszit über Masseneinwanderung und Islamisierung sehnt dagegen der Führer der rechtsextremen Lega in Italien, Matteo Salvini, herbei. Er will die „europäischen Eliten“ das Fürchten lehren und eine „Allianz von Völkern und Nationen“ schmieden, die von Marine Le Pen in Frankreich bis zu Jörg Meuthen in Deutschland reichen soll, bisher aber nur auf dem Papier besteht.

Auch auf nationaler Ebene wird der Europawahl eine Signalwirkung zugeschrieben. In Deutschland könnte sie über das Schicksal der Großen Koalition und damit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entscheiden, in Polen scheint eine Trendwende zugunsten der proeuropäischen Kräfte möglich. Und in Brüssel wird die Wahl zugleich außenpolitisch gedeutet – als Selbstbehauptung gegen vermutete russische Einmischungsversuche oder als Antwort auf amerikanische Pressionen. Kurzum: Diese Wahl wird mit zahlreichen, zum Teil höchst widersprüchlichen Erwartungen überfrachtet. Dabei steht sie selbst im Schatten einer historischen Entscheidung – des britischen EU-Austritts und seiner Folgen für die europäische Integration. Auf einem Sondergipfel am 10. April haben die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, dass die Frist für den Brexit erneut verschoben wird und Großbritannien nochmals an der Europawahl teilnehmen soll. Dies könnte weitreichende Auswirkungen auf den Ausgang haben.

„Die Europawahl ist kein Spiel“, hatte der Präsident des Europaparlaments, Antonio Tajani, zuvor gewarnt. Doch die EU-Chefs nahmen auf seine Bedenken keine Rücksicht. Ziemlich hemdsärmelig gehen sie auch mit den Spitzenkandidaten für die Abstimmung im Mai um. Emmanuel Macron, aber auch die in der ALDE zusammengeschlossenen europäischen Liberalen, bestreiten den Parteispitzen die demokratische Legitimation. Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt zwar offiziell den deutschen Spitzenkandidaten der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber von der CSU. Zugleich hält sich sie aber für die Zeit nach der Wahl alle Optionen offen.

Dies führt dazu, dass die Europawahl 2019 in einem merkwürdigen Zwielicht stattfindet. Es ist nicht klar, worum es bei dieser Wahl eigentlich geht – so vielfältig und vieldeutig sind die Erwartungen. Es ist aber auch nicht klar, was diese Wahl letztlich bewirken kann. Die Spitzenkandidaten kämpfen mit dem Rücken zur Wand und können nicht sicher sein, am Ende tatsächlich das begehrte Amt des Kommissionspräsidenten zu ergattern. Und die Bürger wissen nicht, welche Folgen ihr Kreuzchen auf dem Wahlzettel für die Europapolitik haben wird.

Klar ist nur eins: Die EU tritt in denkbar schlechter Verfassung vor ihre Wähler. Der seit 2015 eskalierte Streit um die Migrationspolitik wurde nicht gelöst, der britische EU-Austritt auf die lange Bank geschoben. Selbst Erfolge in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die zu höheren Investitionen, mehr Wachstum und neuen Arbeitsplätzen führten, stehen wieder infrage. Die Konjunktur hat sich empfindlich abgekühlt, Italien kommt nicht aus der Krise. Jean-Claude Junckers Kommission der selbst ausgerufenen „letzten Chance“ hinterlässt ihren Nachfolgern somit einen gewaltigen Problemberg.

Wahlkampf ohne Biss

Im Wahlkampf werden diese Probleme jedoch kaum aufgegriffen. Die ungelöste Migrationskrise und das Scheitern bei der Dublin-Reform wird von den etablierten Parteien weitgehend ausgespart – aus Angst, damit den Rechten in die Hände zu spielen. Auch der Brexit spielt so gut wie keine Rolle. Denn die Europapolitiker sind sich durch die Bank einig, dass es zum in London heftig umstrittenen Austrittsvertrag keine Alternative gibt.

Immerhin lassen sich in der Wirtschafts- und Finanzpolitik unterschiedliche Ansätze erkennen. Der EVP-Spitzenkandidat Weber stellt die Politik der vergangenen Jahre rundum als Erfolg dar und beharrt auf einem weiteren Schuldenabbau. Demgegenüber kritisiert sein Herausforderer von den Sozialdemokraten (S&D), der Niederländer Frans Timmermans, die Austeritätspolitik in der Eurokrise, die er für den Aufstieg der Rechten mitverantwortlich macht. Timmermans fordert, ähnlich wie Linke und Grüne, eine Konkretisierung des „europäischen Pfeilers sozialer Rechte“, den die Juncker-Kommission versprochen hat. Die Stichworte lauten Mindestlohn und europäische Arbeitslosenversicherung. Dennoch kann von einer leidenschaftlichen Debatte über ein soziales Europa oder die Zukunft der immer noch unvollständigen und krisenanfälligen Währungsunion – Stichworte Eurobudget und Bankenunion – keine Rede sein.

Während die Kandidaten vor fünf Jahren über den besten Weg aus der Eurokrise stritten und teils einen „europäischen Frühling“ beschworen, fehlt heute die Aufbruchsstimmung. Nationalismus, Protektionismus, Klimakrise und Abstiegsängste drücken der Wahl ihren Stempel auf. Dagegen fehlt eine positive Zukunftsvision für Europa. Nicht einmal neue Jugendbewegungen wie „Fridays for Future“ oder die Kampagne gegen die EU-Urheberrechtsreform haben Schwung in den Wahlkampf gebracht. Von „Aufbruch für Europa“ keine Spur.

Die Wahlkampfstrategen setzen dagegen auf andere, von der EU-Kommission und den Parteizentralen von langer Hand geplante Themen. Sie konzentrieren sich auf das „Europa, das schützt“, das Kommissionschef Juncker seit Jahren propagiert – und präsentieren die EU selbst als schützenswertes Gut. Es gehe um die Verteidigung Europas gegen Politiker vom Schlage eines Donald Trump oder Wladimir Putin und um die Rettung der EU vor „Populisten und Nationalisten“, heißt es im proeuropäischen Lager.

Datei:Belgian soldier during Rampant Lion, EU Battlegroup 2014 II exercise in Grafenwoehr, Germany.jpg

Wer braucht gangster welche auf andere schießen ?

Diese rein defensive Strategie setzt auf die Wahrung des Erreichten und auf die Beschwörung der Einheit gegen die „Spalter“ und Abtrünnigen. Und immerhin: Sie zeigt Wirkung. Darauf deuten die hohen Zustimmungswerte, die zum Auftakt des Wahlkampfs Ende 2018 ermittelt wurden. Nach einer im Dezember veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage sehen heute stolze 62 Prozent der EU-Bürger die Mitgliedschaft ihres Landes im EU-Club positiv – der höchste Wert seit einem Vierteljahrhundert. Hohe Erwartungen und wachsende Akzeptanz – eigentlich keine schlechte Ausgangslage für die Europawahl. Die EU-Politiker setzen denn auch auf ein gesteigertes Interesse der Bürger und auf eine hohe Wahlbeteiligung. Allerdings ist diese Hoffnung trügerisch, warnt der britische Politologe und EU-Experte Simon Hix.[1] Schon bei der letzten Europawahl 2014 war – wegen des neu eingeführten Systems der Spitzenkandidaten – eine größere Mobilisierung der Wähler erwartet worden. Am Ende lag die Wahlbeteiligung aber mit 42,6 Prozent niedriger denn je.

Auch diesmal sind die Spitzenkandidaten alles andere als eine Erfolgsgarantie. Denn die Volksparteien und Parteienfamilien, für die die Spitzenkandidaten bei der Europawahl antreten, stecken in der Krise. Selbst die bisher auf EU-Ebene führende EVP, in der CDU und CSU den Ton angeben, wird von heftigen Turbulenzen erschüttert. Dies hat der Streit um Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und seine Fidesz gezeigt. Mitten im Wahlkampf sah sich der Spitzenkandidat der EVP, Weber, gezwungen, Fidesz zu suspendieren – wegen einer ausländerfeindlichen und latent antisemitischen Kampagne Orbáns gegen Juncker und die EU. Die Initiative zu diesem Schritt ging jedoch nicht von der CDU/CSU oder von Weber aus, sondern von den Christdemokraten in Schweden und in Benelux. Das letzte Wort hatte dann die neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Folge: Der Spitzenkandidat wurde geschwächt, die vermeintliche Parteien„familie“ ist zerrüttet.

Weit fortgeschritten ist die Krise auch bei den Sozialdemokraten. Sie sind in Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden nur noch eine Splitterpartei, auch in Deutschland geht es bergab. Dennoch haben sie mit Frans Timmermans einen Spitzenkandidaten aufgestellt, der ausgerechnet aus Holland kommt und somit über kein nennenswertes eigenes Wählerreservoir oder eine nationale Hausmacht verfügt. Timmermans setzt nun auf eine „progressive Allianz“ mit Grünen, Linken und möglicherweise sogar Liberalen, um die Dominanz der EVP zu brechen.

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Unten     —       A Belgian soldier participates in Rampant Lion, a quick reaction infantry task force exercise, Feb. 26, 2014, during European Union Battlegroup 2014-02 at the Grafenwoehr Training Area in Grafenwoehr, Germany. About 1,550 soldiers from Belgium, the Netherlands, Luxembourg, Spain and Macedonia trained for the battlegroup certification. The final certification was scheduled for June in Belgium.

Urheber Markus Rauchenberger

Dieses Bild wurde von einem Mitglied der United States Army während der Ausführung seiner Dienstpflichten erstellt. Als eine Arbeit der Bundesregierung der Vereinigten Staaten ist dieses Bild in public domain.

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