DEMOKRATISCH – LINKS

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RENTENANGST

Essen und Politik

Erstellt von Redaktion am Freitag 4. August 2017

Bloß kein Bild mit Döner

VON PHILIP MANOW

Sahra Wagenknecht wurde mit Hummer erwischt, die Grünen forderten einen Veggie-Day und Peer Steinbrück trinkt keinen Pinot Grigio unter fünf Euro. Eines ist klar: Essen ist politisch. Doch die Spielregeln zu beachten, ist eine Kunst für sich.

Gauche caviar, freedom fries, Chlorhühnchen – Carl Schmitt hatte recht: Das Politische ist substanzlos, es markiert nur eine Intensität, eine Assoziation oder Dissoziation. Alles kann urplötzlich in dieses Kraftfeld hineingezogen werden – auch das Essen. Oder das Trinken. Zum Kaviar-Linken gesellt sich dann der Champagne bzw. Chardonnay Socialist, oder der Bollinger Bolshevik. Das Politische ist nicht besonders wählerisch, es holt sich seine Abgrenzungen dort, wo es sie gerade findet.

Ein sozialdemokratischer Kanzlerkandidat schoss vor kurzem aus der Bahn, als er über seine Pinot-Grigio-Kaufgewohnheiten plauderte. Eine ganze Partei nahm sich aus dem Rennen, als sie den Deutschen einen wöchentlichen Veggie-Day zwangsverordnen wollte. Sahra Wagenknecht versuchte zu verhindern, dass Fotos von ihrem Hummeressen in einem Brüsseler Spitzenrestaurant an die Öffentlichkeit geraten (es hat nichts genutzt: „mit Hummer und Sichel“ klebt nun als Etikett an ihrer Form des Edelmarxismus). Ohne Zweifel – das Essen ist eine politisch delikate Angelegenheit. Dabei scheint es in der Links-Rechts-Codierung asymmetrisch, denn wie könnte man die Ess-, Trink- oder Wohngewohnheiten eines Konservativen als heuchlerisch entlarven? Allenfalls kann es sich für einen Rechten als politisch verhängnisvoll erweisen, wenn ihm erfolgreich eine „dann lasst sie doch Kuchen essen“-Einstellung angehängt werden kann. Doch der öffentliche Eindruck, den Kontakt zum „gemeinen Mann“ bereits vollständig verloren zu haben, wäre für einen Politiker der Linken nicht weniger verheerend.

Hausmannskost hat Vorrang

Es lässt sich am Essen ebenso wie an der Kleidung unseres politischen Führungspersonals ablesen, dass tendenziell alle Verhaltensweisen, die in der Lage sind, sozial eine Unterscheidung zu markieren, in der voll demokratisierten Gesellschaft politisch unter Verdacht geraten können. In der Demokratie lässt sich keine Karriere auf Extravaganz gründen. Man tritt eher als MdB Solms denn als MdB Prinz zu Solms-Hohensolms-Lich auf. Es ist politisch vorteilhaft – zumindest bis knapp diesseits des öffentlichen Eindrucks vollständigen Mittelmaßes – , als ein Mann oder eine Frau ohne weitergehende soziale Eigenschaften zu erscheinen, weil jede soziale Distinktion ein potenzielles politisches Ausschließungskriterium ist, während der Repräsentationsanspruch in der Demokratie ja immer ein unbegrenzter sein muss. Soziologische Theorien des Elitendistinktionsverhaltens – von Simmel bis Bourdieu – wären daher politisch als Vermeidungskatalog zu lesen.

Bei den politischen Essgewohnheiten signalisiert folglich die erklärte Vorliebe für die einfache Küche Volksnähe und Bodenständigkeit. Politisch herrschen daher Landesküche und Hausmannskost vor, es geht vergleichsweise rustikal zu. Regionale Gerichte bieten die Gelegenheit, mit einem zusätzlichen Bekenntnis zur jeweiligen Herkunft zu punkten. Am deutschen Beispiel: dicke Bohnen (Konrad Adenauer), Pichelsteiner Eintopf (Ludwig Erhard), Saumagen (Helmut Kohl). Schließlich mit leichtem Schlag ins Prollige: Currywurst (Gerhard Schröder). Sofort steht das Bild des SPD-Kanzlers als Politmalocher im Maschinenraum des deutschen Regierungssystems vor Augen: hier die Reformschraube ein wenig weiterdrehen, dort die Fraktionsdisziplin etwas nachfetten – und nach der Schicht dann zu Konnopke’s. Die Currywurst diente wohl auch dazu, Schröders vorheriges „Cohiba-Brioni-Image“, nun ja, wohl nicht gerade „glattzubügeln“, wie die Süddeutsche Zeitung schrieb, sondern eher schnell wieder vergessen zu machen. Nach Schröder ging es dann wieder etwas dezenter, nämlich einfach und regional zu: Uckermärker Kartoffelsuppe mit Einlage. Im jährlichen Sommerurlaub auf Ischia hingegen die „gute traditionelle neapolitanische Küche“, denn die Kanzlerin liebe ja schließlich, wie man wissen lässt, die einfachen Dinge.

Frieden und Wurstbrot

Die typische politische Klischeespeise ist also im Inland wie im Ausland eine glatte, gediegene Sache, die sich gut in eine Zeichenordnung des Soliden, Bewährten und Bescheidenen einfügt und damit auch eine Sehnsucht nach Herkunft und Identität erfüllt, auf ein nostalgisches Bedürfnis antwortet: sie soll zur Assoziation jeden und zur Dissoziation keinen Anlass bieten. Peter Altmaier twittert an einem heißen Sommertag ein einziges Wort: „Erdbeerkuchen“. Das scheint eher unkontrovers zu sein. Politisch an der politischen Speise ist eben, dass sie Ausdruck einer Abwehr ist, die in der Regel den Konflikt niederhalten will und durch diesen Reflex das Politische naturalisiert. Eine Farce, über die keiner lacht, weil sich jeder an ihr beteiligt.

Man mag das zunächst für einen Ausdruck pragmatischer Vernunft halten: Lasst uns das schnell abräumen, damit wir uns auf das Wesentliche konzentrieren können. Aber dieser vorgebliche Pragmatismus ist doch nur Teil der mitlaufenden Zeichenordnung, denn das Wesentliche wird ja in der Demokratie meist nicht anders als das Nebensächliche behandelt, also beispielsweise als die äußere Erscheinung oder das tägliche Essen. Für beide gilt das Leitmotto der Demokratie gleichermaßen: pro bono, contra malum – Hass ist schlecht und Liebe gut, man ist für Toleranz und gegen Intoleranz, gegen Arbeitslosigkeit und für soziale Gerechtigkeit, für Frieden und gegen Krieg, und ist dann im Zweifel auch für Wurstbrot und gegen Veuve Clicquot. In der Demokratie kleidet sich das Interesse immer in das Gewand von maximaler Zustimmungsfähigkeit, common sense und Normalität. Es ist ein gängiger Irrtum, anzunehmen, im Zentrum der Politik stehe der politische Streit. Im Zentrum der praktizierten Politik steht vielmehr der beständige Versuch seiner Vermeidung – die eigene Position soll als fraglos gelten.

Schlichte Bankette

Quelle    :   Cicero >>>>> weiterlesen

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Grafikquelle     :    Fotoquelle: Blogsport

Ein Kommentar zu “Essen und Politik”

  1. Stefan Weinert sagt:

    Alles Politik – oder was?

    „Wenn ich das Wort POLITIK höre, denke ich unweigerlich an Schnüre und Puppen hinter einem geschlossenen Vorhang.“ – Paul Henry

    von Stefan Weinert
    Das Wort ‚Politik“ bezeichnete in den Stadtstaaten des antiken Griechenlands alle diejenigen Tätigkeiten, Gegenstände und Fragestellungen, die das Gemeinwesen, ursprünglich die Polis (die Stadt) – betrafen. Entsprechend ist die wörtliche Übersetzung von politiká anzugeben als „Dinge, die die Stadt betreffen“.

    Der Mensch ist ein Zoon politikon – ein soziales, auf Gemeinschaft angelegtes und Gemeinschaft bildendes Lebewesen. Die Grundbestimmung des Menschen ist das Zusammenleben mit anderen. Nur so verwirklicht er seine Natur, die ihn im Gegensatz zu den Tieren mit Sprache und Vernunft ausgestattet hat und damit mit der Möglichkeit, sich Vorstellungen von Recht und Unrecht zu machen und mit anderen auszutauschen.

    Eine maßvolle Wirtschaftsweise im oikos (= das Haus, Ökonomie) ist Grundlage eines guten Lebens und einer stabilen Polis. Hierzu dient auch der Tausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Bauern, Handwerkern und Kaufleuten. Für diesen Tauschverkehr bedarf es des Geldes, das die Funktion der Wertaufbewahrung, des Zahlungsmittels und des Maßstabes für den Wert von Gütern hat. In dieser Verwendung ist Geld ein Mittel für die Güterversorgung der Hausgemeinschaft und zur Herstellung der Autarkie in der Polis. Wenn aber Geld nicht mehr Mittel, sondern Zweck des Handelns ist, dann kommt es zur Gelderwerbskunst, der Chrematistik (= die Kunst, Reichtum zu erlangen). Es geht dann nicht mehr darum, Gebrauchswerte zu tauschen, sondern um das Anhäufen von Geld. Ein solches Verhalten betrachtet Aristoteles als unvernünftig und unnatürlich. – Entsprechend ist auch der Zins etwas Unnatürliches. Er entsteht aufgrund der Raffgier, der Pleonexia, ( = ein Mehr-Haben, ein Vorteil oder ein größerer Anteil, den ein Mensch im Vergleich zu anderen besitzen kann). Ein moralisch verwerfliches Mehr-Haben-Wollen, verwandt mit Habsucht, Gier und Anmaßung ist etwas „Hassenswertes, weil er aus dem Geld selbst den Erwerb zieht.“

    Eigentum ist ein legitimer und fester Bestandteil des praktischen Lebens. „Zwei Dinge erwecken vor allem die Fürsorge und die Liebe des Menschen: Das Eigene und das Geschützte.“ Für Privateigentum spricht, dass der Einzelne den Gütern mehr Fürsorge zuteilwerden lässt als die Gemeinschaft. Durch das Vorhandensein von Eigentum gibt es klare Rechtsansprüche und es gibt weniger Streitigkeiten. Schließlich wird die Wirtschaftlichkeit durch das Vorhandensein von Eigentum verbessert. In rechtem Maße darf man auch Eigentum genießen.

    Eine angemessene Besitzverteilung ist ein wichtiges Element einer angemessenen Staatsform. Wenn das Maß und die Mitte anerkanntermaßen das Beste sind, so ist auch in Bezug auf die Glücksgüter der mittlere Besitz von allen der Beste, denn in solchen Verhältnissen gehorcht man am leichtesten der Vernunft. Allerdings lehnt Aristoteles einen prinzipiellen Egalitarismus ab (= soziale Gruppe, Gemeinschaft oder Gesellschaft, bei der grundsätzlich alle Mitglieder den gleichen Zugang zu den Ressourcen Nahrungsmittel, Güter, Land usw.) haben und kein Mitglied dauerhaft Macht über Andere ausüben kann. Politik: Wille zur Macht oder Streben nach Frieden?

    Zitate zum Thema
    „Politik ist das Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung…“ – Max Weber, 1919
    Der Gegenstand und das Ziel der Politik ist der Friede … der Friede ist die politische Kategorie schlechthin.“ – Dolf Sternberger, 1961: S.18
    „Politik ist die Gesamtheit aller Aktivitäten zur Vorbereitung und Herstellung gesamtgesellschaftlich verbindlicher und/oder am Gemeinwohl orientierter und der ganzen Gesellschaft zugutekommender Entscheidungen.“ – Thomas Meyer

    Stefan Weinert

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