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Berichterstattung über Flüchtlinge

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 29. Juli 2015

Eskalieren, ohne es zu merken

von Karin Janker

Ein Wörtchen durchsetzt die Berichte über Flüchtlinge: „Noch“ gebe es hilfsbereite Menschen, „noch“ komme Deutschland mit Hilfsbedürftigen klar. Da schwingt eine Drohung mit.

Es sei „drei vor zwölf“. Die Formulierung sollte die Dringlichkeit unterstreichen, mit der sich Baden-Württembergs Kommunen zuletzt an ihre Landesregierung wandten. Sie seien überfordert damit, Flüchtlinge unterzubringen, und baten Ministerpräsident Winfried Kretschmann um Hilfe. Beinahe zeitgleich warnt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vor einem „Kollaps“ in der Flüchtlingsversorgung. Und in Leitartikeln ist von einem Einwanderungsgesetz als „letztem Mittel“ die Rede und von einer Republik, die unter dem Flüchtlingszustrom „ächzt“.

Es ist eine defätistische Vision, die in der aktuellen Berichterstattung über Flüchtlinge aufscheint. Sie impliziert, dass ein Land, das einen so immensen Reichtum birgt wie Deutschland, nicht in der Lage sei, mehr als die bislang angekommenen schutzbedürftigen Menschen zu betreuen.

Vor allem aber legt die aktuelle Berichterstattung den Schluss nahe, die Lage spitze sich dramatisch zu. Eine Eskalation wird rhetorisch angedeutet und – das ist das Gefährliche daran – gleichzeitig legitimiert. Oft ungewollt, ohne es zu merken. Besonders subtil geschieht dies über die Rhetorik des „noch“. Noch gelinge es irgendwie, Asylbewerber unterzubringen, noch seien die Menschen bereit zu helfen, aus Solidarität auf die Straße zu gehen, sich für Flüchtlinge politisch und ehrenamtlich zu engagieren. Noch.

Das-Boot-ist-voll-Ausfälle sind zum Glück passé

Das „noch“ ist ein klassisches Mittel der Spannungssteigerung, des Suspense. Als Adverb beschreibt es eine Zeitspanne, deren Ende abzusehen ist. „Noch ertrage ich deine Allüren“, sagt man, „aber nicht mehr lange“, denkt man. Eine Drohung schwingt mit, die Gefahr, dass es irgendwann zu viel werden könnte. Selbst für die moralisch Einwandfreien. Als gäbe es eine kritische Masse, die die Situation zwangsläufig kippen lässt. Und als stünde dieser Moment kurz bevor.

Quelle: Sueddeutsche >>>>> weiterlesen

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Fotoquelle: Wikipedia – Urheber Österreichische Außenministerium

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