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Er will’s wirklich wissen

Erstellt von Redaktion am Samstag 4. Juli 2020

Polit – Medien – Talk einmal anders ?

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Von Peter Unfried

Markus Lanz gilt als schleimig, neoliberal und nervig, für manche ist er eine Hassfigur. Andere finden, er macht den wichtigsten Polit-Talk des Landes. Wie kam es dazu? Und wer hat denn nun recht?

Als Boris Palmer zum ersten Mal bei Markus Lanz war, twitterte eine Bundestagsabgeordnete der Grünen: „Jetzt ist Palmer ganz unten angekommen.“ Ein reizendes Beispiel für gelebte grüne Affektkultur: Die ZDF-Gesprächssendung von Lanz definiert „ganz unten“, wo der Tübinger Parteikollege hingehört. Klatsch, klatsch. Zwei Schmeißfliegen mit einer Klappe.

Bis vor Kurzem war es in den medienkritischen Milieus grundsätzlich üblich, Markus Lanz und seine gleichnamige Sendung entweder zu ignorieren oder blöd zu finden. Das musste nicht wirklich begründet werden, weil es sich ja von selbst zu verstehen schien. Schleimiger ­Unterhaltungsfuzzi. Kam der nicht vom „Privatfernsehen“? Hatte der nicht mal Sahra Wagenknecht fertig gemacht? War da nicht auch eine Connection mit Bild?Leute, die sichergehen wollten, dass da keine gefährlichen Ambivalenzen aufkamen, sagten barsch: Sehr wahrscheinlich FDP, auf jeden Fall neoliberal. Er werde immer sofort fuchsig, wenn er „linkes Gedankengut vermutet (oder was er dafür hält)“, und geriere sich dann als „Scharfrichter“, schrieb die lanzo­phobe Frankfurter Rundschau.

Doch was, wenn wir etwas verpasst haben und Lanz mittlerweile „ganz oben“ definiert, was politische Gespräche im Fernsehen angeht, und das nicht erst seit den Corona-Erklärungswochen? Die These lautet: Lanz und seine Redaktion haben ein Format des Politikergesprächs entwickelt, das in Deutschland seinesgleichen sucht, weil es wirklich ein Gespräch ist und weil es politische Inhalte und biografischen Hintergrund nebeneinanderstellt, sodass Querverbindungen entstehen können. Oder ist das übertrieben? „Schauen Sie bitte mal“, wie Lanz zu sagen pflegt.

An einem Junitag stehen die Gäste der Sendung im Aufenthaltsraum der Produktions­räume, als der Moderator hemdsärmelig durch die Tür tritt, um ein bisschen Warm-up zu machen. Er erzählt dem Minister Hubertus Heil, dass er mal am neben ihm stehenden Sozialpsychologen Harald Welzer an der Alster vorbeigejoggt sei, ihn aber nicht angesprochen habe. Welzer fragt Heil, wofür eigentlich das Nummernschild der direkt unter dem Balkon parkenden Ministerlimousine stehe (PE). Worauf Heil sich für seinen Heimatort Peine rechtfertigen muss und dann zurückschlägt und sagt, Welzer selbst komme doch aus Hannover?

„Wo kommst du eigentlich her?“, sagt Lanz beiläufig zur ZDF-Kollegin Jana Pareigis, von der er weiß, dass sie das als schwarze Frau ständig gefragt wird.

„Aus Hamburg“, sagt sie.

Lanz lächelnd: „Ich weiß, aber aus welchem Stadtteil?“

So überwindet er auf spielerische Art den Alltagsrassismus, über den Pareigis in der Sendung sprechen wird und macht aus der gefürchteten Herkunftsfrage eine Fachsimpelei unter Hamburgern.

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Markus Lanz ist ein sehr gut aussehender Mann mittleren Alters, Jahrgang 1969. Trotz graumelierter Haare hat er die Aura eines gerade Vierzigjährigen, vielleicht wegen seines Lächelns und weil er sehr schlank und drahtig wirkt. Seine Gesprächssendung läuft seit 2009 im Spätprogramm des ZDF. Zunächst zweimal, ab 2010 dreimal pro Woche.

Lanz fing als Nachfolger von Johannes B. Kerner an, kernerig, also so, wie man damals Unterhaltung für müde Zuschauer definierte: Promis stellten ihr neues Produkt vor oder ihr Privatleben aus, und der Moderator goss freundlichst Schleim oder Mitgefühl drüber. Das war in einer Zeit, als Harald Schmidt in den letzten Zügen lag und Netflix noch nicht da war.

Auffällig wurde Lanz erstmals, als er 2014 die Politikerin Sahra Wagenknecht wegen Positionen der Linkspartei zur EU („diktatorisch“, „militaristisch“) hart befragte und danach selbst richtig was draufkriegte. Unter anderem lief eine Petition, die seine Absetzung forderte. Empörungsauslösend war, dass er mit einem Stern-Journalisten zusammen auf sie losging. Zwei Männer gegen eine Frau, „das wirkt unhöflich“, sagt er heute. Er entschuldigte sich nach der Sendung bei Wagenknecht. Aber dass die von ihm kritisierte Passage anschließend aus dem Positionspapier der Linkspartei flog, ist ihm schon auch wichtig zu erwähnen. „Meine Redaktion hat sich einiges anhören müssen“, sagt Lanz, „und ich auch.“ Er sei „der Mann, den das ZDF regelmäßig außerhalb des Kinderprogramms über Politik diskutieren“ lasse, schrieb der Medienkritiker Stefan Niggemeier zur Wagenknecht-Sendung, „ein Mann, der dann wütend wird, wenn sich jemand nicht zu ihm in den Sandkasten knien will, um auf seinem Niveau zu diskutieren“.

Lanz’Biografie ist eine echte Aufstiegsgeschichte. Er stammt aus Italien, genauer gesagt, aus dem Südtiroler Dorf Geiselsberg im Pustertal, genauer gesagt, aus dem Weiler Gassl östlich von Geiselsberg. Er ist ein Bergbauernkind, eines von dreien, das mithilfe eines Stipendiums in einem Klostergymnasium Abitur machen konnte. Und nebenbei mit Akkordeonmusik etwas Geld verdiente. Lanz hält sich für geprägt von „Tiroler Melancholie“, die er zum einen auf eine historisch-politische „Zerrissenheit“ zwischen dem Italienischen und Deutschen zurückführt, zum anderen auf die Dunkelheit und Enge der Täler.

Als er nach Deutschland kam, war er anfangs eingeschüchtert vom riesigen Angebot im Tengelmann und vom Selbstbewusstsein der Deutschen, jedenfalls nahm er das so wahr. Mitte der Neunziger war er Volontär bei RTL und flog raus, weil er während der französischen Atombombentests im Mururoa-Atoll an einem Song beteiligt war, der in einer Radioshow lief und den verantwortlichen Präsidenten kritisierte („Fuck Chirac“).

„Ich habe nur die Musik komponiert und den Song produziert, weil ich den Synthesizer zu Hause hatte“, sagt er. Den Text schrieben zwei Kollegen. Aber, wie das so ist: Riesenärger, die beiden profilierten Kollegen blieben, der Südtiroler Volo flog raus. Beziehungsweise zeigte dann doch jemand Zivilcourage, und Lanz konnte bei RTL Nord sein Volontariat zu Ende machen. Als Reporter. „Deshalb mache ich so gern Reportagen.“ Er macht sie nicht nur gern. Er spricht auch gern darüber. Lanz-Liebhaber warten immer schon darauf, dass er in seiner Sendung von den Reportagereisen erzählt. Er tut es womöglich sogar öfter, als den Politikjournalisten Robin Alexander zu zitieren, einen seiner Stammgäste.

Lanz machte bei RTL Hochzeitsplanungs- und Wildlife-Überlebensshows und moderierte acht Jahre das Vorabendmagazin „Explosiv“. 2008 ging er zum ZDF, wo er zunächst die Vertretung des damals populären Johannes B. Kerner in dessen Talkshow übernahm; und ab 2009 dann dessen Format und Sendeplatz – und eine Kochshow gleich mit. Zwischendurch scheiterte er, wie es immer heißt, an der Moderation von „Wetten, dass..?“ (2012 bis 2014). Allerdings war die legendäre Samstagabendshow damals schon ein strunzlangweiliges Zombieformat, weil sich die Welt einfach verändert hatte.

Von Kerner erbte Lanz auch – und damit kommen wir zur Bild-Zeitung – dessen Produzenten Markus Heidemanns. Die Heidemanns-Brüder aus Witten sind eine Größe im Unterhaltungsmediengeschäft, entdeckt von Michael Spreng, dem früheren Chefredakteur der Bild am Sonntag. Der eine, Martin, war lange Unterhaltungschef bei Bild, bis der aktuelle Chefredakteur Julian Reichelt ihn nicht mehr brauchen konnte.

Der andere Heidemanns ist anderthalb Jahre jünger, heißt Markus, und zusammen bildeten die beiden Brüder eine bisweilen synergetische Achse. Falls es so war, dann ist es lange vorbei. Zum einen interessiert sich Reichelt offenbar nicht für Promis und das Material, das man mit ihnen – zusammen oder auf ihre Kosten – kneten kann. Zum anderen steht Lanz offenbar nicht auf Bild und damit umgekehrt. Während Kerner zu seinen Wichtig-Zeiten zum Inventar derer gehörte, von denen Bild glauben machen wollte, dass sie die zentralen Figuren der Republik sind (Beckenbauer, Bohlen, Naddel, Friedrich Merz), kommt Lanz dort kaum vor und wenn, dann tendenziell nicht positiv.

Als sich abzeichnete, dass Lanz eine feste Größe beim ZDF werden würde, gründeten er und Markus Heidemanns als gleichberechtigte 50-Prozent-Partner die Mhoch2-TV-Produktionsgesellschaft. Zusammen mit einer Firma, die Heidemanns allein gehört, produziert diese „Markus Lanz“ und andere Fernsehformate mit und ohne Lanz. Hunderte im Jahr und sehr gern was mit Kochen. Die Firma residiert in Hamburg-Ottensen auf einem ehemaligen Fabrikgelände.

Es gibt zwei Studios, ein großes für das Gekoche und ein kleines für Lanz. Letzteres hat nur sieben Zuschauerreihen, die derzeit leer bleiben. Auch die Redakteure haben gerade erst wieder angefangen, die Sendung vor Ort zu verfolgen. Die Redaktion besteht aus etwa 15 Leuten, aus Kerner-Zeiten ist fast niemand mehr dabei. „Vom Wendler zu Schäuble ist ein weiter Weg“, sagt Lanz, und das meint so viel wie: vom Trashunterhalter zum Politikdurchdringer. Der Schlagersänger Wendler würde heute nicht mehr bei Lanz sitzen.

Quelle        :          TAZ         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben         —        Markus Lanz in der 214. Wetten, dass..?-Show in Graz, 8. Nov. 2014

Author Kurt Kulac         /    Source     —   Own work

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