Entmenschlichte CDU Zeiten
Erstellt von Redaktion am Mittwoch 25. März 2020
Das Virus der Konformität
Ach waren das Zeiten – als Politiker Menschlichkeit zeigten !
Ein Schlagloch von Charlotte Wiedemann
Der Ausnahmezustand ist von faktischer, sozialer und geistiger Art, doch kaum von juristischer. Über Sprache und Denken im Ausnahmezustand.
Wo kam sie ursprünglich her, die Metapher vom „Runterfahren“ der Gesellschaft, die damit zu einer Maschine wird, mit einem gedachten großen Hebel? Der Begriff ähnelt dem Patienten null der Epidemiologie, von dem eine Krankheit mutmaßlich ihren Ausgang nimmt. Worte sind nicht ansteckend, doch übertragen sie eine geistige Haltung, die sich schneller verbreiten kann, als man ihrer gewahr wird.
Beim Hinauf- und Herunterfahren einer Maschine darf nichts knirschen, kein Sand im Getriebe sein. Auf eine Gesellschaft bezogen, ist das ein totalitäres Bild. Aber darf man solche Überlegungen jetzt anstellen, Sprachkritik, Ideologiekritik? Man muss es sogar, zumal angesichts der zweitmeist verwandten Krisenvokabel: „den Laden am Laufen halten“. Der Begriff kommt jovial daher, doch teilt er auf in Unverzichtbare und Verzichtbare, in Front und Hinterland. Verzichtbar ein Großteil des geistigen und kulturellen Lebens; Zuhausebleiber – ob sie je wieder gebraucht werden?
Wer im Hinterland sitzt, denkt sich an die Front, sucht nach Rechtfertigung des eigenen Daseins, nach einem Platz in der großen Rettungsgemeinschaft. Es hat also Gründe, wenn im Hinterland nun ein Virus der Konformität auftritt, ein offensiv vorgetragener Wille, sich einzugliedern in einen Notstand härtester Art. So ist es gewiss nicht bei allen. Doch ist es zum Fürchten, wenn aus einer jungen, hochgebildeten, liberalen Mittelschicht der Ruf nach einer totalen Ausgangssperre ertönt, wie sie nicht einmal der Staat will.
Woher rührt diese vorauseilende Bereitschaft zur Unterwerfung, feierlich deklariert auf Instagram?
Achtsamkeit und Vernunft sind Schlüsselbegriffe. Wer diese beiden Tugenden für sich selbst in besonderem Maße in Anspruch nimmt, erschafft dieser Tage ein neues Milieu, eine Art Krisen-Biedermeier. Das eigene regelkonforme Verhalten wird mit detaillierten Selbstverpflichtungen öffentlich bezeugt und die verordnete Entschleunigung als ein Schonraum erlebt – so öko-sauber, mit stillen Straßen, die nicht gegen Automobil-Interessen erkämpft werden mussten.
Nestwärme in einer Utopie ohne Bürgerrechte.
Wer dieser Tage von Freiheitsrechten spricht, wird leicht der Verantwortungslosigkeit bezichtigt. Manche setzen intellektuelle Reflexion unumwunden mit der Bereitschaft gleich, andere fahrlässig zu infizieren. Und überhaupt: Kritik ist nicht an der Zeit! Erst „danach“ wieder zulässig! Aber das Danach, wann wird es sein? Niemand weiß es. Und werden Rechte, wenn sie jetzt allzu leichten Herzens aufgegeben werden, eines Tages zurückkommen, einfach so?
Ich kam über Stock und Stein, trat dann die Mauer ein – und jetzt bleib ich hier und trink Euer Bier.
Auch die Medien stehen unter Konformitätsdruck, von innen wie von außen, und Abweichungen werden sanktioniert. Als Anne Will in ihrer jüngsten Sendung gegen Söder stichelt, im journalistischen Tonfall früherer Zeiten, zieht die Süddeutsche Zeitung die Rote Karte: „Eine Moderatorin will spalten.“ Spalten? Ein Vorwurf aus dem Vokabular autoritärer Gemeinschaften. Wie locker solche Begriffe jetzt sitzen. Wer ist sichtbar in der Krise, wer hat Stimme? Die Älteren, also etwa ein Fünftel der Bevölkerung, kommen fast nirgends zu Wort, sind nur Objekt der fürsorglichen Belagerung. Die vielen Vereinzelten, zur Einsamkeit verdammt, vielleicht schreien sie dagegen an, wir hören sie vorsichtshalber nicht. Denn es könnte demoralisierend wirken.
Weitgehend unsichtbar auch der migrantische Teil Deutschlands, obwohl dazu viele gehören, die den Laden zusammenhalten, unterbezahlt. Trotzdem sind Talk-Runden ausschließlich weiß, als könnten sich nur so Ernst und Verantwortung versammeln.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Biergarten Viktualienmarkt
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Unten — Die Bundesumweltministerin Angela Merkel am Stresemannufer hinter dem Plenarsaal der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn beantwortet einem Fernsehteam deren Fragen. Im Hintergrund ist das Abgeordnetenhochhaus Langer Eugen zu sehen. Fotografische Impressionen von Andreas Bohnenstengel während der Parlamentarischen Woche im Juni 1995 in: Der Dreizehnte Deutsche Bundestag. Innenansichten unseres Parlaments. ISBN 3-87576-357-2