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Erstellt von Redaktion am Dienstag 20. März 2018

Was kritischer Journalismus heute bedeutet

Public Domain

von Harald Schumann

Die gängige Bezeichnung der Medien als vierte Gewalt in der Demokratie beinhaltet vor allem eines: einen gewaltigen Anspruch. Es bedeutet, sie mit der Legislative, Exekutive und Judikative auf eine Ebene zu stellen. Diese Rolle können Medien natürlich gar nicht erfüllen. Zwar bezeichnete Jean-Jacques Rousseau einst die Presse im Zeitalter der Aufklärung in der Tat als die vierte Säule des Staates. Heute jedoch enthält diese Zuschreibung eine maßlose Überhöhung. Wir erfahren schließlich jeden Tag das Gegenteil: Journalisten produzieren ganz überwiegend nur affirmativ die Verlautbarungen der Mächtigen oder belanglose Unterhaltung. Insofern handelt es sich um ein Missverständnis, aber: Es ist ein gutes Missverständnis.

Denn die Idee, ja das Ideal von den Medien als der vierten Gewalt hält den grundlegenden Arbeitsauftrag für Journalisten aufrecht: den Mächtigen auf die Finger zu schauen, ihnen nicht alleine die Definition der öffentlichen Meinung zu überlassen und vor allem jene Informationen zu veröffentlichen, welche ansonsten nicht freiwillig verbreitet worden wären. Das ist die eigentliche Aufgabe: nicht nur wiedergeben, was andere sagen, sondern Handlungen und Ereignisse einordnen und Zusammenhänge erklären.

Damit ist kritischer Journalismus eine fundamentale Voraussetzung für das Funktionieren eines demokratischen Gemeinwesens. Nur unabhängige und kritische Informationsquellen machen es überhaupt möglich, dass Bürger informierte Entscheidungen treffen können. Sonia Mikich, die Chefredakteurin des WDR, brachte es so auf den Punkt: „Kritischer Journalismus bringt der Demokratie den Sauerstoff, den sie zum Atmen braucht.“ Nur diese Aufgabe, auch unliebsame Informationen zu verbreiten, rechtfertigt die verfassungsrechtlichen Privilegien der Zunft, wie beispielsweise das Recht, die eigenen Quellen geheim halten zu dürfen, auch gegenüber staatlichen Ermittlern.

Kurzum: Trotz aller berechtigten Kritik an den Journalisten und den Mängeln des Medienwesens gilt es, die Idee der Medien als vierte Gewalt zu verteidigen. Denn das ist es, was trotz aller Widrigkeiten immer noch viele Journalisten antreibt. Darauf beruhen auch die Heldengeschichten, mit denen sich unsere Zunft gerne schmückt: die Dokumentation des Massakers der US-Armee im Dorf My Lai in Vietnam durch Seymour Hersh, die Aufdeckung des Watergate-Skandals von US-Präsident Nixon durch die Redakteure der „Washington Post“, Bob Woodward und Carl Bernstein, aber auch, im nationalen Rahmen, die sogenannte Flick-Affäre und der Parteispendenskandal sowie zuletzt die Veröffentlichung der „Panama Papers“ durch ein internationales Journalistenkonsortium.

Solche Enthüllungen sind jedoch nie alleine das Werk mutiger Journalisten. Zugleich müssen stets drei weitere entscheidende Voraussetzungen erfüllt sein.

Die Voraussetzungen eines aufklärerischen Journalismus

Erstens muss es einen zuverlässigen Informanten geben, der ein Interesse an der Veröffentlichung der jeweiligen Informationen hat. Durch diese Abhängigkeit machen sich Journalisten immer wieder auch zu Agenten von Akteuren, die aus Furcht oder unter Druck die Anonymität wählen. Vor allem Enthüllungen im Umfeld von Geheimdiensten bergen daher das Risiko, dass Journalisten zu Komplizen fragwürdiger Akteure werden. Oft spielen Machtkämpfe innerhalb dieser Organisationen eine große Rolle für die Motivation der Informanten, welche für Journalisten oft kaum zu durchschauen sind.

Zweitens müssen die Verantwortlichen des Mediums, in dem die Geschichte veröffentlicht werden soll, bereit sein, sich mit den Mächtigen anzulegen und ein entsprechendes politisches Signal zu senden. Dabei muss das Risiko teurer Prozesse, eines Anzeigenboykotts oder des Ausschlusses vom Informationsfluss in Kauf genommen werden.

Und drittens kann die Sprengkraft einer Geschichte nur dann Wirkung entfalten, wenn Politiker, Behörden oder zivilgesellschaftliche Akteure das Thema aufgreifen und ein politisches oder gesellschaftliches Echo erzeugen.

Schon diese drei Voraussetzungen verdeutlichen, dass Medien gar keine unabhängige vierte Gewalt sein können. Vielmehr sind sie abhängig und damit manipulierbar und immer auch eingebettet in gesellschaftliche Machtstrukturen.

Das Ideal des Journalisten, der die Fackel der Aufklärung trägt, Missstände aufdeckt und so die demokratische Selbstreinigung herbeiführt, ist eine schöne Vision. Sie hat jedoch mit dem Alltag der meisten Journalisten nichts zu tun. Der großen Mehrheit fehlt heute, angesichts einer immer größeren Arbeitsverdichtung, schlicht die Zeit, um guten und kritischen Journalismus zu betreiben. Redakteure in einer Tageszeitung oder einem Radio- oder Fernsehsender müssen in der Regel täglich einen, häufig auch zwei oder drei Artikel produzieren. In der Konsequenz heißt das, dass die Artikel oft aus Meldungen der Nachrichtenagenturen, Pressemitteilungen und Anrufen bei Pressesprechern kompiliert werden. Für echte Recherche, das heißt die Überprüfung der Aussagen von Politikern, Unternehmen oder Experten auf ihren Wahrheitsgehalt oder mögliche Widersprüche, fehlt schlicht die Zeit. Folglich erfüllen die meisten journalistischen Produkte, die täglich konsumiert werden, nicht einmal die grundlegenden Standards von solidem Journalismus.

Die eigentlich wichtigen Fragen werden darum kaum mehr gestellt:

Gibt es unabhängige Quellen, die eine Tatsachenbehauptung eines zitierten Akteurs bestätigen?

Was sagen Akteure mit anderen Interessen zu demselben Thema?

Was sagen Betroffene von Vorwürfen und Anklagen zu ihrer Verteidigung?

Welche Interessen verfolgen die zitierten Akteure und Institutionen?

Wer bezahlt sie und welche Rolle haben sie früher gespielt?

Und schließlich die wichtigste aller Fragen: Cui bono? Wem nutzt die jeweilige Handlung oder Entscheidung?

Gewiss, die Einhaltung dieser Standards war schon in den 1980er Jahren prekär, doch die Verlagerung des Medienkonsums ins Netz hat die Entwicklung erheblich verschlimmert. Denn guter Journalismus kostet Zeit und damit Personal und Geld.

Der Journalismus und die Wiedereinführung des Adelsprivilegs

Durch das langsame Absterben der Printmedien und die zunehmende Konzentration auf das Werbegeschäft verlieren journalistische Informationen heute immer mehr an Wert. Als bittere Konsequenz werden immer weniger Journalisten beschäftigt, die verbliebenen werden schlechter bezahlt und viele können von ihrer Arbeit nicht leben.

Auf der anderen Seite steigt die Zahl der PR-Schreiber, welche als Pressesprecher, Medienberater, Anwälte oder Wissenschaftler im Auftrag von Firmen oder der Regierung arbeiten. Dadurch können Interessengruppen Journalisten umso leichter manipulieren und damit die Struktur der öffentlichen Meinung beeinflussen. So stellt sich die Illusion einer real existierenden Einheitsmeinung ein, da häufig scheinbar ganz verschiedene Studien, Experten, Dossiers eine gleiche Botschaft bestätigen.

Ein herausragendes Beispiel dafür ist die Wiedereinführung des Adelsprivilegs in Deutschland, sprich: die Weitergabe von Reichtum und Macht per dynastischer Erbfolge. Nein, das ist kein Scherz. Vielmehr haben Deutschlands Superreiche im Jahr 2002 eine „Stiftung Familienunternehmen“ ins Leben gerufen. Diese gemeinnützige Stiftung mit Sitz in München hat dann mit sogenannten Medienpartnern, wie der „Süddeutschen Zeitung“ und der „Welt“, als willigen Helfern und auch mit Hilfe des Sponsorings von Journalistenschulen eine massive Kampagne geführt, wonach die Erbschaftsteuer Deutschlands mittelständische Betriebe in den Ruin treibt.

Dabei war genau das frei erfunden: Es gibt keinen einzigen dokumentierten Fall, bei welchem die Erbschaftsteuer für den Konkurs mittelständischer Unternehmen verantwortlich war. Trotzdem wurde das nach dieser, höchst erfolgreichen, Kampagne nicht mehr in Frage gestellt: Seit 2009 sind Unternehmenserben von der Erbschaftsteuer befreit und ganze Milliardenkonzerne werden steuerfrei vererbt. Als Deutschlands höchstes Gericht das dann für verfassungswidrig erklärte, wiederholten die besagte „gemeinnützige Stiftung“ und ihre Unterstützer die Kampagne und hatten damit wieder Erfolg: Bis heute ist der deutsche Geldadel, was seine ungeheuren Erbschaftsvermögen anbelangt, steuerfrei.

Wie Medien verschleiern: Die Legende von den »Rettungsschirmen«

Quelle     :    Blätter        >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle :   CC  Public Domain

 

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