Ein Umzug Wien – Zürich
Erstellt von Redaktion am Sonntag 15. Dezember 2019
O du perfektes Zürich, wie sehr ich dich verachte
Von Solmaz Khorsand
Unsere Autorin kam von Wien in die größte Schweizer Stadt. Doch ihre neue Heimat trieb sie fast in den Wahnsinn.
Vor einem Jahr bin ich in die Provinz gezogen, ohne darauf gefasst zu sein. Als ich meine Kartons packte, habe ich nicht gewusst, dass ich urbanes Gebiet verlasse. In meiner Vorstellung würde ich lediglich von einer Stadt in die nächste ziehen: von Wien nach Zürich.
Nun muss man vorausschicken, dass einem Umzug von Österreich in die Schweiz nichts Exotisches innewohnt. Es ist der Transfer von einem Alpennest ins nächste, von dem man ahnt, dass es noch enger, noch homogener und noch konservativer sein wird.
Ein Upgrade ist höchstens finanziell zu erwarten. Seelisch, emotional oder intellektuell ist Holzklasse angesagt. Wie zu Hause.
Trotzdem, jeder Migrant reist mit einem Set an Erwartungen, und selbst die größte Pessimistin hat in ihrem Kopf eine kleine Schublade mit der Aufschrift: Hoffnung, positiv überrascht zu werden. Denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Bis sie nach Zürich kommt.
Da stirbt sie freiwillig.
Zürich ist ein surrealer Ort. So surreal, dass man sich nicht einmal sicher ist, überhaupt da gewesen zu sein.
Andere Städte umschmeicheln, fesseln oder treten dich. Zürich nicht.
Zürich tut nichts.
Zürich ist nur eines: perfekt.
Als wäre die Stadt ein Filmset, in dem alles genau arrangiert wurde. Von der Empörung bis zum Exzess – präsentiert in kleinen Portionen, die niemandem aufstoßen und fein aufeinander abgestimmt sind. Inmitten einer geruchlosen funktionstüchtigen Infrastruktur, wo sich nur der hochnebelgraue Himmel nicht an das Skript zu halten scheint.
Gelegentlich schaut man in diesen Himmel und wartet wie Jim Carrey in der Truman Show darauf, dass sich früher oder später in dieser ach so perfekten Welt von Bankern, Hipstern und Nutten ein Scheinwerfer löst und einem bestätigt, was man insgeheim schon immer vermutet hat: Das hier ist eine Attrappe. Blutleer und ohne Charakter. Nicht wert, geliebt, gehasst oder auch nur verspottet zu werden.
Dabei hätte Zürich so viel Potenzial. Ein so reicher Ort, der so viele Millionäre und Milliardäre beherbergt, kann es sich doch leisten, bei uns Fremden ein bisschen Neid heraufzubeschwören. Wo ist der Protz? Die pervers raumeinnehmende Architektur? Die absurden Experimente, die nur der absolute Luxus möglich macht? Die Luftschlösser, die hier Wirklichkeit werden? Ein bisschen barockes Lebensgefühl? Aber nein! Hier muss das Auge streng Diät halten. Bloß nicht der Natur Konkurrenz machen. Ein Berg könnte sich in den Schlaf weinen, wenn ein Architekt es sich in den Kopf gesetzt hätte, in Zürich tatsächlich etwas Großes zu schaffen. Ausgerechnet der Schornstein des Triemli-Spitals bricht diese ästhetische Anorexie: Er gleicht einer gigantischen Meerjungfrauenflosse.
Hungern, ja, das können sie in Zürich. Auch ich beginne mich daran zu gewöhnen. Finde nichts mehr dabei an niedrigen Decken und unverschnörkelten Hauseingängen, und wie wahre Magersüchtige halte ich das krankhaft Abgespeckte für normal. Nur gelegentlich falle ich in alte Muster zurück. Im Volkshaus etwa. Hier stille ich meine Sehnsucht nach der authentisch abgewetzten Ledergarnitur. Und hier lohnt es sich sogar, sich wieder einmal nach der Decke zu strecken; hoch genug wäre sie zur Abwechslung. Hin und wieder kann ich mich sogar ein bisschen sattsehen, etwa wenn ich mittags im Phuket Thai Food in der Schöneggstraße zu meinem Panang Curry monarchistisches Staatsfernsehen schaue und den lebensbejahenden Kitsch bewundere, den die strenge Hausherrin liebevoll an der Kasse arrangiert hat.
Modisch habe ich, wie alle Fremden in der Stadt, meine Garderobe auf die allgemeine Uniform umgestellt: den monochromen Gore-Tex-Chic. Nur hie und da laufe ich Gefahr, flamboyante Rückfälle zu erleiden. Zum Beispiel wenn ich im Caritas-Shop über Chanel-Taschen und Diane-von-Fürstenberg-Kleider stolpere. Auch macht mein Herz einen Sprung, wenn ich Frauen am Bürkliplatz-Flohmarkt dabei beobachte, wie sie mit dem Gedanken spielen, die asymmetrisch geschnittene Schleifchenbluse zu probieren, und sich dann doch für das gestärkte weiße Hemd entscheiden.
Es herrscht antiseptische Dankbarkeit
Quelle : Zeit-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Wien — Vienna – view from the north tower of the St. Stephen’s cathedral…