Ein Kampf ums Überleben
Erstellt von Redaktion am Samstag 24. August 2019
Porträt einer geflüchteten Jesidin
Aus Tübingen von Kennith Rosario
Wie Badeeah Hassan Ahmed im Irak vom IS entführt, in Syrien als Sklavin gehalten wurde und nach Deutschland floh: Davon erzählt ihr Buch.
Bevor Badeeah Hassan Ahmed als Geisel verschleppt wurde, glaubte sie noch, dass die Amerikaner zu Hilfe kommen würden, sollte der IS ihr jesidisches Dorf Kocho im Nordwesten des Irak angreifen. Im August 2014 wurde sie gemeinsam mit sechs Frauen und vier Kindern in einen Transporter gepackt und ins mehr als 500 Kilometer entfernte syrische Aleppo gefahren. Dort stellte sich ihr ein Mann als Übersetzer vor für „al-Amriki“ – den Amerikaner. Doch er war nicht da, um sie zu retten. Der in den USA geborene IS-General kaufte sie stattdessen als Sklavin.
Nach ihrer Flucht aus Syrien wurde Badeeah von der Internationalen Organisation für Migration in die USA geflogen, um über den Genozid an den Jesiden zu sprechen. Dort wurde ihr klar, dass ihre Geschichte nicht nur wichtig ist, um die Situation der jesidischen Frauen und Kinder zu verstehen, sondern auch, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass viele IS-Kämpfer Bürger westlicher Staaten, inklusive der USA, waren. „Ich wollte, dass die amerikanische Gesellschaft versteht, dass nicht immer nur die Anderen die Täter sind“, sagt die 24-Jährige an einem Sommerabend in Tübingen.
In malerischer Nachbarschaft lebt Badeeah mit ihrem Ehemann, dem jüngsten Bruder und der ältesten Schwester in einer kleinen Wohnung. Sonnenlicht flutet das sparsam möblierte Wohnzimmer, als Badeeah sich, ganz in Schwarz gekleidet, auf dem Teppich zum Gespräch setzt. Für die kommende Stunde sitzt ihr 23-jähriger Mann auf einem Stuhl in einer Ecke mit sichtbaren Stolz in seinem Blick. „Er hat den Irak verlassen und ist für mich hierher gekommen“, erklärt sie, während beide kichern.
Ihre Erfahrungen verarbeitete sie beim Schreiben
Die beiden haben in Deutschland geheiratet, nachdem ihrer Sandkastenliebe Ahmed, sechs Monate nach ihr 2015 endlich die Flucht aus dem Irak gelungen war. Ihr erstes Kind ist auf dem Weg. „Es ist ein Mädchen und wir nennen sie Mileva, wie Albert Einsteins Frau“, sagt Badeeah grinsend. Wenn die Tochter geboren ist, wird Badeeah ihr Geschichten von Kocho vor dem IS-Angriff erzählen und von ihrem Leben in Tübingen. Die traumatische Erfahrung ihrer Geiselnahme entschied sie, in einem Buch aufzuarbeiten: „A Cave in the Clouds: A Young Woman’s Escape from ISIS“, das Buch ist bisher noch nicht in deutscher Sprache erhältlich.
Geschrieben zusammen mit Susan Elizabeth McClelland, hatte das Buch einen kathartischen Effekt für Badeeah. Sie war erst 19 Jahre alt, als der IS in Kocho einmarschierte und sie zum Opfer des Menschenhandels machte. Als die Wochen zu Monaten wurden, war ihr zweijähriger Neffe Eivan der einzige Halt. Sie gab ihn als ihren Sohn aus, um ihren Wert als Sklavin niedriger zu halten. Nach mehreren misslungenen Fluchtversuchen aus dem Haus al-Amrikis wurde ihr der Junge weggenommen, um verkauft zu werden. Da sie nichts mehr zu verlieren hatte, habe sie al-Amriki in die Augen gesehen und ihm vorgeworfen, dass sein Handeln den islamischen Lehren widerspräche. „Unter meinem Blick schien er in sich zusammenzusinken, und ich sah ihn als verlorenen kleinen Jungen“, schreibt Badeeah. Das erste Mal hatte sie Kontrolle über ihn.
Dieser rebellische Akt zahlte sich aus und Eivan kam wieder zu ihr. Einige Tage später brach sie erfolgreich aus dem Haus aus, gemeinsam mit Eivan und einer weiteren jesidischen Gefangenen. In der Hoffnung, so auszusehen wie muslimische Ehefrauen auf einer Shoppingtour, suchten sie Hilfe bei einem Einheimischen auf der Straße und trafen schließlich den Schleuser Nezar. Der half ihnen, in den Irak zu entkommen. Badeeah war in ständiger Angst, dass al-Amriki sie aufspüren würde. Was sie vorantrieb, waren ihre Kindheitserinnerungen und eine tiefe Verwurzelung in ihrer Religion, die vom IS so strategisch angegriffen worden war.
Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Minderheit im Nahen Osten, deren größter Teil im Norden des Irak lebt. Ihre monotheistische Religion integriert Lehren und Glauben verschiedenster Religionen, wie das gnostische Christentum, das Judentum, den islamischen Sufismus und den Zoroastrismus. Wegen ihres sehr eigenwilligen Glaubensgerüsts sind Jesiden schon oft als „Teufelsanbeter“ bezeichnet worden. Ab 2014 griff der IS sie gezielt an und übte mit Sklaverei und Menschenhandel systematisch sexuelle Gewalt gegen jesidische Frauen aus. Badeeah gehört zu den wenigen Jesidinnen, die öffentlich über ihre Erlebnisse sprechen.
Ihr Buch soll Frauen Mut machen
Mit ihrem Buch möchte sie nicht nur jesidische, sondern alle Frauen stärken, die von Kriegen und bewaffneten Konflikten betroffen sind. „Ich wollte zeigen, dass wir überleben und kämpfen können“, sagt Badeeah. Ihr Leben in Deutschland hat keine Ähnlichkeit mit dem im Irak. In Tübingen lebt sie etwas außerhalb in einem Sozialbau. Sie hat Deutsch gelernt und plant, einen Pflegeberuf zu erlernen. „Im Irak war es mir nicht erlaubt, Medizin zu studieren, also habe ich gefragt, was ich hier tun kann“, sagt sie.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Defend International provided humanitarian aid to Yazidi refugees in Iraqi Kurdistan in December 2014…
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Unten — Yezidi Temple on Sinjar, 2004.…