Gefährlicher-Gemütszustand
Erstellt von Redaktion am Freitag 27. März 2020
Schützt euch vor der Corona-Wut!
Ein ehemaliges Quarantäne-Haus auf Malta. Es wird schwer werden sich vor der Wot unfähiger Politiker und Experten in Friedenszeiten zu schützen!
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Die aktuelle Krise kann wütend machen. Und die Wut dürfte sich verstärken, wenn Millionen Menschen wochenlang in ihren Wohnungen bleiben müssen. Das Gute: Anders als gegen das Virus gibt es hierfür bereits ein Gegenmittel.
Bei der teilnehmenden Beobachtung des Weltgeschehens drängen sich schon jetzt drei Erkenntnisse auf. Die wichtigste: Wir sind nicht mittendrin, wir sind noch am Beginn der Corona-Ära, in jeder Hinsicht. Die langfristig wirksamste: Unsere Systeme sind viel fragiler als gedacht und erhofft. Von der dringendsten Erkenntnis dieser Zeit aber handelt diese Aufforderung:
Vor der eigenen und vor der anderer Leute. Diese Corona-Rage ist wie die Krankheit eine Gefahr. Und wie bei der Pandemie können auch hier alle etwas dagegen tun, wenigstens ein bisschen. Von Tag zu Tag wird deutlicher, dass wir zivilisatorisches Neuland betreten – unter Zwang und Druck, eine Garantie für Fehler und Missverständnisse aller Art. Es handelt sich um die erste globale Krise im Zeitalter der Vernetzung, sie trifft auf viele unterschiedliche, aber zum Großteil digitale Gesellschaften. Covid-19 und die Kommunikation darüber verbreiten sich gleichermaßen viral. Die Verhaltensweisen der Menschen werden von dieser Kommunikation beeinflusst, und weil menschliches Verhalten für die Ansteckung entscheidend ist, hängen Virus und Kommunikation enger zusammen als je zuvor. Zugleich setzt jede Lösung dieser Krise vernetztes Denken voraus (wie es Epidemiologinnen schon lange vor Erfindung des Internets praktizierten).
In der Zwischenzeit aber – bis Lösungen für die breite Masse nicht nur erkennbar, sondern auch spürbar werden – sind die Gefühle der Stunde Unsicherheit und Hilflosigkeit. Die verhängnisvolle Wirkung der grassierenden Fake News über Messenger-Dienste wie WhatsApp basiert darauf. Wir haben entweder verlernt oder nie wirklich gelernt, globale Hilflosigkeit konstruktiv zu bewältigen. Die radikal effizienzorientierten westlichen Gesellschaften haben, maßgeblich getrieben von Kapitalismus und Digitalisierung, an der Abschaffung des Gefühls der Hilflosigkeit gearbeitet. Das Motto der Zehnerjahre war: „There’s an app for that“, dafür gibt es eine App, für alles gibt es eine App. Und jetzt stehen wir da mit unseren Smartphones, kennen das Wetter von übermorgen in Kapstadt, können KI-gesteuert 900 verschiedene Apfelkuchenfertigbackmischungen bestellen oder im Liegen einhändig ein witziges Effektvideo weltweit verbreiten. Aber fühlen uns bitter hilflos im Angesicht der Coronakrise.
Leider kann Hilflosigkeit leicht zu Aggression und Wut führen, das ist psychologisch einigermaßen gut erforscht. Der wissenschaftliche Fachausdruck für Menschen, die besonders schlecht mit Hilflosigkeit umgehen können und deshalb leichter wütend werden, lautet übrigens: Männer. Nun ist Wut kein prinzipiell abzulehnendes Gefühl, im Gegenteil. Aggressionen insgesamt sind Teil einer evolutionären wie auch gesellschaftlichen Überlebensstrategie, konkrete Wut etwa auf unhaltbare Zumutungen oder strukturelle Ungerechtigkeiten hilft bei der Weltverbesserung.
Aber Wut sucht sich Schuldige. Die Emotionsfigur des Sündenbocks ist uralt, und sie stammt daher, dass man für den Abbau seiner Wut einen Adressaten braucht. An einer Pandemie trägt jedoch niemand unmittelbar Schuld (bei der Verantwortung für falsche Gegenstrategien mag es dereinst anders sein). Ein Virus kann man nicht besonders gut beschimpfen. Schlimmer noch, man kann das Coronavirus zwar beschimpfen, aber es reagiert nicht darauf. Dadurch geht ein wesentliches Erleichterungsmuster der Wut verloren: Selbstwirksamkeit. Wut will Wirkung, und zwar um fast jeden Preis.
Also probiert man es mit einer Übersprungswut und sucht sich für seine Wut Ziele, die keine oder nur vernachlässigbar geringe Verantwortung tragen – aber zumindest theoretisch reagieren könnten. Jugendliche im Park. Leute, die sich mit der Hand ins Gesicht fassen. Diese Frau, die beim Bäcker kurz hustet. Eine Person, die drei Packungen Klopapier kauft. Oder in der rassistischen Variante eine asiatischstämmig aussehende Person. Es gibt gravierende gesellschaftliche Unterschiede zwischen diesen verschiedenen Wutformen, aber es ist zu befürchten, dass sie sich allesamt verstärken, wenn Millionen Menschen für Wochen, Monate weitgehend in ihren Wohnungen bleiben müssen.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — View from St. Mary’s Tower to the quarantine station on Comino in Għajnsielem, Malta
Author | Frank Vincentz / Source – Own work |
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Unten — Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.…
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- File:Wp10 20110115 IMG 9974.jpg
- Erstellt: 15. Januar 2011
Erstellt am Freitag 27. März 2020 um 11:41 und abgelegt unter Gesundheitspolitik, Kriegspolitik, P.CDU / CSU, Regierung. Kommentare zu diesen Eintrag im RSS 2.0 Feed. Sie können zum Ende springen und ein Kommentar hinterlassen. Pingen ist im Augenblick nicht erlaubt.