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Drogenersatztherapie

Erstellt von Redaktion am Sonntag 1. April 2018

15 Milliliter, jeden Tag

File:Pfauen-Apotheke in Dresden-Pieschen.JPG

Aus Bochum Waltraud Schwab

Seit 29 Jahren nimmt Roland Beinhard Methadon. Es stillt seinen Hunger nach Heroin. Kaum einer macht das länger als er. Vor 30 Jahren begann die Drogenersatztherapie in Deutschland.

Schore, Aitsch, etwas Braunes oder Mat? „Was soll’s?“ Roland Beinhard benutzt die Wörter nicht mehr, „ich sag, was es ist: Heroin“, sagt er und es fallen ihm die Augen zu beim Sprechen. Eine Stunde zuvor hat er seine Dosis Methadon geschluckt, 15 Milliliter in Apfelsaft, „ein ganzer Haufen“. Langsam setzt die Wirkung ein. Viele Drogenabhängige kriegen weniger als er, Metin zehn, Alex drei, Doris weiß nicht genau. Bibi kriegt mehr als Beinhard, „wegen HIV“, sagt sie. Der Computer im Methadon-Ausgaberaum hat die Menge am Automaten exakt abgefüllt, Beinhard hat’s getrunken, hat den bitteren Cocktail geschluckt, nicht wegen der Erlösung, sondern wegen der Kontinuität, und danach das Glas leer wieder abgestellt. „Schmeckt ekelhaft“, sagt er.

Beinhard bekommt das Zeug in der Krisenhilfe in Bochum, Viktoriastraße 67. Ein Bermudadreieck sei der Kiez, soll heißen: Unterhaltungsviertel, Rotlicht, Ort, wo man untergeht. Dazwischen Gotteshäuser. Neben der Methadon-Ambulanz hat die Krisenhilfe in der Viktoriastraße auch ein Café, wo sich Süchtige treffen, einen Druckraum, in dem Abhängige in sicherer Umgebung Drogen inhalieren oder sich spritzen können und die medizinische Notfallversorgung.

„Ich spritze Glück, Seelenfrieden, Seelenruhe“ – Roland Beinhard

Die Methadonausgabe, zu der Beinhard täglich pilgert, ist im ersten Stock. In der Küche neben dem Ausgaberaum steht Heinrich Elsner, „der Doc“. Alle nennen den ärztlichen Leiter so. Theologe, Arzt, Psychiater, Psychotherapeut ist er. Seelsorger, Seelenklempner. Er kocht Kaffee. Auf den Sofas in der Ecke sitzen ein halbes Dutzend Männer, manche langhaarig, manche mit Basecaps, fast alle tätowiert. Hi Soundso, hi Soundso, hi Soundso. Die, die sich hier treffen, sprechen die Namen bei Begrüßungen nicht aus; was ihnen über die Lippen kommt, gleicht einem freundlichen Gemurmel und das, worum ihre Gespräche kreisen, sind Wiederholungen: Drogen, Fußball, Geld, Frauen, „wo man was bekommt, was man den ganzen Tag macht, wo man was verkaufen kann“, Beinhards Worte.

Der Sound in der Küche irritiert. Da ist dieses Abgehackte bei den einen, sie reden, als wären sie schon beim Ausatmen vor dem ersten Wort fertig mit der Welt, und bei anderen hat die Sprache etwas Schleichendes, als schleppten sich die Gedanken hinter dem Gesagten her.

Der Doc steht dabei, drahtig, aufmerksam, reicht die Tassen rüber, „wie geht’s, alles klar?“ Sein Blick scannt die Haut, die Haltung, die Bewegungen der Substituierten, sein Ohr lauscht auf das Tempo der Worte. „So bin ich nah dran an den Leuten“, sagt er.

Roland Beinhard, der bleich ist, die Haut im Gesicht wässrig, die Bartstoppeln grau, geht es so lala, noch klagt er nicht, noch guckt er, auf was er sich einlässt. Von denen, die sich hier täglich ihr Methadon abholen, ist er am längsten dabei. 29 Jahre. Länger geht kaum. Denn die ersten Modellprojekte für Drogenersatztherapie waren nur wenige Monate zuvor, im März 1988, in Bochum, Essen und Düsseldorf eingerichtet worden. Es dauerte ein paar Wochen, bis Kunden, Klienten, Patienten – ja was nun? – bedient, behandelt, versorgt werden konnten. „Ich war der Erste“, sagt Beinhard. Er, dieser Methadon-Veteran, will zum Jubiläum der Methadonsubstitution von sich erzählen, von seinem ferngesteuerten Leben, in dem es vor allem eines gibt, nämlich einen Mangel, der ihn aushöhlt und leer zurücklässt, sehr leer.

Das hätte er noch nie gemacht, über sich gesprochen „inna Zeitung“, jetzt sei der Moment, „krieg ich Geld dafür?“ Kriegt er nicht, aber Geld ist für Beinhard ein wichtiges Thema: Er versteht nicht, dass er nur 200 Euro Hartz IV bekommt, der Rest werde, meint er, wegen „angeblicher“ Schulden abgezogen, und spätestens ab dem Fünfzehnten eines Monats muss er „stehlen oder was?“. Es klingt, als wären die Mitarbeiter von der Krisenhilfe schuld an seiner Misere, denn die täten nichts dafür, dass er den ganzen Hartz-IV-Satz kriegt, wie sie ihn auch nicht ins Take-home-Programm nehmen würden. Er bekommt also kein Methadonrezept für das Wochenende mit. Er muss jeden Tag in die Viktoriastraße kommen, samstags und sonntags auch.

„Ich hab mir so ’ne Mühe gegeben, aber ich komme nicht auf Take-home. Ich bin sauer. Da sind welche, die Faxen machen und Take-home kriegen und ich nicht.“ Was Faxen sind? „Na, dass man das Methadon vertickt.“ Welchen Stoff die dann stattdessen nehmen? „Heroin oder die holen sich was aus der Apotheke“, sagt Beinhard. Und der Doc sagt später, dass es da viele Möglichkeiten gebe und dass „die Leute schon wissen, was hilft.“

Dass die Leute wissen, was hilft, sagt er. Nicht: was flasht, was kickt, was turnt, was knallt. Solche Nuancen sind wichtig. Keine Methadon-Substitution ohne soziale, medizinische und psychische Betreuung, „täglich ein psychotherapeutischer Kurzkontakt“, fordert er. So ähnlich steht es sogar im Gesetz. Nur finanziert werde von den Krankenkassen vieles nicht.

In Deutschland gibt es nach Schätzungen der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren 100.000 bis 150.000 Heroinabhängige. Etwa 75.000 werden mit Methadon oder anderen Opioidersatzstoffen behandelt. Das klingt viel, die Zahl derer jedoch, die abhängig sind von süchtig machenden Schlaf-, Schmerz- oder Beruhigungstabletten, ist um ein Vielfaches höher – bis zu drei Millionen könnten es sein, steht im Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung von 2016.

Der Beschaffungsdruck der Tablettensüchtigen ist anders als bei Heroinabhängigen, die einen verbotenen Stoff brauchen und sich so automatisch im kriminellen Milieu bewegen. Roland Beinhard saß viereinhalb Jahre im Knast. „Ständig klauen“, sagt er, „Einbrüche, Diebstahl, früher war das leichter als heute. Von den Eltern hab ich ja kein Geld bekommen.“ Wer dagegen von Tabletten abhängig ist, muss Geschichten erfinden, muss Ärzte dazu kriegen, das Medikament zu verschreiben.

Seit Oktober 2017, als die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung – herrje, was für ein Wort – aktualisiert wurde, darf Methadon auch an Leute, die von Schmerzmitteln abhängig sind, gegeben werden. Ein nicht unerheblicher Teil sind ältere Frauen. Sehen würde man diese Sucht in der Öffentlichkeit nicht, meint der Doc. Er findet die Novellierung gut, wichtig, überfällig. „Opioide sind sehr gute Medikamente“, sagt er. Auch Heroin, das, anders als Alkohol, wenn es rein ist, die Organe nicht schädigt und bis 1958 legal erhältlich war. Wenn nur die Abhängigkeit nicht wäre.

Abhängigkeit, dieses Monster, sitzt Roland Beinhard seit fast 40 Jahren auf dem Schoß. Mit 17 hat er mit Heroin angefangen. Sein älterer Bruder sei in Indien gewesen, „hat Heroin geschmuggelt und versteckt“. Beinhard sah, wo er es hatte und wie man es macht. „So muss es gewesen sein“, sagt er. Dann hat er es auch genommen. Und? „War gut gewesen.“

Er sitzt jetzt in einem abgewetzten Sessel im Kopierraum der Methadonambulanz, wo gewöhnlich die Eins-zu-eins-Gespräche stattfinden, und verschmilzt mehr und mehr mit dem Zimmer, in dem es nichts Farbiges gibt. Und ja, er erwähnt auch, dass es einen Stiefvater gab. Schläge. Und ja, er hat im Knast einen Beruf gelernt „Mechatroniker“. Und ja, er hat Hepatitis C, aber kein HIV. „Auf den Strich? Im Leben nicht.“

Beinhard, der 1962 geborene Wattenscheider, sagt, er sei 53. Er wiederholt das ein paar Mal, als sei er vor ein paar Jahren stehen geblieben. Denn Zeit, genau genommen, ist eine Belastung. Er hat zu viel davon. „Morgens steh ich auf, trink Kaffee, zieh mich an, trink noch ’n Kaffee, Zigaretten keine, das bringt mir nichts mehr.“ Dann geht er los in die Viktoriastraße. Bis halb 11 Uhr wird Methadon ausgegeben. „Und nachmittags, wenn man nach Hause kommt, Internet anmacht, ist die Außenwelt völlig weg.“ Gehe er doch mal in den Park, fange er an zu grübeln, „dass ich nichts auf die Reihe gekriegt habe. Da bleib ich lieber zu Hause.“

„Heroin hat auch eine seelische Wirkung“   –   Heinrich Elsner, der Doc

Quelle    :      TAZ        >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen  :

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Pfauen-Apotheke (vor 1945 Moltke-Apotheke) in Dresden-Pieschen, Leipziger Straße 118, im März 2015.
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Author Saalebae
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