Doku „Guatemala:
Erstellt von Redaktion am Freitag 29. November 2019
Gegen das Vergessen“ – Von ARTE vergessen?
Quelle : Scharf — Links
Von Daniela Lobmueh und Hannes Sies
ARTE zeigte jüngst eine gute Doku, die von Opfern der Diktatur in Guatemala erstellt, die Rolle von USA, CIA und des US-Konzerns United Fruit (heute Chiquita) für die blutige Diktatur anprangert. Doch ARTE ließ die Doku nach mitternächtlicher Ausstrahlung schnell wieder verschwinden -nur ein kritisches Feigenblatt?
Der meist schöngeistige Kulturkanal ARTE steht mit seiner Nachrichtenredaktion treu zur Lateinamerikapolitik der USA. Besonders Venezuela, aber aktuell Bolivien wird mit Berichten und Dokus bedacht, die der US-Regierung sicher viel Freude machen. „Machthaber“ wie Maduro und Morales werden auf ARTE mit beißender Kritik überschüttet; diese Länder betreffende US-Sanktionen und sonstige Interventionen entweder verschwiegen oder recht wohlwollend dargestellt, Sanktionsfolgen den „Machthabern“ in die Schuhe geschoben. Doch am Dienstag, den 12.11.2019 nachts von 23:55-01:00 Uhr sendete ARTE auch einmal eine US-kritische Doku. Diese ist jetzt jedoch auf der ARTE-Website verschwunden:
„Guatemala: Gegen das Vergessen“ ist ein 63 Minuten langer Dokumentarfilm von Claudio Zulian (Frankreich 2015, Originaltitel: Guatemala, les disparus de la dictature). Wie ARTE selbst schreibt, ist „seine Entstehungsgeschichte ist eng verzahnt mit der Gewalt, von der er erzählt: Während des guatemaltekischen Bürgerkriegs von 1960 bis 1996 verschwanden Tausende Menschen für immer, wurden verschleppt oder getötet.“
Ist eine wirklich kritische Doku zum CIA-gesteuerten Putsch von 1954 kein gutes Werbeumfeld für den aktuellen „Regime Change“ in Bolivien? In der Ankündigung und auch in der folgenden Filmbeschreibung verschweigt ARTE insbesondere, wer diese Tausende Menschen verschleppt oder getötet hat und warum: Es war eine Putschregierung, die 1954 von der CIA in einem der blutigsten Fälle von „Regime Change“ installiert wurde (und das sind keine „Verschwörungstheorien“, sondern historisch unumstrittene, leicht nachprüfbare Fakten).
Der von der CIA gestürzte Präsident war der demokratisch gewählte Sozialist Arbenz, der es gewagt hatte, die Bananen-Plantagen des mächtigen United Fruit-Konzerns im Bananen-Land Guatemala zu verstaatlichen. United Fruit stand dem damals amtierenden US-Außenminister John Foster Dulles ebenso nah wie seinem Bruder Alan Dulles, derzeit amtierender CIA-Chef. Kein von der CIA inszenierter Putsch zeigt die Verstrickung des US-Geheimdienstes mit den Interessen der US-Großindustrie und rechtsextremen Folterregimen so deutlich wie jener von Guatemala 1954.
Auf Nachfrage von Journalisten gab Arte an, dass die Rechte für den Film abgelaufen wären. Das erklärt das Abschalten der Abspielfunktion für die Doku. Doch wohl kaum das Verschwinden auch der Ankündigung und Kurzbeschreibung. Die vom Sender übermittelte Website https://www.arte.tv/sites/presse/programm/2019-11-12/058863-000-A/
gibt zwar noch etwas mehr Informationen, verschweigt jedoch ebenso die Drahtzieherrolle der USA und CIA sowie den Nutznießer: Den damals mit US-Regierung und CIA personell verknüpften United Fruit Konzern (heute Chiquita). Außerdem steht damit die Frage im Raum: Warum geht ARTE ausgerechnet jetzt für ausgerechnet diese wichtige Doku das Geld aus? Der Fall Guatemala ist doch offensichtlich sehr erhellend für die Einordnung und Bewertung des aktuellen Falles Bolivien.
ARTE erklärt in seiner (durch die ARTE-Suchfunktion nicht mehr auffindbaren) Filmbeschreibung, „Guatemala: Gegen das Vergessen“ sei kein gewöhnlicher Dokumentarfilm. Erst 2012 sei es Angehörigen der Opfer des Bürgerkriegs (1960-1996) gelungen, den Staat Guatemala vor dem interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof zu verklagen; es sollte, so ARTE, das erste Mal in der Geschichte sein, dass ein Staat für solche Verbrechen angeklagt wurde; die Kläger bestanden auf Maßnahmen der Wiedergutmachung, unter anderem auf der Produktion eines Dokumentarfilms auf Kosten des Staates, doch der Staat Guatemala weigerte sich bis heute, das Urteil zu akzeptieren. Schließlich, so ARTE, hätten die Familien die Sache selbst in die Hand genommen: „Dies ist ihr Film.“
„Gemeinsam mit Regisseur Claudio Zulian und einer Gruppe politisch aktiver Kulturschaffenden wurde ausführlich diskutiert, wie die Gräuel des jahrzehntelangen Bürgerkriegs dargestellt werden sollten, von denen es kaum mehr Spuren gibt. Soll diese Gewalt für die zukünftigen Generationen filmisch festgehalten werden, und wenn ja, in welcher Form und bis zu welchem Grad? Diese Fragen wurden in den Dokumentarfilm integriert und hinterfragen damit auch die normalerweise verwendete Sprache des Genres. „Guatemala: Gegen das Vergessen“ ist ein eindrucksvoller und schmerzlicher Dokumentarfilm geworden, der die Grenzen auslotet zwischen Geschichtsaufarbeitung, Erinnerung und Gerechtigkeit.“ ARTE
Doku benennt Verantwortliche
Anders als ARTE verschweigt die Doku nicht, dass die USA und ihr Geheimdienst CIA hinter Putsch und Gräueltaten stecken. Da es kein Propagandafilm ist, sondern zuerst die Leiden der Opfer und ihrer Hinterbliebenen dokumentieren und lindern soll, geschieht dies dezent, aber deutlich. Wie man weiß, bleiben dem Zuschauer besonders Anfang und Ende einer Doku im Gedächtnis. Die Verantwortung der CIA bzw. USA wird hier jedoch erst ab Minute 20:30 und auch nur kurz bis Minute 24:30 offener Kritik unterzogen. Gezeigt wird die US-Intervention 1954 gegen den Sozialisten Arbenz, der United Fruit-Großplantagen gegen eine faire Entschädigungszahlung entprivatisierte (der US-Konzern bekam von Arbenz genau die recht bescheidene Summe, für die er zuvor Steuern zahlen wollte, wie man nicht in der Doku, aber beim Historiker Daniele Ganser erfahren kann); John Foster Dulles, US-Außenminister und United Fruit-Aktionär, und Alan Dulles, CIA-Chef und United Fruit-Vorstand, bezeugen die personelle Verbindung von USA und CIA zum Bananen-Multi United Fruit (der sich, vermutlich auch aufgrund der Enthüllung des CIA-Skandals, in Chiquita umbenannte).
Kein Unterschied zwischen den Nieten von Gestern und Heute
Die Verantwortung für 245.000 Ermordete, davon 45.000 Verschwundene, werden somit von Claudio Zulian in seiner Doku Guatemala, les disparus de la dictature nicht -wie von ARTE und der ARD- generell „dem Bürgerkrieg“ zugeschrieben, sondern konkret den USA, der CIA und United Fruit.
Einer Online-Suche nach wurde die 2015 gedrehte Doku von ARTE bislang nur einmal, nämlich am 19.09.2017 ausgestrahlt, ebenfalls zu mitternächtlicher Stunde um 23:00 – 00:05 Uhr, dokumentiert ist dies in den Tiefen der Website der ARD:
https://programm.ard.de/TV/arte/guatemala–gegen-das-vergessen/eid_28724292364826
Guatemala: Gegen das Vergessen Dokumentarfilm Frankreich 2015 | arte ; Guatemala litt von 1960 bis 1996 unter der schlimmsten Rezession Lateinamerikas. Tausende Menschen wurden getötet oder verschwanden für immer. (ARD-Website-Suche)
Rezession? Von der in Geschichtsbüchern dokumentierten US-Intervention, vom CIA-gesteuerten Putsch will auch die ARD nichts wissen. Selbst auf Youtube ist die deutsche Version „Guatemala: Gegen das Vergessen“ überhaupt nicht und das frz. Original nur schwer auffindbar, nämlich nicht unter seinem Titel „ Guatemala, les disparus de la dictature“, sondern unter „GUATEMALA – LES PLAIES OUVERTES DE LA DICTATURE“, was seine Löschung möglicherweise bislang verhindert hat.
Politisch motivierte Zensur kritischer Berichte und Dokumentationen werden von ARD, ARTE und anderen deutschen Sendern gerne (tatsächlich oder angeblich) totalitären und autoritären Regimen zugeschrieben. Dort werden sie akribisch aufgespürt, kritisiert und wortgewaltig angeprangert. Bei ARTE „verschwinden“ kritische Filme dagegen offenbar durch späte bzw. seltene Sendetermine und nicht weiter bezahlbare Urheberrechte. Ihr Inhalt wird in Filmbeschreibung tendenziös dargestellt, zum Nutzen von USA, CIA und US-Großindustrie. Das etwas anderes als Zensur, sicherlich. Es ist Tendenz in Form politischer Schlagseite -aber die ist eigentlich von deutschen Staatsverträgen den öffentlich-rechtlichen Sendern untersagt. Unsere gebührenfinanzierten Sendeanstalten sollten ausgewogen berichten, was leider nicht immer zu gelingen scheint. (Daniela Lobmueh und Hannes Sies)
Siehe auch:
Stromausfall in Venezuela: Gibt es einen Wirtschaftskrieg der USA?
Kuba: Die unerzählte Geschichte
Rettet Venezuela! Zum Hintergrund
https://www.demokratisch-links.de/rettet-venezuela-hintergrund
Kein neuer Galeano: Stefan Peters’ Venezuela-Buch
https://www.nachdenkseiten.de/?p=50944