Die Wahl als Farce
Erstellt von Redaktion am Donnerstag 5. November 2020
Donald Trump und der Aufstieg der Autokraten
von Claus Leggewie
Die wiederholte Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, das Wahlergebnis vom 3. November 2020 nur anzuerkennen, wenn es seine Wiederwahl bestätigt, ist der bis heute weitreichendste Verstoß in einer klassischen Demokratie des Westens gegen die Idee der allgemeinen, gleichen, freien und fairen Wahl – und damit auf die fundamentale Legitimationsbeziehung zwischen Regierenden und Regierten. Trump verfolgt offenbar den Plan, über die (Brief-)Wahl die gesamte Wahl zu delegitimieren und sich mit Hilfe einer Entscheidung des Obersten Verfassungsgerichts im Amt bestätigen zu lassen, ungeachtet einer Niederlage an den Wahlurnen. Das aber wäre die politische Kernschmelze der US-Demokratie.
Den Vereinigten Staaten steht damit eine ausgesprochen kritische Übergangsperiode bis zur Amtseinführung des nächsten Präsidenten bevor, an deren Ende die Restitution Donald Trumps stehen könnte – trotz einer fehlenden Mehrheit, dieses Mal sogar, anders als noch 2016, auch im Wahlmännerkollegium. Trump könnte die Ergebnisse der Briefwahl, deren Einbeziehung sich über zwei Wochen hinziehen kann, als „Betrug“ qualifizieren – vor allem, wenn er in der Wahlnacht noch die Nase vorn hätte oder es nach einem knappen Rennen zwischen ihm und Joe Biden in den entscheidenden Swing States aussieht.
Die rasche Besetzung des Obersten Gerichtshofes durch seine ultrakonservative Kandidatin deutet darauf hin, dass Trump am Ende auf eine Gerichtsentscheidung hinarbeitet, die wie bei der Wahlauseinandersetzung zwischen George W. Bush und Al Gore im Jahr 2000, als die Ergebnisse in Florida vor Gericht verhandelt wurden, den Gewinner der Wahl zum Verlierer machen könnten. Und während das demokratische Lager noch befürchtet, dass Trumps Amtszeit nicht bereits Anfang 2021, sondern erst am 20. Januar 2025 endet, überlegt dieser bereits ganz offen bei Wahlkampfauftritten zum Beispiel in Nevada, ob er nicht sogar eine (in der Verfassung ausgeschlossene) dritte Amtszeit anstreben oder gleich eine Trump-Dynastie begründen soll, was er auf dem Nominierungsparteitag bereits inszenatorisch andeutete.
Die Nichtanerkennung des Wahlausgangs hätte allerdings weit über die USA hinausreichende Wirkungen. Demokratien zeichnen sich gerade dadurch aus, dass der Machtwechsel durch die unbeeinträchtigte Entscheidung der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler zustande kommt und friedlich abläuft. Die Nachhaltigkeit von Demokratisierungsprozessen wird nach global anerkannten Maßstäben daran gemessen, ob wenigstens zwei friedliche Machtübergaben ohne Manipulation des Zustandekommens und der Auszählung der Wahlergebnisse stattgefunden haben. Die unterlegene Minderheit und die parlamentarische Opposition müssen davon ausgehen können, bei der nächsten turnusmäßigen Wahl gewinnen und eine Regierung bilden zu können.
Ist dies, was sich in den USA gerade abzeichnet, nicht der Fall, wird die Legitimität von Demokratien insgesamt in Frage gestellt – zur Freude der Autokraten. Dann nämlich stellt sich explizit die Grundsatzfrage: Warum überhaupt noch wählen?
Wählen als Farce
In weiten Teilen der Welt stellt sich diese Frage schon lange. So etwa in Russland, wo die Fälschung und Manipulation von Wahlen der Normalzustand sind. Vor den jüngsten Kommunalwahlen legte das Putin-Regime jedoch eine seltsame Nervosität an den Tag, als nämlich der Oppositionelle Alexej Nawalny seine Strategie des „klugen Wählens“ inszenierte: Gewählt werden sollte der gegen die Putin-Partei „Einiges Russland“ jeweils aussichtsreichste Kandidat, um auf diese Weise zu demonstrieren, dass es überhaupt eine Wahl geben sollte.
Warum aber reagierte der Kreml so dünnhäutig, möglicherweise sogar bis zum politischen Mordversuch, wenn er doch jede Möglichkeit besitzt, Kandidaten und Kandidatinnen der Opposition von vornherein auszuschließen, unerfreuliche Wahlergebnisse zu fälschen und Regimekritiker zu „neutralisieren“? Man hat es hier offenbar mit einem Paradox zu tun: dass autokratische Regime, die Wahlergebnisse missachten, gleichwohl den urdemokratischen Wahlakt zulassen – weil sie es müssen. Selbst die KPdSU und die NSDAP hielten Scheinwahlen ab, um ihre terroristische Politik mit 99-Prozent-Ergebnissen absegnen zu lassen. Das heißt: Personales Charisma oder totalitäre Kontrolle verschaffen anscheinend nicht ausreichend Legitimität, der rational-legale Schein musste den Kontrakt mit dem Volk simulieren – und auf diese Weise die Gefahr eingehen, dass das Volk die nur zum Schein eingeführte Demokratie für bare Münze nimmt.
Den Fluch der vermeintlich guten Tat, (Schein-)Wahlen abzuhalten, haben Autokraten immer wieder kennengelernt: Die gefälschte Volkskammerwahl von 1989 war ein Nagel in den Sarg des SED-Regimes, die letzte (und wie üblich) manipulierte Präsidentschaftswahl in Algerien 2019, die Abd Al-aziz Bouteflika eine vierte Amtsperiode bescheren sollte, löste Dauerproteste im ganzen Land aus, die einzig die Pandemie erlahmen ließ. Und zuletzt mussten Lukaschenko in Belarus und Scheenbekow in Kirgistan erfahren, dass eine dreiste Wahlfälschung den Aufstand provoziert.
Quelle : Blätter >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — President Donald Trump poses for his official portrait at The White House, in Washington, D.C., on Friday, October 6, 2017. (Official White House Photo by Shealah Craighead)