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Erstellt von Redaktion am Sonntag 11. November 2018

Mehr Lametta ist auch keine Lösung mehr

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Von Klaus Raab

Damals, als die Welt noch in Ordnung war, als die Menschen noch richtige Lieder sangen, für Arbeitnehmerrechte demonstrierten, noch nicht immerzu auf ihre Handys glotzten und noch Tierfelle trugen, damals schrieb ein Mann namens Loriot ein Stück namens „Weihnachten bei Hoppenstedts“. Der Nachwuchs bekommt darin einen Atomkraftwerk-Bausatz geschenkt und der bekannteste Satz ist der des Großvaters, der über den Wandel der Zeiten klagt: „Früher war mehr Lametta!“

Es ist ein Sketch, der gerne als zeitlos beschrieben wird. Aber man muss nur mal ein Kind fragen, ob es die Pointen darin versteht, eines jener nachgeborenen Geschöpfe also, die wohl annehmen müssen, dass ein Fußballtrainer nur Joachim Löw heißen kann und Angela Merkel seit Anbeginn der Welt das Land regiert. Das Kind wird schauen wie ein Auto und dann fragen: „Ähm, excusez-moi, aber was ist dieses Lametta?“

Alles hat seine Zeit. Die des Lamettas liegt hinter uns. Nicht mehr lange, und die Kinder wissen auch nicht mehr, was ein Atomkraftwerk ist. Es gibt freilich Menschen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als dass nach der Ära Merkel jemand das Rad zurückdreht auf einen Urzustand, in dem wir alle einander die Läuse von den Köpfen knibbelten, was ungefähr in jener Zeit gewesen sein muss, in der Friedrich Merz das Feuer erfand.

Aus dem vulgärkonservativen Wunsch nach einer Rückkehr in eine frühere Zeit spricht der Traum von einer überlieferten Ordnung, die längst zu Staub zerbröselt ist. Sicherheit war gewährleistet, denn Amerika war der beste Partner. Der Strom kam aus der Steckdose. Europa war Friede, Freude, Freiheit und wir Männer konnten samstags nach dem Autowaschen im Keller unsere Modelleisenbahnen bauen und zum Mittagessen kurz hochkommen. Die Anzugherren in Bonn sorgten für die sichere Rente.

Aber dieser Zustand wird nicht zurückkommen. So wenig wie der Zustand zurückkommen wird, in dem es keine Ehe für alle gab, oder jener, in dem Männer zur Bundeswehr eingezogen wurden, um ein Jahr lang zu lernen, wie man betrunken Stiefel schnürt. Wer dahin zurückginge, wäre auch nicht konservativ, sondern antimodern, was immer noch ein Unterschied ist.

Zwei Drittel der Menschen in Europa sind nostalgisch

Nur, die Position, dass früher alles irgendwie besser war, ist keine Minderheitenposition. Laut einer nun veröffentlichten Erhebung der Bertelsmann-Stiftung ist eine Mehrheit der Europäerinnen und Europäer nostalgisch. Zwei Drittel von ihnen und 61 Prozent der Deutschen sind demnach der Ansicht, dass die Welt früher besser gewesen sei. Je älter die Befragten sind, desto eher glauben sie das der Umfrage zufolge. Und je eher sie dieser Auffassung sind, desto eher verorten sie selbst sich rechts der politischen Mitte.

Datei:Bundesarchiv Bild 183-H25217, Henry Philippe Petain und Adolf Hitler.jpg

Henry Philippe Petain und Adolf Hitler

Aber auch in anderen Kreisen, in denen man sich selbst für progressiv hält, ist im Angesicht des Wandels durchaus eine emotionale Zurückhaltung an der Grenze zur Angst zu bemerken. Fehlen die positiven Visionen? Oder fehlt das Vertrauen in positive Visionen? Großen Entwicklungen folgte jedenfalls schon oft eine Phase, die von Desillusionierung geprägt wurde. Das Internet etwa: irgendwie ziemlich im Eimer. Obama: Toll, nur kam danach eben Trump. Pop: einst ein politisches Versprechen – aber im Vergleich mit der Konsumwelt, in der sich YouTube-Stars tummeln, wäre selbst ein Revival der grundehrlichen Haarspray- und Levis-Botschafter der Achtziger und Neunziger rebellisch.

Quelle     :         TAZ         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen   :

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