DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Die Stadt, die Nein sagt

Erstellt von Redaktion am Sonntag 16. April 2017

Izmir vor dem Verfassungsreferendum

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/12/Izmir_Turkey.jpg

Autor : Jürgen Gottschlich

Izmir wird gegen Erdo­ğans Präsidialverfassung stimmen. Die Stadt hat schon immer nach Westen geschaut: auf Deniz, aufs Meer. Ein Rundgang.

Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass in Izmir etwas fehlt. Wer vom Flughafen mit dem Bus in die Innenstadt fährt, wer aus Istanbul oder Ankara, Bursa oder Adana anreist, sucht am Straßenrand vergeblich nach ihm: Der türkische Präsident ist in Izmir abwesend.

Es ist, als gäbe es ihn gar nicht, als sei er ein schlechter Traum aus dem Fernsehen. In Istanbul hängt Erdoğans Gesicht an jeder Ecke, in Izmir muss man sogar die Evet-Plakate lange suchen, mit denen für das Verfassungsreferendum geworben wird. Doch auch große Hayır-Flaggen fehlen.

„Izmir ist smarter“, sagt Tunc Soyer und zeigt auf den Button, den er auf seine Jacke gepappt hat. „Yetti Gari“ steht darauf. Das ist Izmirer Slang für „ Yeter Artık!“ und meint so viel wie: „Es reicht“. Auf dem Markt von Seferihisar drängen sich die Menschen mit ihren Einkäufen, Soyer drückt jedem Vorbeilaufenden einen Button in die Hand oder direkt auf die Jacke. Während die Menge sich zwischen den Ständen hindurchschiebt, steht Soyer mittendrin. Seine markante Glatze verschwindet immer wieder im Gewühl, jeder kennt ihn, jeder will mit ihm sprechen.

Soyer ist 56 Jahre alt und damit ein vergleichsweise junger Politiker. Er ist Bürgermeister von Seferihisar, der Vorort von Izmir liegt malerisch am Meer und ist am Wochenende ein Ausflugsort für den Mittelstand. In der Altstadt findet jeden Sonntag ein Markt für lokale Spezialitäten statt. Es ist Soyers Markt, er hat ihn vor ein paar Jahren ins Leben gerufen. Deshalb bewegt er sich an seinem Wahlkampfstand auch, als stünde er in seinem Wohnzimmer.

Wahlkampf, das begreift der Besucher schnell, läuft in Izmir anders als im Rest des Landes. Nicht mit großen Plakaten, sondern mit den Mandarinen, die Soyer in den Händen hält. Mit uralten Stadtkarten, die Abgeordnete in ihren Schränken aufbewahren. Und mit Schiffen im Hafen, die nach Westen schauen.

Wer Soyer im Wahlkampf begleitet, sieht einen Mann, für den das Referendum kein Endpunkt ist. Der Mann will nach oben. Bürgermeister, vielleicht. Oder nach Ankara. Natürlich ist Soyer Mitglied der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, denn das ist Voraussetzung, um in Izmir politisch etwas werden zu können.

Seit Jahrzehnten wird Izmir von der CHP regiert. Doch nie war die Partei in Izmir so stark wie seit dem Amtsantritt Erdo­ğans. Seit die AKP 2002 erstmals bei Wahlen antrat, hatte sie nie eine Chance. Weder bei Parlaments- noch bei Kommunalwahlen schaffte die AKP je mehr als 30 Prozent. Soyer ist sicher, dass das so bleibt: „Am 16. April wird Izmir mit mindestens 70 Prozent Nein stimmen.“

File:Protect Your Republic Protest İzmir12.JPG

Um zu verstehen, warum Soyer sich so sicher ist, muss man ihn an seinem Wahlkampfstand stehen lassen und in die Geschichte der Stadt eintauchen. Und mit dem Bus aus dem Vorort in den Innenstadtbezirk, nach Konak fahren.

Dort, in einem Verwaltungsgebäude mit Blick auf den Stadtpark, wartet Sema Pekdaş, die Chefin des Bezirks, und lächelt zufrieden. Dass für Erdoğan in ihrer Stadt nichts zu holen ist, scheint sie zu genießen. Sema Pekdaş ist 60 Jahre alt und ihr Leben lang Kommunalpolitikerin. Sie sitzt in ihrem großen Büro, eingerahmt von Fotos früherer Politgrößen.

Für die AKP sei Izmir immer die „Stadt der Ungläubigen“ gewesen, erklärt Pekdaş. Die AKP wollte Izmir wie eine feindliche Stadt erobern. „Aber die Menschen spüren das.“

Schon während des Osmanischen Reichs war Izmir die Stadt der „Gâvur“, der Ungläubigen. In etlichen Romanen wird vom kosmopolitischen, levantinischen Smyrna geschwärmt, wie Izmir bis zum Ersten Weltkrieg hieß. Heute ist die Stadt mit vier Millionen Einwohnern nach Istanbul und Ankara die drittgrößte des Landes, das Herz der mediterranen Türkei und das ökonomische und kulturelle Zentrum der Küste.

Wie aus Smyrna Izmir wurde

Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen

—————————————————————————————————————-

Fotoquellen :

Oben — Izmir from the EGE PALACE HOTEL

Author TARIK GANDUR / Own work
w:en:Creative Commons
attribution share alike
This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

Unten — Protect Your Republic Protest, Gündoğdu square, İzmir

This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Attribution: Vikimach

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>